Bei meinen erotischen Rückblicken komme ich zu jenem Wesen, zu dem es mich in letzter Zeit immer stärker hinzog. Zur Schwester meines Freundes aus meiner Kindheit.
War es ihr scheues Lächeln, das ich so anziehend fand oder reizten mich die ersten zarten Knospen hinter ihrer Bluse - oder verzauberte mich womöglich ihre Stimme, deren Klang mich irgendwie fesselte? Eine wunderschöne Mädchenstimme, ähnlich Tönen einer Geige. Und obwohl dieses Mädchen von ernster und ruhiger Natur war, so drang doch hin und wieder ein fröhliches Lachen aus ihrem Mund - hell wie die zwei kleinsten Glocken vcm nahen Kirchturm.
Die Schwester meines besten Freundes war ein blitzgescheites Mädchen und total mädchenhaft wie ich mir das nicht schöner hätte vorstellen können. Zart die Figur, feinfühlig ihre Hände, anmutig ihre Bewegungen. Manchmal kam sie mir vor wie ein Reh aus dem unser Haus umgebenden Wald.
Schon als Kind spielte sie gerne mit ihren Puppen, dem Kaufmannsladen, malte und zeichnete, sang, wenn sie sich unbeobachtet fühlte das eine oder andere Kinderlied und blickte wissend aus ihren grau-blauen Augen in die Umgebung. Augen, die einen besonderen Glanz hatten, ohne dass ich das hier exakt beschreiben könnte. Dieser Stich ins Grünliche, der manchmal darin zu bemerken war, und dann wieder dieses Aufleuchten, als ob ein Licht in ihnen angedreht worden wäre. Als Kind war sie dennoch bestenfalls eine Spielgefährtin für mich. Ganz bestimmt hab ich sie auch ab und zu sekkiert oder hin und wieder an den Zöpfen gezogen. Zöpfe, die ihr die Mutter an ihrem brünetten Haar wohl stets geflochten haben mochte. Sie ist mir eigentlich niemals weiter aufgefallen, sie war ganz einfach da, als die Schwester meines Freundes.
Aber jetzt. Sie war 17 geworden und ich knapp über 20. Wie eine junge Birke kam sie mir manchmal vor. Genau so biegsam und mit einer ganz besonderen inneren Schönheit versehen. Jedenfalls zog es mich immer stärker hin zu ihr, ohne dass mir das in dieser Phase vielleicht richtig bewusst war, hielt ich mich bei unseren Nachbarn ja wohl in erster Linie wegen meines Freundes auf.
Sehr gerne spielten wir Karten - der Vater, die Mutter, die Geschwister und ich. Romme war da bevorzugt. Mit den Jokern, dem Ansammeln der verschiedensten Farben in richtiger Reihenfolge der Zahlen und Figuren und dem Ablegen danach. Natürlich hatten wir Spaß am Spielen. Dann und wann waren die Eltern nicht dabei, da spielten wir eben zu dritt.
Und so wie ein Bächlein seinen Ursprung irgendwo in einer unscheinbaren Quelle hat und allmählich zu einem immer größer werdenden Bach anwächst - genau so sammelte sich in uns beiden dieses ganz bestimmte "Mehr" an. Jeder Blick, den wir uns zuerst vielleicht noch unbeabsichtigt zuwarfen, jedes Lächeln, das dabei vom Sender zum Empfänger geschickt wurde und im Inneren des anderen verschwand und auch jedes Wort mag mitgewirkt haben an diesem Anschwellen der Gefühle in uns. Ich sah, wie sich ihre Bluse beinahe von Woche zu Woche, ganz sicher aber von Monat zu Monat zu spannen begann, ich sah den Glanz auf ihren Lippen, ich bemerkte das Leuchten in ihren Augen und ich merkte auch, wie ihre Hand leicht zitterte, wenn wir uns beinahe ungewollt berührten. Nicht mein Freund war es mittlerweile, wegen dem ich die nachbarliche Nähe suchte. Sie war jetzt der Anziehungspunkt geworden und ich kann mich noch sehr genau erinnern wie sehr mein Herz pochte, als sich unsere Lippen zögernd zum ersten Mal berührten.
Wenn ich heute zurückdenke, dann kommt es mir vor, als wenn wir beide damals in ein völlig unbekanntes Land aufgebrochen wären. In ein unberührtes, naturbelassenes Land mit den herrlichsten Pflanzen, tiefgrünen Seen und einem Himmel, weit und blau und mit Schönwetterwolken behangen. Wir entdeckten dieses wunderschöne Gebiet an und in uns, und sofern man von einem Paradies sprechen kann und sich so etwas vorstellen mag, so befanden wir uns wohl beide darin. Und in diesem "Paradies" pflanzten wir ein Bäumchen und unsere Gefühle füreinander waren die Früchte daran, an denen wir uns labten und erfreuten.
Was die Sache noch besonders delikat machte war die Tatsache, dass wir uns vorerst echt bemühten, unsere Gefühle vor den anderen zu verbergen. Selbst mein Freund ahnte lange nichts von unseren Heimlichkeiten. Die Schwester meines Freundes besuchte ja noch die letzte Klasse des Oberstufen-Realgymnasiums und es war damals durchaus nicht üblich, dass Mädchen in ihrem Alter bereits einen festen Freund hatten. Für uns wäre es undenkbar gewesen, die Nacht mit Wissen und Duldung ihrer Eltern zusammen zu verbringen, und ich kann mich noch sehr genau daran erinnern, wie ich mich immer am späten Abend gut hörbar von ihr verabschiedete. Vor allem auch für die Eltern gut hörbar verabschiedete, weil die ja ihr Schlafzimmer, nur von einer Wand getrennt vom Zimmer meiner Freundin, hatten. Gemeinsam schritten wir die Stiege zur Haustür hinab, riefen uns ein letztes "bis morgen" zu, und im Gleichklang der Schritte stiegen wir wieder zu ihrem Zimmer hoch. Sehr darauf bedacht, keine übermäßigen Geräusche zu verursachen.
Weil ich ja auch noch das eine oder andere Mal mit meinen Freunden zusammensein wollte und ich nicht nur bei ihr sein konnte, so kam es hin und wieder vor, dass ich erst spät nach Hause kam und vorerst mein Schlafgemach aufsuchte. Wohnte ich doch auf der anderen Seite des Hauses, und mein Zimmer befand sich auf dem Dachboden. Aber ich wollte noch unbedingt in ihre Arme und so machte ich mich bereit für eine kleine Klettertour über die Dachboden-Mauer hinüber auf die andere Seite des Hauses.
Wenn ich wieder einmal leicht beschwipst und mit einigem Geschick über diese Mauer klettern musste und mich auf der anderen Dachbodenseite zu Boden gleiten ließ, hieß es aufpassen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren oder unnötige Geräusche zu verursachen, während ich auf Zehenspitzen die Dachbodentreppe abwärts schlich. Klopfenden Herzens und streng darauf achtend, knarrende Stellen an der Holzstiege zu umgehen. Diese gefährlichen Stellen kannte ich mittlerweile bereits - hin und wieder knarrte es dennoch. Da hielt ich immer die Luft an, stoppte meine Schritte und horchte ins nur spärlich von meinem Feuerzeug beleuchtete Dunkel. Alles blieb ruhig, nirgendwo ging ein Licht an. Außer in meinem Inneren. Aber da brannte es ja bereits hell. Dann war ich an ihrer Tür und wenig später schlug ihr Herz an meinem und wir verzehrten die wohl süßeste aller Speisen, die Menschen genießen können ...
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Mit der ersten Liebe verhält es sich wohl doch so wie wenn man im Frühling das erste Grün entdeckt, wenn es sanft aus dem Boden sprießt - wunderschön ...