Lassen wir zuerst einen Gast-Kommentator mit seinem Beitrag zu Wort kommen
Prim. Univ.-Prof. Dr. Robert Goebel
Anti-Aging
Bei vielen Menschen löst das Wort Anti-Aging zwiespältige Gefühle aus. Vielleicht geht es Ihnen auch so. Das liegt nicht nur daran, dass unter dem Deckmantel Anti-Aging viel Geschäftemacherei betrieben wird, sondern auch daran, dass auch das Jüngerseinwollen im traditionellen Weltbild ungern gesehen wird (diesbezüglich spielt auch die Religion eine wesentliche Rolle).
Jünger sein zu wollen wurde vor allem in der Vergangenheit zwar nicht durch Gesetze, aber mit Lächerlichkeit bestraft. Da fällt einem die Mutter ein, die mit Gewalt gleich alt wirken will wie die Tochter, indem sie sich jugendlich kleidet, die Jugendsprache verwendet und sich mädchenhaft aufführt oder als anderes Beispiel der ältere Mann mit Sportwagen u.v.a.m. Es fallen einem auch die sündteuren Gesichtscremes ein, die nichts nutzen, aber dem Hersteller, z.B. Mr. Lauder, dem Käufer eines Klimt-Bildes (Preis: 130 Millionen Euro), ein Vermögen einbringen.
Auf der anderen Seite hat die Menschheit schon immer den Wunsch nach ewiger Jugend gehabt, wie auch aus Sagen und der Bibel sichtbar wird. Es ist auch falsch, in Anti-Aging immer etwas total Unnatürliches (denken wir z.B. an extremes Facelifting) zu sehen. An dieser Stelle könnte man daran erinnern, dass sich auch Sigmund Freud zur Verjüngung (Potenz) an den Samensträngen (Durchtrennung) operieren ließ.
Das Ziel des Anti-Aging-Gedankens ist die Verlängerung des Lebens, noch mehr aber, und darauf muss man deutlich hinweisen, die möglichst lange Erhaltung der Jugendlichkeit -oder, anders ausgedrückt: der Zeitraum der senilen Hinfälligkeit soll nach Möglichkeit verkürzt werden. Das Erstere ist, wie also schon gesagt, die Verlängerung der Lebenserwartung, das Zweite die Lebensqualität. Die Lebenserwartung hat ja schon im vergangenen Jahrhundert sehr stark zugenommen, aber nicht durch gezielte Maßnahmen, sondern einfach durch Verbesserung der Lebensumstände und, wenn auch in geringerem Ausmaß, durch die Fortschritte der Medizin.
Es hat auch schon lange ausgesprochene Verjüngungsmaßnahmen gegeben wie z.B. die Procainkuren der rumänischen Ärztin Dr. Aslan. Letztlich waren auch die Kuraufenthalte in Bad Gastein (radioaktives Wasser) als Verjüngungskuren gedacht u.a.m. Das Neue am jetzigen Anti-Aging-Gedanken ist, dass die Schul-Medizin nicht nur zur Bekämpfung von Krankheiten, sondern auch explizit zur Verhinderung des Alterns und Hinausschiebung des Todes eingesetzt wird - das war bisher nicht der Fall.
Nun, wie steht es heute mit der Fähigkeit der Medizin, das Leben zu verlängern - und dabei ist nicht an die Behandlung von Krankheiten wie Herzinfarkt oder Krebs gedacht. Um es kurz zu machen: Es gibt kein Medikament oder keine Substanz, die das Leben eines Menschen nachgewiesenermaßen verlängert, wohl aber Empfehlungen zur Lebensführung, von denen man mit gutem Grund annehmen kann, dass sie die Lebenserwartung hinaufsetzen. Was dabei von den einzelnen Fachleuten empfohlen wird, hat zwar einen gemeinsamen Schwerpunkt, ist dabei aber doch auch vielfach unterschiedlich.
Ein Katalog von Maßnahmen ist z.B. folgender (entnommen der Zeitschrift Nature): Länger arbeiten, z.B. über das 65. Lebensjahr hinaus, oder, allgemein gesagt, aktiv bleiben, einen Partner haben, körperlich aktiv sein, nicht zu lange schlafen (nicht über 10 Stunden), eine ausgeglichene Persönlichkeit haben oder erwerben, sich nicht hetzen oder hetzen lassen, nicht rauchen, nicht übergewichtig sein, Vorsorgeuntersuchungen durchführen lassen. Daneben sind in diesem Artikel auch unbeeinflussbare Faktoren aufgezählt, man hat nämlich als Frau die besseren Karten, aber auch dann, wenn die Großeltern und Eltern alt geworden sind.
Oft werden auch die Maßnahmen zur Verlängerung des Lebens und die Maßnahmen zur Verhinderung der Alterserscheinungen auf die knappe Formel gebracht: Laufen, Lieben, Lernen. Damit wird gesagt, dass die körperliche und die geistige Aktivität wichtig sind, und als Drittes: Beziehungen zu anderen Menschen, also nicht isoliert sein.
Die medizinischen Maßnahmen sind klarerweise sehr vielfältig: auf der einen Seite die eigentlich selbstverständlichen Vorsorgeuntersuchungen wie Frauenarzt, Prostatauntersuchung, dann (beispielsweise) Cholesterinreduktion usw., bis zu den heute rapid an Boden gewinnenden genetischen Untersuchungen. Es gibt genetische Untersuchungen, die einen im Wesentlichen unabänderlichen Tatbestand feststellen, z.B. die Bluterkrankheit. Solche Untersuchungen sind in diesem Zusammenhang nicht gemeint, sondern solche, die nur ein solches Risiko oder Risiken erfassen, denen man mit entsprechenden Maßnahmen entgegenwirken kann. Wenn jemand das Risiko für Brustkrebs hat oder für Osteoporose oder für Thrombosen, so wird er (sie) entsprechende Vorbeugemaßnahmen ergreifen. Die Wissenschaft ist den echten Langlebigkeits-Genen, die nicht unmittelbar etwas mit Krankheit zu tun haben auch beim Menschen zwar auf der Spur, hat aber da noch nichts Wesentliches gefunden.
Im Tierversuch ist das anders. Bei einem bestimmten Wurm hat man durch eine genetische Manipulation eine Vervielfachung der Lebenserwartung erreicht. Durch kalorienmäßig knappe Ernährung hat man bei etlichen Tierarten eine Lebensverlängerung nachweisen können. Und so soll noch an das zeitweilige Fasten und das "Dinner cancelling" als Maßnahme der Lebensführung erinnert werden; es gibt davon darüber hinaus noch andere Empfehlungen.
Die Ernährungslehre hat u.a. die Prävention von Gefäßerkrankungen (Herzinfarkt, Schlaganfall), Übergewicht und Krebs im Auge. Bis heute ist diese Wissenschaft im Fluss, d.h., dass liebgewordene Prinzipien immer wieder über den Haufen geworden werden. So ist der bisherige Triumph der Kohlenhydrate über die Fette in letzter Zeit rückgängig gemacht worden. Die Fette sind nicht der Dickmacher und Killer, als die sie bisher gegolten haben. Heute wird weniger auf die Menge der Fette als auf deren Zusammensetzung geachtet. Schlecht sind Transfettsäuren (jetzt in New York verboten in Margarine) und gesättigte Fettsäuren (tierische Fette).
Es gibt auch positiv wirkende Naturstoffe, wie solche, die z.B. in Grünem Tee, Soja, Broccoli enthalten sind oder in Rotwein (das Resveratrol) oder in Traubenkernen. Das erinnert wieder daran, was Wilhelm Busch schon vor 150 Jahren geschrieben hat, nämlich: "Rotwein ist für alte Knaben eine von den besten Gaben", nicht nur wegen des darin enthaltenen Resveratrols, sondern überhaupt im Sinne einer mäßigen Alkoholzufuhr. Sehr interessant sind auch die in Fischöl bzw. Leinsamenöl und Rapsöl vorkommenden Omega-3-Fettsäuren; sie kommen in ihrer Wertigkeit schon Medikamenten nahe (Herzrhythmusstörungen, chronischen Entzündungen, Autoimmunerkrankungen, Blutdruck, Blutfett, Schlaganfallsrisiko, Depressionen usw.).
Was ist aber mit den vielen Produkten, die als Anti-Aging-Mittel angepriesen und verkauft werden? Vielfach reduziert sich das Interesse der Menschen auf die Frage: "Was soll ich einnehmen?" Es gibt eine Vielzahl von in Frage kommenden Mitteln, die am besten im Internet über die Vertreiberfirmen abgefragt werden können. Die Bandbreite reicht von vernünftigen und plausiblen Produkten bis zu solchen, die -mit den Augen der Wissenschaft gesehen - einfach unsinnig sind.
Wissenschaftlich gesehen ist die Gruppe der sogenannten Radikalfänger am bedeutsamsten. Das sind Stoffe, die die im Körper spontan oder durch Sonnenlicht oder durch radioaktive Strahlung entstehenden sogenannten freien Radikale unschädlich machen, die ansonsten Blutgefäße, Zellen und Erbmaterial schädigen würden. Am bekanntesten davon sind Q10, Beta-Karotin, Vitamin C, Vitamin E, Selen, Carnitin und die Alpha-Liponsäure. Auch andere Substanzen, die zum Beispiel auf dem Weg einer Entgiftung wirken, können als Anti-Aging-Mittel angesehen werden, z.B. das Glutathion. Wie weit Vitamine und Mineralstoffe zugeführt werden sollen, ist offen, wahrscheinlich besteht kaum eine Notwendigkeit. Weiters gibt es eine Reihe von Produkten zur Leistungssteigerung (Gedächtnis, Potenz, Stimmung, körperliche Leistungsfähigkeit usw.), die eigentlich nicht unter Anti-Aging fallen.
Das Wundermittel, welches bei allen Menschen gleichermaßen eine Verlängerung des Lebens bewirken würde, ist - und das muss nochmals unterstrichen werden - bis jetzt noch nicht gefunden worden.
Um im Alter weniger senil zu sein bzw. sich weniger senil zu fühlen und auch weniger senil auszusehen, gibt es natürlich noch viele Möglichkeiten. Noch sind die Kuren, die der Schweizer Arzt Dr. Niehans mit Papst Pius XII. durchgeführt hat (tierische Zellen) dunkel in Erinnerung. Quasi als Gehirnnahrung ist schon seit einiger Zeit, schon vor der Anti-Aging-Welle, manches angepriesen worden, was einerseits wieder von der Bildfläche verschwunden ist, z.B. Encephabol. Tebofortan wird noch immer von der Bevölkerung gerne genommen. Die Apotheken halten viel davon, die Patienten auch, die echte Wissenschaft wenig.
Wesentlich sind beim Sich-jung-Fühlen und Jung-Aussehen die Hormone. Es ist eigentlich keine Frage, dass Hormongaben für das subjektive und objektive Gefühl der Jugendlichkeit eine sehr positive Rolle spielen. Die Gefahr bei der Zufuhr von Hormonen ist allerdings vor allem ein etwas häufigeres Auftreten von Krebserkrankungen. Wenn auch die Hormongabe derzeit noch sehr umstritten ist - zum Teil weniger aus medizinischen als aus weltanschaulichen Gründen, so wird sie sich doch zweifellos bei der Frau, aber auch beim Mann durchsetzen. Allerdings muss sie gekonnt und nicht "irgendwie" erfolgen.
Zu den Hormonen zählen nicht nur die eigentlichen Sexualhormone (Östrogene, Progesteron, Testosteron), sondern auch das vielbesprochene und verwendete DHEA-Sulfat der Nebenniere. Mit der Erwähnung der Hormontherapie sei auch auf das große Feld der ästhetischen Medizin, also der Erhaltung des jugendlichen Aussehens, hingewiesen. Auch die enge Beziehung zwischen Anti-Aging und Sportmedizin muss betont werden, dabei geht es um die richtige körperliche Betätigung im Alter. Sportmedizin (und Doping) haben auf der Ebene der Medikamente viel mit der Anti-Aging-Medizin gemeinsam.
Hier kann als Beispiel das Wachstumshormon genannt werden, welches eine Eiweiß (= Muskel) aufbauende und Fett abbauende Wirkung hat. Es ist ein Dopingmittel (Anabolikum) einerseits und ein Schönheits- und Schlankheitshormon andererseits. Die mit dem Alter schwindende Muskelmasse und Muskelkraft kann über Bewegungsarmut, Ungeschicklichkeit zu Verletzungen führen und so den Beginn des Seniums einleiten. Keinesfalls darf aber demgegenüber auf die mentale Einstellung zum Leben, zum Altern und auf die Sozialkontakte vergessen werden.
Wir haben also gesehen, dass die Anti-Aging-Maßnahmen in Form der Prävention von Krankheiten (z.B. Osteoporose) und des vorzeitigen Alterns schon sehr erfolgreich sind, auch auf dem Gebiet der Prävention des Alterns im engeren Sinne (z.B. durch Radikalfänger) und dass auch der Lebensstil und die Lebensumstände eine große Rolle spielen.
Also: gesund alt werden und sich jung fühlen (Psychohygiene, Sport) und jung aussehen (ästhetische Medizin von Hormoncremes über Peeling, Filling bis zum Lifting).
Anti-Aging muss nicht unsinnig oder unmoralisch sein, sondern ist, in einer vernünftigen Form und in einem vernünftigen Ausmaß angewandt, etwas durchaus Sinnvolles und Positives.
So weit die durchaus kritischen Anmerkungen zu Anti-Aging aus dem Gesichtspunkt eines Mediziners. Die Meinungen auch unter der Ärzteschaft, der Wissenschaft und all jener Fachleute, die sich mit diesem Thema beschäftigen, dürften in der Frage des Anti-Aging in einer nicht unwesentlichen Bandbreite von "bringt den Menschen tatsächlich ein Hinausschieben des Alterns" bis hin zu "das Altern ist ein natürlicher Vorgang und kann daher nicht verhindert werden" divergieren.
Damit endet der Gast-Kommentar zum Thema Anti-Aging: Gedanken von einem Arzt, der sich in etlichen Kursen, Vorträgen und Meetings ganz speziell mit diesem Gebiet auseinandergesetzt hat. Es freut mich, den Lesern diese seine Gedanken hier zugänglich machen zu können.
Ich will aber auch noch einige Gedanken über den Allgemeinzustand älterer Menschen meines Gastkommentators festhalten, die der Mediziner sich im Verlauf von Jahrzehnten in sehr vielen Gesprächen und auch Untersuchungen von Patienten mit Kuraufenthalt-Charakter gebildet hat, die sich durchaus mit meiner eigenen Meinung decken, wenn auch ich dafür einen Querschnitt aus allen meinen Beobachtungen in 16 Jahren als Heilmasseur und Bewegungstherapeut für meine Behauptungen heranziehe.