In manch einem Leben ist die Angst ebenso vielfältig vorhanden wie Klapperschlangen in der Mojave-Wüste im Südwesten der USA oder wie Hyänen in der Kalahari, wenn sie sich in mondhellen Nächten mit blutverschmierten Mäulern an soeben Zerfleischtem laben.
Angst, Ängste, Bedrohliches für Körper, Geist und Seele. Diese Worte klingen bereits schaurig und unsere Gefühle, die damit verbunden sind, die wecken in uns alles andere als wohliges Empfinden aus. Doch so verschieden die Menschen an und für sich sind, genauso wird es sich auch bei diesem Thema handeln, wenn es darum geht, wie jemand Angst erlebt und was der eine oder andere als angstvoll und bedrohend empfinden wird.
Ich bin beileibe kein Angsthase, dem bereits der Furz eines mit einer Lederweste und abrasiertem Glatzkopf protzig Dahinschreitenden Angst einflößen könnte. Es gibt aber genug Menschen, die zittern und zücken ihre Brieftasche, wenn ein Skinhead auf sie zugeht und sie um Geld oder ein paar Tschik anschnorrt. Wenn auch ungern, kommen sie dennoch der Aufforderung nach.
Wer ist daran schuld? Vor allem das Gefühl in ihnen, das wir als Angst bezeichnen. Weil ich schon bei diesen Typen bin, die den meisten von uns so unangenehm ins Auge stechen, wenn sie mit Schnapsflaschen oder Bierdosen auf Gehsteigen sitzen oder in Fußgängerzonen neben sich irgendwelche Köter zum eigenen Schutz angekettet haben und ältere Frauen und furchtsame Männer mehr oder weniger forsch auffordern, die Geldtasche zu zücken, so will ich die Gelegenheit wahrnehmen und ein wenig in diese für etliche unserer Mitmenschen angstbesetzte Winkel leuchten und einige Gedanken dazu anbringen, handelt es sich bei diesen "Wegelagerern" doch in der Mehrzahl der Fälle um Kinder der Angst.
Meist gezeugt in einer Atmosphäre, die "normale" Menschen an und für sich schon in Angst und Schrecken versetzen könnte. Wo Drogen, Alkohol und Prostitution vielfach als "Patenonkel" an der Seite ihrer Erzeuger standen und diese Nachkommen in der Mehrzahl mehr Hiebe als Liebe bei ihrem Heranwachsen zu spüren bekommen haben. Hiebe nicht nur in Form körperlicher Züchtigung, Hiebe vor allem für ihre Seele. Der Vater ein Säufer, die Mutter weit davon entfernt, jemals auch nur irgendwie ein Gefühl von Nestwärme vermitteln zu können. Kinder, in seelischer Not aufgezogen, und speziell in jenen Entwicklungsphasen, wo sich Liebe, Verständnis und Urvertrauen bilden sollten, hat sich Unsicherheit, Angst und schließlich der Hass tief in ihnen eingenistet.
Eine Situation, ähnlich, wie wenn ein irgendwo ausgesetzter Hund schließlich in einem Tierheim landet. Oftmals verprügelt und davongejagt und der schließlich aus Angst beißt. Und jetzt? Wenn er Glück hat, findet sich ein Mensch mit Verständnis und der nötigen Seelenkraft, um das bedauernswerte Tier einigermaßen über die Runden zu bringen. Mit weiteren zahlreichen Schwierigkeiten rund um das Vieh und dem Wissen, dass eine einmal zertretene Blume wohl kaum jemals wieder blühen wird.
Unsere "Kinder der Angst"? Irgendwie kann ich sie verstehen, und dass sie die Welt ganz einfach mit anderen Augen sehen, als vom Leben verhätschelte Wohlstandsbürger. Bei denen leuchtet nicht der Hass aus den Augen, sondern ebenso Schlimmes: die Arroganz.
Meine Angst dazu? Dass sich diese Zustände häufen könnten, weil die Herzen der Menschen immer mehr abkühlen und der Nachwuchs zunehmend mehr als Belastung empfunden wird oder andererseits eine wahre Affenliebe allen Realitätssinn verwischt und verwässert, und Kinder, total verhätschelt, zu maßlosen Egoisten erzogen werden. Meine Angst besteht auch darin, dass immer mehr Elternteile abgleiten in diesen Zustand der Verantwortungslosigkeit und der Hilflosigkeit ihrem Nachwuchs gegenüber.
Schlagwörter wie Selbstverwirklichung und Vergnügungssucht prägen unsere von Konsumwut geschwängerte Zeit, die unsere westliche Wohlstandsgesellschaft mit sich bringt. Wen wundert es da, dass immer mehr Rohrkrepierer unsere Straßen säumen und aus eigener Existenzangst andere in Unbehagen, Angst und Schrecken versetzen.
Kinder haben andere Ängste als Erwachsene. Aber auch bei Erwachsenen gibt es gravierende Unterschiede. Vor allem altersbedingt. Gut kann ich mich noch an eine für mich äußerst angstbesetzte Situation in meiner Kindheit erinnern. Ich war vielleicht an die 10, 11 Jahre alt und wir hatten einen wunderschönen Kater mit großen Pfoten, einem samtweichen schwarzen Fell und dazu einem kleinen weißen Fleck an seinem Hals. Ein richtiges Prachtexemplar, und dieser Kater war meinem Bruder und mir regelrecht ans Herz gewachsen. Schon am frühen Morgen weckte er uns, wenn unsere Mutter die Tür zu unserem Schlafraum öffnete, und er zu uns ins Bett sprang und wenig später fröhlich schnurrte, mit seinen Tatzen in die Bettdecke trat und abwechselnd dran zog. So, als ob er sie massieren wollte. Erhobenen Hauptes stapfte er im Winter durch den Schnee oder er spürte irgendwelchen Mäusen nach, die es in unserer ländlichen Gegend mit Haus und Hof, mit Stall und Scheune ja in jeder Menge gab. Auch mancher hübschen Katzendame wird er wohl nächtens seine Aufwartung gemacht und für Nachwuchs im Katzenland gesorgt haben. Sah man doch hin und wieder muntere kleine Gesellen in schwarzen Fellen durch die Gegend sausen. Oftmals beneidete ich ihn regelrecht wegen seiner Faulheit und Gelassenheit an Tagen, wo er zusammengekauert in einer Ecke unserer Wohnküche lag und vor sich hindämmerte, während ich mich mit Hausübungen herumschlagen musste.
Doch eines Tages schlich sich dieses bis jetzt kaum gekannte Gefühl in meine kindliche Brust. Mit Herzklopfen bis zum Hals, mit ausgetrockneter Kehle und nassen Händen. Vor der Stalltür hockte er und zitterte am ganzen Leib - grüner Schaum tropfte aus seinem Maul und mein Vater sagte zu uns Buben, dass wir ihn nur ja nicht anfassen sollten, weil er nicht wisse, welches Gift der Kater in sich hätte. Stumm standen mein Bruder und ich da und starrten hin zu unserem Kater. Ganz genau sehe ich noch den Blick seiner traurigen Katzenaugen. Irgendwie stumm um Hilfe bittend. Und plötzlich zitterte ich am ganzen Leib. Es war die Angst. Sie hatte sich zum ersten Mal ganz tief in mein Kinderherz gesetzt. Und als mein Bruder am nächsten Tag das kleine Holzkreuz auf den Erdhügel steckte, rann eine Träne über meine Wange ...
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Natürlich gibt es noch etliche Geschichten aus meiner Kindheit, in denen Angst vorkommt. Angst vor Strafen nach irgendwelchen Lausbubenstreichen in Schule und Freizeit. Angst in Nächten, wenn der Regen ans Schlafzimmerfenster peitschte und der Wind an den Fensterbalken riss. Es dann hell aufleuchtete und beinahe im gleichen Moment krachte, dass ich meinte, das Dach würde davonfliegen, und ich mich ängstlich unter meiner Bettdecke verkroch.
Auch in den Tagen, an denen der erste Schnee gefallen war, verspürte ich manchmal so etwas wie Angst. Wenn mein Vater mit dem Schussapparat und dem Messer Richtung Stall schritt, und ich gleich darauf das Schreien der Sau vernahm, ehe es still wurde. Erst viel später schlichen wir Buben zum Ort des Geschehens und sahen die Sau mit aufgeschlitztem Bauch am Schragen hängen, und der Schnee hatte sich blutrot unter ihr gefärbt.
Oder, wieder ein anderes Mal: Der Mai war gekommen, überall blühte und schwirrte es, und wir Buben fuhren mit unseren selbst zusammengebastelten Drahteseln zu diesem Bächlein mit daneben steil aufragenden Wänden, aus denen es gelb zu uns herunterleuchtete. Petergstamm. Da hielt uns nichts mehr. Wer die größte "Traube" mit den meisten Blüten aus der Wand holte, der war letztlich der Sieger. Einmal hatte ich mich wohl zu weit in die Wand hinaufgewagt. Mit zitternden Knien und diesem schrecklichen Gefühl in meiner Brust sah ich hinunter und wusste nicht weiter. Weder vor noch zurück ...
Damit bin ich bei einer Art Angst angelangt, die mich schon ein paar Mal richtiggehend gepackt hatte und ich ein ähnliches Gefühl verspürte, als würden sich die Tatzen eines Tigers in mein Fleisch bohren und mir den Todesstoß versetzen. Todesangst. Wirklich und tatsächlich. Und jedes Mal erlebte ich sie in der beinahe gleichen Situation. In steilen Felswänden meiner heimatlichen Berge. Zwei-, dreimal als Kind. Wobei ich einmal etliche Meter durch die Wand hinuntergesegelt bin und mich nur ein gnädiges Schicksal oder vielleicht irgendein Schutzengel vor dem Schlimmsten bewahrt hatte. Dann zweimal als Erwachsener. Einmal in mittleren Jahren, als ich mit einem Freund im Oktober über die Nordostflanke des Lugauer zum Gipfel emporklettern wollte, wir uns jedoch in der steil aufragenden Wand verstiegen, weil wir im bereits teilweise verschneiten Fels die Orientierung verloren hatten, und auch beim besten Willen keine Markierung mehr finden konnten. Zitternd hing ich in der Wand, die Finger steif gefroren, die Zähne klapperten, wie ich das niemals für möglich gehalten hätte, und jeglicher Mut war aus mir gewichen. Ich spürte den Tod ganz deutlich nach mir greifen und wagte kaum noch zu atmen.
Ich hab die Story bei meiner Ausbildung zum Schriftsteller einmal einem meiner Studienleiter zugesandt. Er schrieb mir zurück, dass ihm das Geschriebene echt unter die Haut gegangen wäre. Es war ja auch schaurig genug, und ich war damals fest davon überzeugt, in dieser Felswand beim Hinunterstürzen zu zerschellen. Doch ich sitze ja noch immer am PC und schreibe, während andere schon längst gegangen sind. Mit Herzinfarkten, Karzinomen, verunfallt auf der Straße oder im Berufsleben.
Aber einmal packte sie mich noch. Die Todesangst in einer Bergwand. Diesmal nicht im Fels. Seit dem damaligen Erlebnis sah mich keine Felswand jemals wieder ganz nah an ihr. Es war vor einigen Jahren bei einer Bergwanderung, wo ich mit meinen Jogging-Schuhen eine bessere Almpartie unternahm, an deren Ende ich eine steile Bergwiese hochklettern musste. Ich sage bewusst "klettern", weil von Hochschreiten wahrlich keine Rede sein konnte. Zu steil, zu rutschig, und irgendwann befand ich mich in diesem Dilemma. Ich hatte den Hang total unterschätzt. Ohne größere Bedenken war ich den etliche hundert Meter steilen Berghang hinaufgestiegen. Die Sonne hatte sich bereits aus der Wand zurückgezogen. Das Gras war nass und weit oben an einigen Stellen lag schon Schnee. Ganz leicht angezuckert zwar nur die Bergwiese, aber steil, sehr steil. Ich schaute den Hang hinunter und überlegte. Zurück? Nein! Da würde ich ganz bestimmt ausrutschen und abgleiten. Und es schauderte mich beim Gedanken, da hinunterkollern zu müssen. Weiter hinauf? Vielleicht noch 50, 60 Meter bis zum Gipfelkreuz? Ein Wahnsinn! Worauf hatte ich mich bloß eingelassen? Plötzlich verließ mich der Mut, plötzlich dachte ich ans Abstürzen und dieses gewaltige Gefühl hatte mich gepackt und ich zitterte am ganzen Körper, kaum noch fähig, mich im feuchten Gras unter der nur wenige Zentimeter hohen Schneedecke festzukrallen. Ich keuchte, der Schweiß strömte mir aus den Poren und mein Herz klopfte wild in meiner Brust. Still verharrte ich für etliche Minuten in der Wand. Dann hatte ich mich irgendwie gesammelt und ich machte zaghaft die ersten Bewegungen nach oben. Mühsam zog ich mich hoch, suchte mit meinen Füßen krampfhaft nach Halt und rutschte immer wieder ab ...
Irgendwann hatte ich es geschafft und ich lag keuchend am Grat. Die Strahlen der Nachmittagssonne wärmten meinen dampfenden Körper, oben beim Gipfel schien sie noch, und ich blickte ins Blau des Himmels. Dankbar? Ja, doch. Schuld waren vor allem meine Schuhe. Die Sohlen waren aus Plastik und alles andere als rutschfest, und schuld war natürlich mein Hang zu Blödheiten, der mit 55 Jahren noch immer sein Unwesen in mir trieb.
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Angst? Natürlich kenne ich auch heute noch Ängste. Manchmal hab ich doch tatsächlich Angst vor dem Altern und vor einem möglichen Greisendasein. Mit selbstgekauften Zähnen, womöglich des Nachts im Wasserglas. Vor dem steten Dahinschwinden meiner Kräfte und vielleicht auch dem Verlust meiner Manneskraft. Obwohl ich als Allein-Lebender ja in der glücklichen Lage bin, niemandem etwas beweisen zu müssen. Die ehelichen "Pflichten" hab ich in meiner doch an die zwanzig Jahre einigermaßen gut funktionierenden Ehe immer angstfrei erledigt und zumeist vortrefflich genossen. Jetzt? Genieße ich auch. Ab und zu. Bei guter Gelegenheit und wenn mir auch wirklich danach zumute ist. Hab also noch keine Angst vor Versagen, wie dies ganz bestimmt etliche Männer haben werden, bei denen die Gattin fordert. Nicht nur einmal monatlich.
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Angst vor Unfällen, Angst vor Krankheiten, Angst vor Verlusten. Das sind meiner Meinung nach die größten Ängste unserer Altersstufe. Oder die Angst, einmal in einem Pflegeheim landen zu müssen, wie sie meine alte Mutter wohl bereits täglich in sich verspürt und auch ganz offen darüber spricht. Die hab ich noch nicht, doch diese Art von Angst könnte mit den Jahren durchaus auch bei mir auftauchen. Wenn der Tag im Rollstuhl beginnt und im weißen Laken endet. Mit zwischendurch Füttern und Wickeln, ein bisschen Stöhnen und Seufzen und dem Tropfen des Speichels aus dem zumeist offenen Mund. Ich darf gar nicht an dieses Horror-Szenario denken. Da kommt mir nicht die Angst, da erfüllt mich regelrecht das große Grauen. Und doch. Es tut gut, zu wissen, dass man nicht in der Gosse verrecken muss, wie das in anderen Ländern durchaus der Fall zu sein scheint. Natürlich bin ich froh, dass es bei uns diese Heime gibt für die Alten und Kranken und dass für ein einigermaßen menschenwürdiges Dahinsterben gesorgt ist. Ein kleiner Trost zwar nur, aber doch tröstlich. Oder? Und zehn, zwanzig Jahre sind schneller weg, als man glauben würde. Allein bei diesem Gedanken könnten Sorgenfalten meine Stirn erklimmen.
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Ein bisschen will ich auch über allgemeine Angst nachdenken. Weltangst. Vor Atomkriegen, vor immer öfter stattfindenden Terroranschlägen lebensverachtender Extremisten. Mit abgrundtiefem Hass in sich und dem Hinmorden zahlreicher Unschuldiger. Angst vor Aids, vor Seuchen und Infektionskrankheiten, die die Menschheit hinwegraffen könnten. Vor dem Verdrecken der Weltmeere, Supergaus in den Atomkraftwerken, dem Verpesten der Umwelt, der Verrohung der Sitten und der Moral. Angst, dass immer mehr geistig Verwirrte über unseren Erdball wandeln und es diesen Wahnsinnigen sogar dort und da gelingt, die Macht an sich zu reißen. Angst, dass die Menschen irgendwann nur noch qualvoll nach Luft schnappen werden, weil der Smog und der Dreck die Sonne verdunkeln. Irgendwann hab ich einmal das Buch "Die letzten Paradiese" zu Gesicht bekommen. Wunderschön. Meine Angst dazu? Vielleicht werden auch die bald verschwunden sein wie die letzten weißen Nashörner.
Verlustängste gibt es ja mannigfach in unserem Leben, und jeder von uns kennt sie zur Genüge, ob es sich nun um Materielles handelt, das einem abhanden kommen könnte oder um den Verlust von Gefühlen. Wenn uns zum Beispiel ein Mensch verloren geht, durch Tod oder weil er sich womöglich von uns abwendet, wie das ja immer wieder vorkommt. Oder wir haben Angst, uns selbst irgendwie zu verlieren. Unser Selbstwertgefühl, unsere Eigenständigkeit, unsere feste Meinung, unser Gedächtnis oder zumindest einen Teil davon. Unsere nach und nach schwindenden Sinneswahrnehmungen und letztlich unsere Attraktivität, sofern wir jemals Besitzende in dieser Hinsicht gewesen sind. Wenn ja, dann könnte so ein Verlust mehr als nur schmerzhaft für uns ein. Wenn nein, dann ist das jetzt wenigstens so etwas wie ein kleiner Ausgleich für diese Ungerechtigkeit der Natur, die manche Menschen wunderbar ausstattet, andere hingegen total vernachlässigt.
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Ich bin ja ein Mann und schon allein deshalb sind meine Gedanken natürlich "männlich" gefärbt. Bei allem, was ich zu Papier bringe, und manchmal tut es mir echt leid, nicht mit den Gefühlen einer Frau die Dinge betrachten zu können. Und doch will ich abschließend zum Kapitel "Angst" ein Thema aufgreifen, das eher zur Weiblichkeit passt. Man behauptet ja hinter vorgehaltener Hand, manchmal aber auch ganz ungeschminkt, dass Frauen mit dem Erreichen des 50. Lebensjahres von nun an "Hundejahre" erleben würden.
Ich hab das am Anfang, als ich diesen Spruch zum ersten Mal gehört hab, auch nicht gleich verstanden. Dann hat man es mir erklärt und seitdem denke ich auch öfter daran. Arme weibliche Wesen, doch von der Natur vielleicht ganz bewusst so gewollt, weil die Menschheit ja Großmütter braucht, die sich ab diesem Stadium in den Augen mancher Mitmenschen weniger der Männerwelt, sondern eher ihren Enkelkindern zuwenden sollten. Was für manches junge Paar tatsächlich einen wahren Segen darstellt, wenn Kinder in die Welt gesetzt werden und es jetzt Großmütter gibt, die diese Nachkommen betreuen, weil berufstätige Eltern gar keine Zeit mehr dafür aufbringen können.
Zurück zum Thema. Nicht der Spiegel sollte zum täglichen Hauptaugenmerk einer über 50-Jährigen werden, sondern aufopfernde Selbstlosigkeit mit all den wunderbaren Dingen, die Omis eben zu richtig liebenswerten Lebewesen machen. Ich weiß, das ist jetzt vielleicht für die eine oder andere Lady so etwas wie "starker Tobak", und vielleicht mag mich die eine oder andere davon wegen dieser Sache sogar zur Hölle wünschen. Aber das alles stammt keineswegs von mir, ich bin nicht der Erfinder dieser Aussprüche und kann selbst nicht recht glauben, dass mit diesem runden Geburtstag für Frauen eine neue Ära anbricht. Mit Ausnahmen natürlich. Hoffe ich zumindest.
Hundejahre? Die kenne ich jetzt und was damit gemeint ist. Dass nämlich das Alter eines Hundes, gemessen an uns Menschen, nach dem ersten Lebensjahr anscheinend mit 8 multipliziert wird. Nehmen wir an der Köter ist drei Jahre alt, dann hat er bereits an die 17 Jahre auf seinem Hundebuckel und mit sieben Jahren das halbe Jahrhundert eines Menschenlebens erreicht. Und die Frauen? Mit 50 sind sie 50. Mit 52? Das kann doch nicht sein, dass sie in zwei Jahren derart gealtert sein sollten! Wie könnte so etwas jemals geschehen? Leuchtet mir nicht ein. Bei so einer Altersberechnung wären Frauen mit 53 rein biologisch bereits über den 60er von uns Männern hinausgereift. Meines Erachtens ein absoluter Unsinn.
Wenn Männer sich im Alter gehen lassen, dann könnte das Spiel genau umgekehrt verlaufen. Gibt es doch viele Frauen über 50, die durchaus attraktiv und zudem reizende Omis sind. Doch ein Körnchen Wahrheit könnte vielleicht auch hier dahinterstecken. Wie bei vielen Sprüchen, die dem Volksmund entsprungen sind. Ich wünsche das keiner Lady. Es ist so schwer genug, täglich in den Spiegel schauen zu müssen, zu schlucken und fieberhaft nach Kosmetika zu suchen.
Wahr dürfte sein, dass der Verlust der weiblichen Attraktivität von großer Angst besetzt ist. Wahr weiter, dass eine Frau in erster Linie nach ihrem Aussehen beurteilt wird. Erst weit danach kommt ja das Wesen zum Tragen. Die hübschesten Dummerchen sahnen im Leben wesentlich mehr ab, als die nettesten und liebenswertesten Unscheinbaren. Das steht ganz eindeutig fest. Und wenn ein Chef die Wahl hat zwischen einer attraktiven Sekretärin oder einem besonders tüchtigen Mauerblümchen, dann brauche ich die Antwort hier nicht hinzutippen. Die kennt jeder. Die einzige Angst, die damit verbunden ist, die könnte in diesem Fall eine womöglich existierende Gattin haben müssen. Vor allem, wenn der Chef begehrenswert ist und noch nicht verkümmerte Gefühle für die Weiblichkeit in sich trägt. Womit ich bei dieser Begehrlichkeit nicht nur sein Aussehen, sondern vor allem seine finanziellen Möglichkeiten ganz bewusst an den Anfang stelle.
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Angst? Kann durchaus auch etwas Erbauendes sein. Wenn man Angst genießt und gelegentliche Angstschauer diesen gewissen Kick ausmachen, der das ganze Geschehen erst so richtig spannend und aufregend werden lässt. Ich denke da vor allem an Erotisches, Geheimnisvolles, Erregendes, wo man auf gar keinen Fall dabei erwischt werden darf. Bei gewagten und eher harmlosen kleinen Seitensprüngen etwa oder bei Rendezvous mit dieser eigentümlichen Atmosphäre des ersten Mals - verbunden mit etwas Angst und Nervosität. Ist doch wunderschön. Oder etwa nicht?
Wie langweilig ist dagegen ein bereits jahraus, jahrein bestehendes tägliches Treffen im Ehebett. Mit Routine und wo die Gattin womöglich dabei sogar noch in die Röhre blickt. Zu vergleichen etwa mit der erstmaligen Ausfahrt in einem herrlichen Sportcabriolet oder andererseits einer Fahrt über eine holprige Landstraße in der 15 Jahre alten Familienkutsche, einem verbeulten Kombi. So eine Fahrt kann durchaus auch schön sein, aber an den Reiz der Fahrt mit dem Cabriolet wird das eher stinknormale Dahinfahren halt doch nicht heranreichen.
Mir fällt dazu ein Beispiel aus meiner Junggesellenzeit ein. Ich hatte mich doch tatsächlich in ein wunderhübsches weibliches Wesen verknallt. Jung, sehr jung und mit der Figur einer biegsamen Weide, zart und zerbrechlich. Und Lippen wie zum Küssen geschaffen. Wie ein duftender Apfel hing sie am Baum, total bereit zum Pflücken. Und sie schenkte mir ihr bezauberndes Lächeln und ihre Augen verrieten mir, dass sie erotischen Genüssen durchaus nicht abgeneigt war. Damals war ich noch ein Draufgänger und meinte, meinem männlichen Charme könnte wohl kaum ein weibliches Wesen widerstehen. Erhobenen Hauptes schritt ich durch mein Junggesellen-Dasein und war zumeist guter Dinge. Ein Seufzer entrann soeben meiner Brust. Warum, das werde ich kaum erklären müssen. Geht es mir doch nicht viel anders als den Ladies über 50.
Die Sache war zwischen uns einigermaßen klar, ich hatte ja schon klammheimlich diese Lippen geküsst und mich auch sonst bereits einige Male in die Nähe erotischer Genüsse bei ihr herangewagt, doch zu mehr waren wir noch nicht gekommen. Zu sehr wachte die Mutter über ihr Kind und zu groß waren vielleicht bislang auch meine Bedenken, dieses zarte Wesen ganz einfach in meine Arme zu reißen. Sie herrliche 17, ich stramme 20. Herz, was willst du noch mehr.
Dann war der Tag gekommen oder besser gesagt die Nacht und ich stieg auf leisen Sohlen die Stiege zu ihrer Kammer empor. Schlich schon eher, als dass ich ging, und in meiner Brust pochte das Herz und überflügelte bei weitem die Zahl meiner Schritte. Angst? Ein bisschen davon hab ich ganz bestimmt in mir verspürt. Angst, dass die Stufen zu sehr knarren könnten an dieser Holzstiege und dass ihr Vater plötzlich vor mir auftauchen und mich ordentlich zur Rede stellen könnte. Angst, dass noch irgendetwas dazwischenkommen könnte, während ich mich mit diesem Gemisch aus Angst und Jubel in mir ihrer Türe näherte. Mit dem Feuerzeug in der Hand und dem schwachen Flackern des Lichtscheins im nächtlichen Dunkel ...