Wir kennen vermutlich alle die Sprüche mit den "Gewissens-Bissen", wo ich sofort eine Assoziation mit einem schmerzhaften Hundebiss herstelle und diesen förmlich an mir spüre.
Als nächstes den Ausdruck mit "reinem Gewissen und sanftem Ruhekissen". Dann, ähnlich wie zuvor, das "schlechte Gewissen", das manchen verfolgt wie eine Bande Wegelagerer, um das Opfer irgendwann zu überfallen, sofern das nicht so und so bereits geschehen ist.
"Gewissens-Konflikte" gehören ebenso dazu wie der Ausspruch "auf Ehre und Gewissen" mit diesem Anflug von Schwere und Ritterlichkeit, der wohl aus der Zeit eisenbewehrter Helmträger mit den Hellebarden, Kettenhemden und den Speeren stammen dürfte.
Jeder kennt bestimmt auch das Gefühl, wenn einem irgendjemand "ins Gewissen redet", um vielleicht etwas ganz Besonderes damit zu erreichen. Manchmal jedoch fordern Menschen sich selbst dazu auf, ihr Gewissen zu erforschen. Erforschen kann man jedoch nur dann sein Gewissen, wenn es irgendwo in uns vorhanden ist. Könnte es Menschen geben, die so etwas gar nicht kennen, bei denen sich Derartiges nie gebildet hat? Genauso wie am Äquator im Meer treibende Eisschollen auch mit noch so viel Suchen nicht zu erspähen sein werden.
Sehen wir uns zuerst die Bildung eines solchen Gewissens ein bisschen näher an.
Irgendwie ist für mich Gewissensbildung ähnlich wie eine Fahrt mit dem Auto durch die Landschaft. Mit verschiedenen Straßen und den verschiedensten Verkehrszeichen. Zumeist Verbots-Schildern. Manchmal auch Gebots-Tafeln, Richtungs-Pfeilen, Leit- und Sperrlinien und seitlichen Begrenzungsleuchten. Warum, das muss ich wohl nicht extra erklären. Wenn man bei einer Ampel ankommt und das Licht rot leuchtet, dann sollte man sein Fahrzeug oder seine Schritte besser stoppen. Wenn nicht, dürfte das Schwierigkeiten mit sich bringen, bis hin zum echten Verunfallen mit einem Einchecken im nächsten Krankenhaus, oder vielleicht sogar nach drei Tagen mit einem Stelldichein einige Fuß tief auf dem örtlichen Friedhof.
Die gleichen Schwierigkeiten dürften auf einen zukommen, wenn die innere Ampel, wenn unser Gewissen vor einer Handlung rot leuchtet und wir dennoch zur Tat schreiten, obwohl wir wissen, dass das, was wir soeben im Begriff sind zu machen, eigentlich nicht Rechtens ist. Das könnte bei einem kleinen Diebstahl in einem Warenhaus ebenso der Fall sein, wie wenn ein Bankräuber mit gezückter Pistole im Kassenraum steht und die im Safe gestapelten Moneten verlangt. Auch dann wird das Gewissen bereits rot leuchten, wenn es sich bei der Pistole um eine Spritzpistole handelt. Leicht rötlich allerdings nur wie beim Ladendiebstahl. Dunkelrot wahrscheinlich, wenn die Waffe scharf geladen ist und der Räuber durchaus gewillt ist, davon Gebrauch zu machen, sofern sich Komplikationen ergeben sollten. Oder haben solche Menschen womöglich kein Gewissen? Könnte durchaus sein. Hört man doch manchmal von gewissenlosen Killern.
Dass es total Gewissen-lose Menschen gibt, das glaube ich aber dennoch nicht ganz, denn so wie die meisten wild lebenden Tiere uns Menschen instinktiv als Gefahr wittern, ebenso dürfte jeder Mensch instinktiv erahnen, dass brutale Gewaltanwendungen, verbunden mit Verletzungen, die man anderen antut, mit einer "Stopp-Tafel" versehen sind. Auch dann dürfte jeder Mensch das irgendwie in sich spüren, wenn er absolut verroht und bar jeder auch nur einigermaßen mit Regeln des Zusammenlebens einhergehender Erziehung aufgewachsen ist. Das steckt ganz einfach in den Genen und ist ganz bestimmt nicht mit einem einzigen Generationen-Sprung aus der Seele eines Menschen zu verbannen. Es sei denn, es wird bewusst und immerfort mit gegenteiligen Gefühlen jongliert. Wie das bei Kannibalen der Fall sein mag, die ohne Gewissenbisse die eigene Großmutter im Suppentopf kochen, weil sie ganz einfach nichts dabei finden, andere Menschen abzuschlachten und danach zu verspeisen. Sofern das tatsächlich noch irgendwo auf dieser Welt der Fall sein sollte.
Weg von solch grausigen Gedanken. Oder empfinden wir solche Gedanken womöglich nur deswegen grausig, weil unser Gewissen uns das so vorschreibt? Könnte durchaus sein. Und schon sind wir damit bei den Gewissens-Bissen. Das ist für mich die Art, wo die Ampel dunkelrot leuchtet bei Aktionen, wo andere Lebewesen ganz eindeutig durch unsere Schuld zu Schaden kommen. Bewusst sage ich hier Lebewesen, weil dabei auch Tiere involviert sein könnten. Vor allem Haustiere sind da gefährdet, scheint es doch immer wieder Menschen zu geben, die sich Tiere zulegen, um ihren Hund, ihre Katze, das Meerschweinchen oder den Hamster ungestraft quälen zu können.
Dass einen Sadisten nach seiner Tat Gewissens-Bisse plagen, ist eher unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher wird sich so ein Unmensch sogar an diesem von ihm verursachten Leid ergötzen und diese Untat genießen, genau wie der Pyromane, der mit dem Feuerzeug in der Hand sich an emporzüngelnden Flammen erfreut und sich kaum daran satt sehen kann. Wobei solche Menschen zum Glück nur selten unseren Weg kreuzen.
Wie könnte die Sache bei inhaftierten Meuchelmördern aussehen?
Wenn ein Zuhälter einem seiner "Pferdchen" mit dem Messer die Kehle durchtrennt, weil er mitbekommen hat, dass das aus dem ehemaligen Ostblock organisierte Mädchen schon wieder nicht ihre gesamten Einnahmen an ihn abgeliefert hat. Beim ersten Mal hat er sie nur verprügelt. Doch jetzt musste er zu härteren Maßnahmen greifen, wo sie noch die Frechheit hatte, alles abzustreiten und sogar mit einer Anzeige drohte. Da hat er zum Messer gegriffen. Eigentlich wollte er ihr ursprünglich nur einige Stiche versetzen, doch sie hat ihn nur angespuckt, da hat er durchgedreht. Irgendwie ist man ihm auf die Spur gekommen und trotz Leugnen hat ihn das Gericht schließlich zu fünf Jahren Haft verurteilt. Mit mildernden Umständen, weil der Bursche ja eine schwierige Jugend hinter sich hatte. Werden den hinter Gittern Verwahrten Gewissens-Bisse plagen? Könnte durchaus sein. Aber nicht wegen des 15-jährigen Opfers aus Rumänien. Viel eher, weil es ihm nicht gelungen ist, das eingenommene Kapital sicher zu verwahren. Weiß er doch, dass er nach zwei, drei Jahren auf Bewährung entlassen wird und dann wieder von vorne beginnen muss.
Ein starkes Stück. Ist mir vollkommen bewusst und wird hoffentlich kaum jemals vorkommen. Oder sagen wir - es wird auch in unseren Großstädten hoffentlich nicht öfter als ein-, zweimal jährlich zu so einem oder einem ähnlichen Delikt kommen. Doch die Anzahl der Gewalt-Verbrechen nimmt zu wie die Ratten nach milden Wintern, wenn sie im Kreise ihrer Brut in stinkenden Kanälen aus der Kloake schlürfen oder an Mülldeponien ihre Zähne in den Abfall schlagen.
Auch Selbstmord-Attentäter werden kaum jemals Gewissens-Bisse peinigen, besteht doch die besondere Eigenschaft von Gewissens-Bissen darin, erst nach der Tat in den Tätern aufzukeimen. Es sei denn, es gibt tatsächlich so etwas wie eine unsterbliche Seele, dann wäre das zumindest auch bei solchen Tätern theoretisch möglich. Wobei Terroristen ganz allgemein weniger zart besaitete Lebewesen sein dürften, die nicht schon wegen ein paar unschuldig hingemordeter Kinder und schwangerer Frauen gleich Probleme mit ihrem Gewissen haben werden. Eher plagt eine Nonne das schlechte Gewissen, wenn sie tatsächlich einmal vergessen hat, anstatt sechsmal, an diesem Tag nur fünfmal ihren Rosenkranz murmelnd durchzukneten. Noch in der Nacht wird sie womöglich von Gewissensbissen geplagt aufwachen und das Versäumnis in ihrer Kammer nachholen und "ihn" wegen ihres Vergehens - vor dem Bett kniend - um Verzeihung bitten.
Gewissens-Bisse kenne ich bei mir selbst natürlich auch. Wenn ich an meine Kinder denke und an meine gescheiterte Ehe. Bin ich doch manchmal der Meinung, ihnen einen guten Teil ihres Lebens versaut zu haben. Nicht nur den Kindern, auch meiner Gattin mit dem "Ex" davor. Das hat meinem Pyjama zu manch nassem Fleck verholfen, wenn ich nächtens schweißgebadet aufgewacht bin - von Schuldgefühlen gebeutelt, und es mir nur ganz schwer wieder gelungen ist den Schlaf irgendwann fortzusetzen.
Zum Glück kann man ja auch das Gewissen beruhigen. Manche machen das mit Hilfe von Flaschen und dem die Sinne verwirrenden Inhalt. Andere mit Antidepressiva. Ich wählte eine andere Methode: Ich stellte mir vor, dass alles noch viel schlimmer hätte kommen können, wenn wir womöglich bei einem unserer Familien-Ausflüge mit dem Auto schwer und mit bleibenden Schäden verunfallt wären. Dagegen ist eine einvernehmliche Scheidung doch beinahe so etwas wie das Paradies. Und außerdem: Meine "Ex" hatte einen, wie es lange Zeit schien, wunderbaren Nachfolger gefunden, die Kinder allesamt höhere Schulen besucht und zum Teil akademische Grade erlangt. Warum sollte ich da ...?
Es gibt ganz bestimmt auch Gewissens-Konflikte anderer Art. Zum Beispiel bei Politikern. Wenn sich diese Herrschaften nach Schein-Duellen im Parlament danach in der Kantine zusammensetzen und bei Sekt und Kaviarbrötchen beschließen, das nächste Mal wieder so publikumsträchtig vor der Kamera zu agieren. Aber keine Schreiduelle mehr, weil das bei den Zuschauern nicht gut ankommt. Ein bisschen verbal befetzen genügt da vollauf. Wo doch jeder seine Wähler vertreten muss. Wo bleibt bei der Sache der Gewissens-Konflikt? Der entsteht vielleicht manchmal tatsächlich bei dem einen oder anderen Volksvertreter, wenn der oder die "Gute" die Spesen-Abrechnung vor sich liegen sieht oder der Schuh sanft drückt wegen des vorgenommenen Postenschachers für den Sohn oder die Tochter, für Verwandte und Freunde. Ein bisschen Vetternwirtschaft muss doch wohl noch möglich sein. Eine Hand wäscht eben die andere, wird sich so mancher sagen und damit sein an der Tür pochendes Gewissen beruhigen. Und die neuerliche Erhöhung der Politiker-Bezüge? Was soll diese Frage? Da waren wir doch alle einer Meinung!
Natürlich gibt es auch die untadeligen Politiker, die für nichts ihre Hand zur Zustimmung heben, was sie nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können. Mit dem tiefen Grundsatz in sich: "Ich mache alles für mein Vaterland! Das will ich gerne beschwören! Auf Ehre und Gewissen!" Menschen von absoluter Unbestechlichkeit. Lügen sind ihnen so fremd wie dem Eisbären am Polarkreis Giraffen aus Kenia. Natürlich können auch sie sich nur schwer gegen überhöhte Aufwands-Entschädigungen wehren, wo die doch fest vereinbart sind. Doch die spenden sie dann eben an Hilfsorganisationen. Das Gleiche gilt für drei- oder vierfach Bezüge. Auch da nehmen sie nur so viel, wie sie tatsächlich zum Leben brauchen. Der Rest fließt an Wohltätigkeitsvereine. Privilegien nehmen sie nur äußerst ungern in Kauf und empfinden diese eher als eine mit dem Job einhergehende Last, als sich darüber zu freuen. Ihr Wesen ist durchdrungen von Selbstlosigkeit und aufopfernder Demut dem Volk gegenüber. Deshalb schlafen solche Menschen auch besonders gut. Heißt es doch im Volksmund so schön: "Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen!"
Das für mich so Erfreuliche an den Märchen und deren oft recht gruseligen Inhalten ist das zumeist gute Ende der Story. Und auch bei dem soeben beschriebenen Kapitel verhält es sich ähnlich. Auch da gibt es das zumeist wunderbare Ende. Mit einer satten vorzeitigen Pension und meist fetten Abfertigungen, sofern der oder die trotz aller Unschuldsbeteuerungen dennoch den "Hut" nehmen musste, weil es vielleicht doch ein bisschen zu sehr geklemmt hat. Aber wegen des bisschen Schmiergelds gleich so einen Wirbel zu machen? Ist doch lächerlich. Na ja, jetzt wird zuerst einmal ordentlich ausgespannt. Ab in den Süden. Und die Sache mit dem schlechten Gewissen? Ein betroffener Poliotiker: "Was soll diese Frage ...?"
Ist doch herrlich, mit dem Gedanken-Pinsel durch die Landschaft zu ziehen und "malen" zu können. Das bringt Farbe in meine Landschaft. Und ehrlich gesagt, mich drückt keineswegs ein schlechtes Gewissen, wenn ich dabei dies oder das eher nicht allzu Angenehme für andere Augen und Ohren in meiner Gehirnkammer entdecke und ich es in Form von Niedergeschriebenem festhalte. Wobei ich nur darauf achten muss, nicht zu lügen. Oder zumindest nicht bewusst zu lügen, wenn ich etwas behaupte, was nicht hieb- und stichfest der reinen Wahrheit entsprechen sollte.
Jeder Mensch ist anders, jeder Mensch denkt anders und jeder Mensch empfindet anders. Was bei dem einen bereits bei einer winzig kleinen Notlüge zu einem Gewissenskonflikt führt, das wird ein anderer wahrscheinlich kaum jemals als Verfehlung empfinden. Manche Menschen lügen allerdings wie gedruckt, und bei vielen besteht anscheinend ihr ganzes Leben aus einer einzigen Lüge. Wären diese Menschen zart besaitet, dann würde ihr schlechtes Gewissen diese Saiten ebenso zerreißen wie ein Gitarre-Spieler, wenn er anstatt mit den Fingern täglich mit dem Küchenmesser an den Saiten zupft.
Manchmal wünsche ich mir, mein Gewissen würde die Dimension meines Sparbuchs annehmen. Dann wieder bin ich froh, doch ein anscheinend stattliches Konto in dieser Angelegenheit mein Eigen nennen zu können. Doch wegen jedes Furzes, den ich irgendwo aus mir in die Freiheit gelassen hab, möchte ich auf gar keinen Fall ein schlechtes Gewissen mit mir herumschleppen. Auch nicht, wenn ich in Gedanken diesen oder jenen zum Teufel wünsche und mir die Hände reibe, wenn es tatsächlich passiert.
Dankbar lächelnd und - durchaus mit gutem Gewissen!