Niederlagen verunreinigen mitunter den Brunnen aus dem wir täglich trinken müssen. Es gibt deren viele im Verlauf eines jeden Menschenlebens. Von einigen mir bekannten Niederlagen will ich hier berichten und ein paar Gedanken dazu bringen.
Sehr oft steckt ja der Teufel im sogenannten Detail. Hört sich irgendwie gut an die Sache mit dem Teufel und passt herrlich zu Niederlagen. Im vorliegenden Fall wird die Sache vielleicht schon allein deswegen irgendwie brisant, weil es sich um eine Niederlage handelt, die ganz bestimmt immer wieder vorkommt. Das Detail? Unvermögen, eine Situation richtig einzuschätzen!
Ein Mann lernt eines Tages durch Zufall eine attraktive Frau kennen. Keine Schönheit wie es deren ja Tausende gibt. Keine mit einem hochgestellten "Fahrgestell", glatten Gesicht, bestens gestylt, funkelnden Augen, einem eher kleinen Busen, gertenschlank bis bereits dünn, wie das die Männer in den meisten Fällen gerne mögen. Und doch hat sie mit diesen Glamour-Girls eines gemeinsam: Auch sie hat wallendes Haar, blitzende Zähne und sieht gut aus. Doch schon beim Gesichtsausdruck merkt man den Unterschied. Die Glamour-Girls befleißigen sich zumeist eines sorgfältig gewählten coolen Gesichtsausdrucks, haben außerdem schlanke Fesseln, und in einer ihrer zerbrechlichen Hände die obligate Zigarette, die sie an ihren je nach Anlass geschminkten Mund führen. Dazu einen Augenaufschlag, angepasst ganz dem Aussehen des auf sie zuschreitenden oder ihre Richtung kreuzenden männlichen Wesens. Mit der Sprache gehen solche Ladies eher vorsichtig um, will man sich doch nicht womöglich zu schnell verraten. Was Bildung und Kultur anbelangt.
Welche Art von Frau lernte nun unser Mann kennen?
Es handelte sich tatsächlich um eine Art Traumfrau. Zumindest kam ihm das so vor. Er war ja selbst nicht der Allergrößte, vor allem, was die Figur betraf. Und sie, die ihm jetzt begegnet war? Etwa fünf Zentimeter kleiner. Herrlich. Nur keine allzu Lange. Damit hatte er niemals wirklich echt etwas anfangen können. Doch die, von der hier die Rede ist, die passte in der Länge wunderbar zu ihm. Und - sie bewegte sich gut. Nicht gekünstelt hüftschwingend, wie das oft diejenigen Ladies machen, die besonderen Eindruck bei ihren männlichen Weggefährten machen wollen. Sie bewegte sich ganz natürlich und sehr harmonisch. Die Beine? Nicht von der Länge eines Models, doch sportlich muskulös, auf keinen Fall jedoch zu muskulös. Die stachen ihm sofort ins Auge und ebenfalls ihr knackiger Po, durch ihren Rock bestens erahnbar gemacht. Dann ihr Gesicht und das Leuchten in ihren Augen. Eher grünlich, als blau und mit diesem Glanz dahinter. Der musste doch etwas ganz Besonderes bedeuten! Oder? Jawohl! Er war sich der Sache sofort sicher! Etwas ganz Besonderes verbarg sich hinter diesen Augen! Das konnte gar nicht anders sein.
Dann die Stimme. Genau die richtige Tonlage, wie er sie so gerne irgendwo hörte. Wohlklingend und angenehm sympathisch, und mit einem leichten Akzent. Geheimnisvoll und ein bisschen fremdartig klang es mitunter aus ihrem hübschen Mund. Mit diesen Lippen, nicht zu schmal, ganz so, wie er das gerne hatte. Wunderschönen Lippen. Und es riss ihn förmlich von den Beinen, als sie ihn zum ersten Mal anlächelte. Meinte sie wirklich ihn? Er wollte sich bereits umdrehen, ob nicht eventuell ein anderer Mann in seiner Nähe stehen würde. Nein! Ganz allein stand er vor ihr und sie lächelte hin zu ihm. Er schluckte und fühlte sich in etwa so, wie wenn er mit zehn Kandidaten vor einer Jury stehen und einer davon für einen Traumjob ausgesucht werden würde. Ihn hatte ihn das Los getroffen. Genau so fühlte er sich jetzt, als er vor ihr stand und ihr Lächeln ihn traf wie der Mairegen einen frisch erblühten Kirschbaum.
Wunderbar, werden sich vermutlich jetzt etliche Leser denken. Es kann ja gar nichts Schöneres geben für diesen Mann. Wo steckt da auch nur der kleinste Anflug von Niederlage? Das war doch bis jetzt so etwas wie ein Sieg auf allen Linien!
Schon sehr bald scherzten die beiden, erzählten sich Stories aus ihrem Leben und, wenn sie ganz nahe bei ihm stand, da konnte er ihre Ausstrahlung förmlich in sich saugen. War es ihr Haar, das so wohlig roch oder witterte er bereits ihre intimsten Gerüche, drangen die sozusagen als Vorahnung in seine Nase?. Egal. Er war jedenfalls total hingerissen von ihrer Erscheinung und sein Herz schlug schneller, wenn er sie sah.
Sieg! Sieg! Sieg!
Alles in ihm schrie förmlich danach und er entdeckte, wie in sein in den letzten Jahren oftmals düsteres Inneres mit ihr ein gänzlich neuer Lichtschein gedrungen war. Mit ihrem Aussehen und dieser Art von Kommunikation. Freundlich, zugänglich, kontaktfreudig und doch irgendwie scheu und zurückhaltend. Das machte sie ja für ihn so besonders anziehend. Dazu weiblich-elegant. Da musste er doch förmlich anbeißen.
Er war der Fisch und ihre ganze Erscheinung der Köder. Und jetzt hing er bereits an diesem Haken. Wo er sich doch fest vorgenommen hatte, es niemals wieder passieren zu lassen, seit der Geschichte mit seiner Freundin. Jetzt hatte es ihn doch tatsächlich wieder erwischt. Total und gänzlich. Er spürte das ganz genau. Ein Wahnsinn, und doch war er irgendwie beunruhigt über dieses Gefühl in sich. Egal! Es war passiert. Wie wenn ein Unfall auf der Autobahn passiert. Im Nebel womöglich oder bei regennasser Fahrbahn. Ein Crash aus Unachtsamkeit. Schicksalhaft womöglich und nicht mehr abzuwenden, wenn es einmal gekracht hat. Jetzt hatte es bei ihm gekracht.
Natürlich hatten sie auch von Liebe gesprochen. Vom Verlieben und dass sich seit Jahren in dieser Hinsicht sehr wenig bei ihr getan hatte und sie momentan solo wäre. Damit schritt sie durch die letzte Türe in sein Inneres, und manchmal kam ihm sein Leben jetzt wieder vor wie ein Spaziergang über eine Sommerwiese. Mit bunten Schmetterlingen, summenden Hummeln und duftenden Blumen. Irgendwie hatte er Angst, ihr von den Gefühlen in seiner Brust zu erzählen. Zu sehr hatte ihn die Sache mit seiner Freundin innerlich wundgeschlagen und an manchen Tagen kam er sich vor wie ein Baum, dem man mit der Motorsäge den Lebenssaft abgeschnitten hatte.
Einige Wochen waren seither vergangen. Mit Weihnachtsfeiern rundum. Ihm war in den letzten Jahren kaum jemals zum Feiern zumute gewesen. Doch diesmal verspürte er in sich diese Aufbruchsstimmung. Trieb sein "Stumpf" tatsächlich nochmals aus? Aus Freude darüber betrank er sich ein wenig. Oder vielleicht sogar mehr. Kann sein, und im Überschwang seiner Gefühle schickte er ihr eine SMS-Nachricht.
Dann kam ihre Antwort. Nicht sofort, erst am nächsten Tag. Immer wieder las er sie und konnte es kaum fassen. Klipp und klar stand es am Display und er schluckte und fühlte sich wie ein Beduine, der tagelang durch die Wüste torkelt und sein Kamel hinter sich herzieht. Dann steht er plötzlich vor dem Wasserloch und kniet sich zum Trinken hin. Den Beduinen fanden die Geier, er war einer Fata Morgana aufgesessen. Genau wie unser Mann. Schuld war das Detail und der Teufel. Er hatte vergessen, den reifen Apfel zu pflücken. Und jetzt? Vor kurzem hatte dies anscheinend ein anderer getan ...
***
Kommen wir zur nächsten Niederlage. Einer Niederlage, die vielleicht ein Zehntel aller Männer betrifft und die sich praktisch von der Geburt bis hin zum Tod wie der sprichwörtliche "rote Faden" durch einen Roman zieht. Nicht abwendbar und auch mit noch so viel Bemühen nicht vermeidbar. Auch nicht der ehrgeizigste und auch nicht der allerfleißigste Mann kann sie verhindern. Und auch nicht der reichste. Wo es doch heißt, dass man sich mit dem nötigen Kleingeld alles auf dieser Welt kaufen kann. Oder zumindest beinahe alles. Alles anscheinend jedenfalls doch nicht. Auch ein Milliardär mit all seinem Mammon nicht, und wenn er ein davon Betroffener ist, so wird er trotz seines vielen Geldes mit dieser Niederlage leben müssen, ob er will oder nicht!
Interessiert habe ich schon mehrmals Meinungsumfragen im Radio oder TV verfolgt oder darüber in Zeitschriften gelesen. Stets wurden die Frauen und Mädchen dabei Folgendes gefragt: "Was ist das allerwichtigste Merkmal, das für Sie ein Mann aufweisen sollte?"
Bei der überwiegenden Mehrheit aller Befragten stand nicht das Geld an erster Stelle und schon gar nicht, dass der Mann nett sein müsste oder gebildet oder mit guten Manieren ausgestattet. Das alles war den Ladies nicht sonderlich wichtig. Die Antwort lautete beinahe durch die Bank und wie aus der Pistole geschossen: "Groß muss er sein!"
Die Damen vermuten vielleicht nicht ganz zu Unrecht, dass ja nicht nur die Beine lang sind bei großen Männern oder die Arme, die Finger, die Ohren und die Zehen. Die sind tatsächlich zumeist groß, sofern ein Mann eine derartige Körpergröße aufweist. Und weil eben anscheinend immer mehr Frauen beim Sex immer weniger oft von ihren Männern befriedigt werden können, deshalb wünschen sich die Frauen oft auch dafür einen möglichst großen Kerl. In der Hoffnung, der Große schafft, was vermutlich der Kleine nicht zuwege bringt.
So oder ähnlich scheint der überwiegende Teil der Weiblichkeit zu denken, und es mag durchaus ein bisschen Wahrheit dahinterstecken. Andererseits macht mich Folgendes stutzig: Es wachsen vor allem junge Menschen förmlich in den Himmel. Allein diese Tatsache müsste doch die allerbesten Liebhaber ergeben. Mit tollen "Längen".
Warum gleiten dennoch immer mehr Frauen und auch junge Mädchen in ein Lesben-Dasein ab und bevorzugen damit eine Art Sex ohne irgendeine Länge? Oder hat das sexuelle Verlangen einer Frau überhaupt nichts mit der Körpergröße des Mannes zu tun? Fühlt sich eine Frau ganz einfach besser bei einem Großen aufgehoben und beschützt und steht schon allein deshalb die Größe ganz oben auf der Wunschliste?
Doch weiter bei unserem Thema. Ein kleingewachsener Mann wird im Leben mit dieser wahrhaft großen Niederlage leben lernen müssen, ob er das nun will oder nicht.
Ich kannte einen netten jungen Kerl. Er war nicht feindselig wie das kleinen Männern oftmals nachgesagt wird, und in vielen Fällen verhielt er sich respektvoll und hilfsbereit. Und doch war das Leben für ihn zur absoluten Hölle geworden. Von morgens bis abends hörte er die verschiedensten Sprüche. Immer wieder. Drei davon als Beispiel für viele. Na Kleiner, du hast es schön, kannst in der Straßenbahn um den halben Preis fahren! Oder: Hallo, du Wicht, hast du dich eigentlich schon einmal beworben um eine Stelle? Ich weiß einen Job für dich - beim Minimundus suchen sie einen Hausmeister." Oder, ebenso unerfreulich: "Na, du kleiner Hosenscheißer, werd nur ja nicht frech. Sonst kannst gleich eine abfangen!"
Muss ich noch mehr sagen? Natürlich war die Größe dieses Mannes unter 1,60 m. Irgendwann hab ich ihn nicht mehr gesehen. Erst wieder am Friedhof, da haben sie ihn in einem Kindersarg zum Grab getragen.
Ganz so schlimm ist es für die meisten kleineren Männer ja doch wieder nicht, sofern sie zumindest mit den mittelgroß gewachsenen Damen mithalten können, aber kleiner sollte man wirklich nicht sein. Da wird es eng, wie beim vorhin Beschriebenen, der sich eines Tages aus Gram über sein Kleinsein erhängt hatte. Ohne jemals auch nur die geringste Schuld auf sich geladen zu haben hatte ihn das Leben so grauenhaft bestraft.
Hat die Natur bewusst diese Komposition vorgenommen und für kleine Männer womöglich auch Vorteile geschaffen?
Eher kaum. Sieht man davon ab, dass sie sich bei Eingängen nicht zu bücken brauchen. Ein halbwegs groß gewachsener Vollidiot wird tausendfach größere Chancen haben im Leben als ein "Liliputaner". Auch der klügste und gebildetste, auch der mit besten Manieren ausgestattete Kleine wird keine Chance gegen einen Langen haben. Da müsste er schon über und über mit anderen guten Gaben förmlich behangen sein, und vor allem dürfte eines dabei dennoch nicht fehlen. Der Mammon.
Geld könnte einiges kompensieren, aber bei weitem nicht alles. Die Geliebte eines kleingewachsenen Millionärs wird zwar alle Vorzüge genießen, die ihr der Mann auf Grund seines Vermögens bieten kann, dennoch wird sie vermutlich heimlich hinschielen zu einem Großen und sich so ihre Gedanken machen.
Den "Kleinen" rufe ich hiermit zu: "Kopf hoch und ab in ein Land, wo es deren noch viele gibt! Sonst könnt ihr einpacken, oder euch mit dieser Niederlage auf einem Bild verewigen lassen. Am besten, wenn ihr euch einzeln zwischen zwei Große stellt. Da seht ihr dann deutlich den Unterschied. Und das ganz Schlimme daran: Beinahe alles im Leben lässt sich verändern. Der Kleine hat jedoch keine Chance, jemals groß zu werden. Oder ist das in Zukunft vielleicht doch möglich? Manchmal hört man von Behandlungen mit Wachstumshormonen, die aber anscheinend unter anderen Störungen auch zu Impotenz führen können.
Die "Kleinen" haben also ihre Niederlage und manchmal ist diese Niederlage so etwas wie ein Antrieb und entfacht bei kleinen Menschen eine besondere Art von Ehrgeiz und Zielstrebigkeit mit der sie diese Niederlage zu kompensieren versuchen.
***
Niederlagen gibt es Tausende in jedem Menschenleben. Niederlagen, die nichts mit der Körpergröße zu tun haben. Die habe ich nur für dieses eine Beispiel herangezogen. Dennoch frage ich mich, warum wir mit so vielen Niederlagen in unserem Leben zu kämpfen haben? Niederlagen aller Art. Niederlagen bei Sport und Spiel, Niederlagen in mitmenschlichen Beziehungen, Niederlagen gegen Krankheiten. Niederlagen beruflich und privat, als Kinder oder Erwachsene, in körperlichen und sehr oft auch in seelischen Belangen.
Warum gibt es so viel Unrecht auf dieser Welt, warum so viele Missstände? Warum so viel Leid und oftmals so große Not? Oder dienen alle diese Niederlagen als eine Art Gegenpol zu all dem Schönen und zu all den oftmals förmlich überschäumenden Glücksgefühlen, die uns immer wieder beschert werden?
Sind es nicht sehr oft gerade Niederlagen, die Menschen reifen lassen und sich dabei auch hier Niederlagen manchmal durchaus positiv auswirken? Obwohl wir dazu neigen, Siege viel weniger zu registrieren als die vermeintlichen Niederlagen.
Sind die vielen Unglücksfälle auf dieser Erde und im menschlichen Dasein womöglich sogar notwendig, um die Waage aufrecht zu halten, auf der bereits unzählige Siege liegen? Siege in der Natur, mit tausenden herrlichen Erscheinungsformen. Und dazu die wunderbaren Erlebnisse im Verlauf eines jeden Menschenlebens? Sorgen Niederlagen für eine Art Gerechtigkeit und dienen sie tatsächlich einem Ausgleich, ohne den ein Leben auf unserem Planeten vielleicht nicht möglich wäre?
***
Womit alle diese Niederlagen letztendlich, und für den menschlichen Verstand kaum fassbar, doch noch zu Siegen werden könnten ...