Natürlich wusste er von Ärzten und dass vor allem ältere Frauen die Ordinationen regelrecht bevölkerten. Nicht allein, weil sie Medikamente benötigten oder sie wieder einmal mit dem Onkel Doktor über ihre Wehwehchen sprechen wollten. Ordinationen in unserem ländlichen Bereich dienten diesen Besucherinnen vor allem dazu, um ein bisschen Information auszutauschen. Ähnlich wie beim Frisör.
Er, von dem hier die Rede ist?
Das letzte Mal war er mit ungefähr 45 Jahren beim Arzt. Nicht, weil er sich krank fühlte, er wollte sich einmal routinemäßig untersuchen lassen. Eine von vielen Seiten empfohlene Gesundenuntersuchung. Das wars dann aber auch schon.
Jetzt war er 64 und er fühlte sich rundum gesund bzw. er hatte sich bis vor wenigen Tagen rundum gesund gefühlt. Doch dann kam diese Nacht auf Mallorca ...
Was war geschehen?
Begonnen hatte alles relativ harmlos vor ungefähr zwei, drei Jahren. Das war der Zeitpunkt, wo er nachts manchmal zwei Mal aufwachte, um Wasser zu lassen. Nicht immer zweimal, doch einmal musste er nächtens bereits seit Jahren das WC aufsuchen, um es sich dann wieder in seinem Bett gemütlich zu machen.
In der jetzt beschriebenen Nacht? Da saß er jede halbe Stunde am Klo im Hotel. Nicht, weil es ihm da so gut gefallen hätte, obwohl es ein schönes Badezimmer mit Klo war. Er saß auch nicht locker oder entspannt auf dem Deckel der Klomuschel, er keuchte und drückte und zog sogar hin und wieder verzweifelt an seinem besseren Stück, um zumindest einige Tropfen in die Freiheit zu lassen. Tränen kollerten beinahe so schnell aus seinen zusammengekniffenen Augen, wie das unten der Fall war und die Schmerzen beim Wasser-Lassen waren so groß, dass er meinte, es kaum noch aushalten zu können.
Eine ungeheure Panik erfasste ihn, und er wusste nicht, was er tun sollte. Er war ja allein unterwegs und sollte am nächsten Tag die zweite Runde beim Senioren-Tennis-Turnier spielen. Dazu war er nach Mallorca geflogen, um dieses Turnier zu spielen. Wie eigentlich schon seit mehreren Jahren Mitte Oktober. Wunderschön immer diese Woche auf Mallorca und im Vorjahr war er sogar bis ins Semifinale gekommen. In einem 128-er-Turnierraster hatte er die 6. Runde erreicht und da war alles noch bestens.
Und jetzt?
Das Turnier war mit einem Mal totale Nebensache. Sein einziger Gedanke war, wie er die Nacht überleben könnte. Mit diesen Schmerzen, mit dieser Verzweiflung in sich und der dumpfen Ahnung, dass es vielleicht sein Schicksal war, im Ausland sterben zu müssen und nie mehr nach Hause zu kommen. Schon bei der Fahrt zum Flughafen, zu dem ihn sein Sohn kutschiert hatte, spürte er irgendwie dieses Gefühl in sich hoch schleichen, dass dies eventuell ein Abschied sein könnte. Ein Abschied für immer. Doch er dachte eher an einen Flugzeug-Absturz oder dass er womöglich im Meer umkommen könnte. Wo er doch jedes Jahr zu den Klippen ging, um an diesem eher abgelegenen Ort ins Wasser zu springen. Er liebte diese Stelle, wo die Felsen steil aufragten und das Meer zumeist wild brandete. Vor allem, wenn das Wetter und der Wind die Wellen anschwellen ließen. Da genoss er immer diese Wildheit und mit Herzklopfen sprang er jedes Jahr in die Fluten, um sich nach dem Spielen zu erfrischen und dieses besondere Flair zu genießen. Ganz allein, nur die Möwen kreischten immer, und ab und zu tuckerte ein Boot in der Nähe vorbei.
Wenn es allzu sehr brandete, dann saß er an den Klippen und erfreute sich an der Gischt und am Anblick dieser Gewalten. Denn lebensmüde war er nicht, und die Gefahr hier ins Wasser zu springen war zu groß, auch wenn er ein guter Schwimmer war.
Doch jetzt?
Er hatte dieses ungute Gefühl beim Abflug in sich, umarmte seinen Sohn und drückte ihn fest an seine Brust. Seinen Sohn, den er so liebte. Doch er ließ sich nichts anmerken von seinen Gedanken, schnappte seinen Koffer und winkte nochmals zum Abschied, während sich das Auto wieder entfernte.
Später, nach dem Einchecken, betrachtete er die Menschen in seinem Gate, die wie er auf das Boarding warteten. Das machte er immer, wenn er irgendwo hin flog. Aus den Gesichtern und dem Verhalten der Mitreisenden suchte er zu erkennen, ob dies für alle evtl. der letzte Akt ihres Lebens wäre. Denn bei einem Flugzeugabsturz gab es nur in den allerwenigsten Fällen Überlebende. Er konnte nichts Besonderes erkennen. Die Menschen schienen keinerlei Todesahnung in sich zu spüren. Vielleicht ging es dem einen oder anderen so wie ihm, dass ein bisschen Angst mit an Bord ging, doch er konnte in keinem Gesicht Anzeichen des nahenden Todes erkennen.
In der vorhin beschriebenen Nacht sah er zwar nicht in den Spiegel, doch er fühlte den Schmerz und die Verzweiflung in sich. Was sollte er tun? Weiter ausharren und auf ein Wunder hoffen, dass die Sache mit dem Wasser-Lassen besser werden würde, oder sollte er den Portier anrufen und ihn bitten, eine Einlieferung ins Krankenhaus zu veranlassen oder zumindest einen Arzt zu rufen? Jetzt, um ungefähr drei Uhr nachts.
Er schleppte sich wieder hin zu seinem Bett, keuchte und überlegte. Nein, wer weiß, was die mit ihm machen würden, ein bisschen wollte er noch zuwarten. Vielleicht würden die Schmerzen doch wieder vergehen. Eine Schmerztablette hatte er schon vor ca. einer Stunde genommen. Solche Tabletten hatte er zur Vorsorge immer in seiner Toilette-Tasche. Vor allem, um eventuelle Zahnschmerzen oder Kopfweh etc. damit zu bekämpfen. Oder wenn ihn vom vielen Laufen beim Spielen womöglich die Muskeln schmerzen würden.
Das war die Idee. Er würde noch eine zweite Tablette zu sich nehmen und weiter sehen. Er sah sein Tagebuch auf dem Nachttisch liegen, das hatte er immer bei sich. Auch im Ausland. Jetzt klappte er es auf und schrieb hinten zwei Seiten voll. Zur Sicherheit und mit zittriger Schrift. Gedanken dazu, wenn er womöglich nicht mehr nach Hause kommen könnte. Einige erklärende Worte für seine Kinder, und wo sie was finden könnten. Denn er lebte seit Jahren allein und sein Herz krampfte sich zusammen, als er die zwei Seiten voll schrieb. Mit dem Handrücken wischte er sich zwischendurch über die Wangen. Diesmal waren es seelische Schmerzen, die das Wasser aus seinen Augen drückten.
Noch während er schrieb, verspürte er wieder diesen Druck, und er schleppte sich erneut aufs Klo und presste. Ein bisschen kam auch diesmal wieder in die Muschel. Also war doch noch nicht alles total verstopft. Das ließ ihn wieder hoffen.
Irgendwann wirkte die zweite Tablette und er konnte tatsächlich kurz einschlafen. Doch sicher nicht länger als eine Stunde, dann saß er bereits wieder am Klo. Diesmal mit weniger Schmerzen, und irgendwie schien es ihm, als würde sogar mehr Harn weggehen
Eine Woche später wieder zu Hause.
Es ging ihm wieder besser, zumindest zeitweise besser. Es war doch vielleicht nur eine Verkühlung oder eine Harnröhrenentzündung. Das Meer war zwar noch immer relativ warm gewesen, doch vielleicht hatte er sich dennoch verkühlt. Oder? Na ja, er würde heute den Arzt aufsuchen. Am Nachmittag und zuerst noch einen kleinen Spaziergang machen um diesen See. Sicher ist sicher. Vielleicht brauchte er doch irgendwelche Medikamente, um die Sache wieder ganz in Ordnung zu bringen. Obwohl er jetzt, nachdem es ihm wieder besser ging, noch immer der Meinung war, dass sein Körper stark genug wäre, von sich aus wieder gesund zu werden.
Der Harn ist in Ordnung. Es handelt sich um keine Entzündung. Du solltest am besten so bald wie möglich zum Urologen fahren. Ich lass dir eine Überweisung ausstellen.
Der Arzt seines Vertrauens, den er, wie bereits erwähnt, vor ungefähr 20 Jahren zum letzten Mal aufgesucht hatte, und den er aus seiner Tätigkeit als Heilmasseur gut kannte, weil der Doktor als junger Arzt damals in der selben Firma als Arzt tätig war, bevor er sich nach einigen Jahren selbständig machte, sprach diese Worte zu ihm und schüttelte den Kopf, ob seiner Nachlässigkeit, niemals wieder zu einer Vorsorge-Untersuchung gekommen zu sein.
Was könnten die Ursachen für meine Schmerzen beim Wasserlassen sein, wenn es sich um keine Harnröhrenentzündung handelt?
Der Urologe wird das untersuchen. Es könnte sich um ein Prostata-Problem handeln.
Drei Tage später beim Urologen.
Er hatte einen Nachmittagstermin gewählt und war dazu mit seinem Auto an diesem milden Herbsttag ca. eine Stunde hin zu diesem Ort gefahren. Er parkte sein Auto einige hundert Meter weg von der Ordination vor einem Billa-Laden, fragte in einem Geschäft nach der Ordination und wartete vor dem Eingang. Punkt 14 Uhr betätigte er die Klingel und wurde eingelassen.
Tut mir leid, Sie sind nicht vorbestellt. Der Doktor hat heute viele Termine, ich kann Ihnen einen solchen geben. Allerdings sind wir in den nächsten Wochen ziemlich voll.
Vielleicht können Sie bei mir eine Ausnahme machen. Ich bin von weit her zu Ihnen gefahren, weil es anscheinend dringend ist, wie mir mein Hausarzt gesagt hat.
Na ja, warten Sie. Ich werde den Chef fragen.
Die Ordinationshilfe war nett und hatte anscheinend für ihn Verständnis, sie lächelte sogar ein wenig. Mittlerweile hatte sich der Vorraum gefüllt. Vier Männer und eine Frau hatten Platz genommen.
Sie haben Glück, der Doktor wird Sie heute noch untersuchen. Aber vorerst müssen Sie ein bisschen warten. Er war erleichtert und richtig froh, ließ sich den Harnbecher reichen, ging zur Toilette und gab ein bisschen Harn ab. Den Becher konnte er auf einer dafür vorgesehenen Stellage stehen lassen. Dann setzte er sich wieder in den Warteraum. Sein Wasser-Lass-Problem war in den letzten Tagen wieder schlechter geworden. Nicht nur nachts musste er vermehrt aufs Klo, auch am Tag kam der Druckschmerz oftmals beinahe überfallsartig. Doch irgendwie hatte er es immer noch geschafft, schnell ein Örtchen zum Ablassen zu finden. Zu Hause war das kein Problem, doch beim Auto- Fahren fuhr er dann und wann an den Straßenrand und schlug sich in die Büsche. Das war in der ländlichen Gegend, in der er wohnte, zumeist ohne viel Aufwand möglich. Auch in der nächsten Stunde beim Warten auf die Untersuchung musste er wieder zweimal auf die Toilette. Er blätterte in der Zeitschrift, doch ohne Brille konnte er nichts lesen, sie diente ihm nur dazu, um nicht auf die anderen Wartenden schauen zu müssen. Und doch beobachtete er sie aus den Augenwinkeln. Drei eher ältere Männer, nur ein Junger war darunter. Keiner sprach auch nur ein Wort, alle saßen still da und blätterten wie die Frau in einer Zeitschrift. Nur einer starrte richtiggehend vor sich hin.
Mit Schaudern dachte er zurück an die Erstuntersuchung bei seinem Hausarzt im beinahe übervollen Warteraum. Zweimal hatte er damals bereits in dieser Stunde des Wartens die Toilette aufsuchen müssen und hatte wie in den letzten Tagen und Nächten unter Schmerzen Wasser abgelassen. Dann war er endlich aufgerufen worden. Er war in das Sprechzimmer des Arztes gewiesen worden, der hatte mehrere Räume zur Verfügung, um die Patienten zu untersuchen oder zu behandeln. Er wartete und plötzlich war wieder dieser wahnsinnig schmerzhafte Drang gekommen. Doch die Toilette war draußen vor der Ordination auf dem Gang. Was sollte er tun? Er keuchte und versuchte, den Harndrang zurückzuhalten und vor Schmerz verzog er sein Gesicht. Da dachte er an seine Flasche, die er im Rucksack stecken hatte. Die war halb leer, die andere Hälfte hatte er bei seinem Spaziergang getrunken. Sollte er oder sollte er nicht? Er hatte keine Wahl er musste. Hastig hatte er die Flasche aus der Halterung genommen, die Hose runtergelassen und
Wenn jetzt die Ordinationshilfe hereingekommen wäre, was dann?
Zum Glück kam niemand, doch mit einem Mal hatte ihn eine ungeheure Panik erfasst und der Angstschweiß stand auf seiner Stirn. Dann kam der Doktor, und er war erleichtert. Er hatte es nochmals geschafft, die Flasche hatte ihn sozusagen gerettet. Die Situation hier beim Urologen war dagegen echt angenehm. Da kannte ihn niemand und die Toilette war nur einige Schritte entfernt. Da konnte ihm nichts passieren.
Was war nur los mit ihm? Das Wasser-Lass-Problem war in letzter Zeit echt schlimm geworden. Was würde der Doktor als Ursache finden? Diese Gedanken beschäftigten ihn. Womöglich handelte es sich doch um ein Prostata-Problem.
Kommen Sie bitte mit!
Die Tür war aufgegangen und der Doktor stand im weißen Gewand vor ihm. Er lies ihn vor sich eintreten, reichte ihm seine Hand und sah ihn erwartungsvoll an.
Was führt Sie zu mir?
Der Doktor war Mitte vierzig und machte auf ihn einen sympathischen Eindruck.
Mein Hausarzt hat mir eine Überweisung ausgestellt. Ich hab ein Problem mit meiner Abwasser-Anlage.
Das klang zwar irgendwie blöd und doch was sollte er anderes sagen.
Schauen wir einmal. Legen Sie sich bitte auf die Liege, ziehen Sie die Hose nach unten und machen Sie sich frei.
Der Doktor machte sich in seiner Problemzone zu schaffen. Tastete ihn ab, fuhr wie bei Schwangeren mit einem Ultraschallgerät über seinen Bauch, danach machte er noch einen Tastversuch zur Prostata durch seinen After.
Hm, sieht nicht gut aus! Sie wollen doch auch, dass ich Ihnen hier reinen Wein einschenke?
Bitte, sprechen Sie!
Die Blase ist zum bersten gefüllt, ich muss Ihnen als erste Maßnahme einen Katheter setzten. Wie lange haben Sie bereits diese Probleme?
Seit Juni vermehrt. Mit immer wieder besseren Tagen und Nächten, doch in letzter Zeit war es echt schlimm.
Sie haben mit Sicherheit ein Prostata-Problem. Um Klarheit zu bekommen, muss ich Sie in ein Krankenhaus auf eine Urologie zur genaueren Untersuchung überweisen. Dort kann man feststellen, ob es sich nur um eine Vergrößerung Ihrer Prostata handelt, oder ob evtl. ein Karzinom vorhanden ist. Was ich für Sie nicht hoffe!
Der Arzt machte sich mit seiner Assistentin ans Werk und führte ihm einen Katheter durch die Harnröhre ein. Er ließ alles mit doch einigen Schmerzen über sich ergehen und fühlte sich elendiglich und ausgeliefert. Er, der immer meinte, total fit zu sein und bis jetzt eher der Ansicht war, dass Ärzte zwar notwendig, doch die Menschen viel zu oft und auch eher unnötig Ordinationen und dergleichen aufsuchten, um sich mit Medikamenten für jedes noch so kleine Problem einzudecken.
Legen Sie sich bitte in den Nebenraum auf die Liege. Wir müssen die Blase ordentlich durchspülen. Es war höchst an der Zeit, Ihre Nieren waren echt in Gefahr.
Er wechselte den Platz, stelzte mit bis an die Knie heruntergezogener Hose in den Nebenraum und legte sich auf die Patientenliege. Sein Glied schmerzte und ein Gefühl von Ohnmacht durchzog ihn. Er war mit einem Schlag nicht nur krank, sondern ein Patient wider Willen geworden
Fahrt zum Krankenhaus in die Urologie.
Um 5 Uhr war er aufgestanden, hatte einiges fürs Krankenhaus zusammengepackt und war kurz nach ½ 6 Uhr losgefahren. Ursprünglich wollte ihn seine Tochter diese 1 ½ Stunden zum Krankenhaus fahren, doch er dankte und sagte, dass er das ohne weiteres selbst machen könnte. Das einzige, was ihn jetzt echt störte, war nicht mehr sein Wasser-Lass-Problem, das hatte sich mit dem Einsetzen dieser Plastik-Leitung durch die Harnröhre in seine Blase erledigt, jetzt störte ihn vielmehr dieser Fremdkörper in seinem Penis und der Plastik-Beutel, den er an seinem rechten Bein festgebunden hatte und in den seit zwei Wochen sein Harn immerfort floss. Etwa alle zwei Stunden musste er diesen Sack entleeren, wozu ein Kipp-Verschluss am Ende des Plastik-Beutels angebracht war.
Er kurvte bei völliger Finsternis los. Es war ja November, da gab es um diese Zeit noch kein Licht. Die Überweisung hatte er mit und einige Sachen, die er im Krankenhaus brauchen würde. Es war ein Dienstag-Morgen, und wie immer, wenn er zeitig früh irgendwohin fuhr, bemerkte er, wie die Menschen speziell um diese frühe Zeit dahinpreschten. Auch im Nebel. Wahrscheinlich waren die meisten spät dran, um in die Arbeit zu fahren. Da wurde überholt, riskiert und er schüttelte dazu nur den Kopf. Einer fuhr sogar über die doppelte Sperrlinie und noch dazu in einer Kurve. Ein Wahnsinn. Wenn dich da einer abschießt, dann brauchst du nicht mehr selbst ins Krankenhaus fahren. Da kommt die Rettung oder der Hubschrauber oder womöglich der schwarze Wagen mit dem Wolf drauf. Dann hast du ausgesorgt, und zwar für immer. Dann gibt es kein Prostata-Problem mehr.
Er fuhr bedächtig und seine Gedanken kreisten. Das mit dem PSA-Wert war echt ein Schock für ihn gewesen. Vorgestern hatte ihn der Urologe noch am Abend angerufen und ihm mitgeteilt, dass sein Wert 72 betragen würde. Extrem hoch, wie der Arzt am Telefon meinte. Aber es kann sein, dass der Wert verfälscht ist, weil die Blase in den letzten Wochen niemals mehr richtig entleert worden sei. Verfälscht also, das ließ ihn hoffen. Vielleicht würde der Wert jetzt, nachdem der Katheter die Arbeit des Blasen-Entleerens übernommen hatte, echt besser sein.
Im Internet hatte er sich kurz über PSA-Werte informiert. Bis 1 oder 2 war das scheinbar bei älteren Männern eher normal, doch Werte, die über 4 oder gar 10 hinausgingen da wurde die Sache echt bedenklich. Und er? Mit einem Wert von 72! Da hat sogar der Urologe am Telefon nachdenklich gewirkt. Na ja, vielleicht war dennoch alles nur halb so schlimm. Obwohl der Urologe noch gemeint hatte, dass sich sein Verdacht eher bestätigt hat, und er mit einem positiven Biopsie-Befund rechnen müsste. Positiv klingt gut, dachte er, doch in diesem Fall war positiv absolut negativ und würde bedeuten, dass der Krebs bereits die Hand auf seine Prostata gelegt hatte.
Krebs? Nein! Bei mir nicht! Den bekommen zumeist die, die genetisch erblich belastet sind, weil der Vater oder Verwandte daran zugrunde gegangen sind. Er konnte sich nicht an so einen Fall in seiner Familie erinnern. Einzig die Schwester seiner Mutter war an Krebs verstorben und sein Großvater mütterlicherseits an einer schweren Lungenerkrankung. Einer aus der Verwandtschaft seiner Mutter an Kehlkopfkrebs. Sein Vater hatte keine Probleme mit seiner Prostata, der siechte an Parkinson dahin. Mit 70 hatte ihn diese Krankheit befallen und knapp vor seinem 80er wurde er in den Sarg gelegt. Echt traurig auch für ihn, und er dachte an seinen Vater und an dessen Kampf mit der Krankheit. Zuerst das Zittern der Hände, dann Schluckprobleme und danach dieses Zappeln der Beine und das immer öfter vorkommende Hinfallen auf den Boden. Bis er dann am Ende gar nichts mehr in seine Kehle bekommen hatte und nach einem kurzen Krankenhaus-Aufenthalt zu Hause einschlief. Für immer.
Krebs? Nein danke! Bei ihm würde es sich wohl nur um eine Vergrößerung der Prostata handeln. Das haben doch sehr viele Männer über 60 Jahren. Was sagt da schon ein PSA-Wert aus! Nichts! Absolut nichts! Oder ?
Mit diesen Gedanken fuhr er dahin. Inzwischen war er auf die Autobahn gekommen und am Himmel zeigte sich das erste Licht des anbrechenden Morgens. Wunderschön anzusehen wie sich der Himmel aus einem beinahe dämonischen Dunkel nach und nach verfärbte. Zuerst ging das Schwarz in ein Grau über, dann waren einige helle Flecken dazwischen zu sehen und auch bereits ein Anflug von Blau. Oder bildete er sich das nur ein? Er fuhr ja Richtung Osten und somit der Sonne entgegen. Allerdings würde es noch einige Zeit brauchen, um die ersten Strahlen zu entdecken. Noch herrschte das Dunkel über das Licht.
Auch in seinem Inneren war in etwa die gleiche Stimmung, als er endlich den riesigen Parkplatz vor dem Krankenhaus erreicht hatte. Dreimal fuhr er die Autoreihen ab, doch alle Plätze waren besetzt. Kurz nach 7 Uhr am Morgen restlos besetzt. Er fuhr in eine andere Richtung und fand einiges entfernt einen Platz. Allerdings in einer Seitenstraße und hoffentlich konnte er da parken. Es war eine Wohnsiedlung und die Parkplätze vor den Häusern waren wohl für die Bewohner vorgesehen. Aber irgendwo musste er sich hinstellen. Die Zeit drängte. Um ½ 8 Uhr sollte er in der Urologie sein. Den kleinen Koffer schnappen und auf zum Krankenhaus. Der Sack an seiner Seite war auch bereits einigermaßen voll, das spürte er beim Gehen deutlich. Also schnell auf ein WC. Im Krankenhaus würde das wohl kein Problem sein.
Können Sie mir sagen, wie ich hier zur Urologie komme?
Da vorne im Hauptgebäude und dann rechts halten. Ambulant oder stationär?
Aufnahme. Ich muss bleiben.
Aha, dann müssen Sie in den dritten Stock mit dem Lift. An der Ambulanz vorbei, dann links durch den langen Gang und dann mit dem Lift. O.k.?
Danke!
Der Stress hatte ihn voll gepackt. Doch irgendwie kam er nach nochmals zweimal fragen an den Ort seiner Bestimmung. Zuvor hatte er noch ein WC aufgesucht und seinen Plastik-Anhang am Bein entleert, wozu er den Schuh ausziehen und die Hose hochkrempeln musste. Dann auf die Muschel gestiegen und den Verschluss öffnen. Jetzt plätscherte der Harn in die Öffnung. Eine echte Erleichterung. Zum Glück war der Sack dicht. Das war nicht immer so, und mit Grauen dachte er an den Tag zurück, als der Sack an der Abflussklemme undicht geworden war. Damals war er echt fertig mit den Nerven, denn er konnte den Harnfluss ja nicht stoppen. Doch er hatte jetzt keine Zeit, länger darüber nachzudenken. Kurz darauf stand er im Gang, in dem bereits einige warteten. Männer und Frauen. Ein Sessel war noch frei, auf den setzte er sich mit einem vor sich hin gemurmelten Gruß.
Muss man sich anmelden?
Nach einiger Zeit fragte er den neben ihm Sitzenden.
Ich weiß es selbst nicht genau, wir warten alle schon längere Zeit. Aber wir sind noch zu früh, die Ärzte und Schwestern werden gleich kommen.
Danke!
Dann kam ein Putztrupp vorbeigefahren, danach eine Zeitungsfrau, dann die erste Schwester. Oder handelte es sich um eine Ärztin. Keine Ahnung. Eine wartende ältere Frau klopfte an einer Tür. Heraus kam eine Schwester.
Bitte um etwas Geduld! Gleich geht es los. Ich werde gleich mit der Liste kommen.
Eine halbe Stunde mochten alle bereits gewartet haben. Zweimal kamen Männer im langen weißen Nachthemd des Krankenhauses am Gang vorbei. Jeder trug einen gefüllten Kathetersack in der Hand wie eine Aktentasche, und der Schlauch war nur halb zu sehen. Blutrot gefärbt war der durchsichtige Beutel bei jedem der beiden Patienten. Sie mussten um die Ecke auf die Toilette. An der WC-Tür hier hing ein Schild, dass das WC vorübergehend geschlossen wäre. Aus baulichen Gründen.
Er atmete bereits tief, und nach und nach traten die ersten Schweißtropfen auf seine Stirn. Das Warten hier war schlimmer als in den Ordinationen bei seinem Hausarzt und dann beim Urologen. Er spürte deutlich den Stress, und ein Gefühl von Verlassenheit und Unsicherheit durchzog ihn immer heftiger. Die wartenden Menschen, alle hatten wohl ein Problem mit ihrer Gesundheit. Ein älterer Mann stöhnte und seine Begleiterin versuchte ihn zu beruhigen. Eine noch eher junge Frau klopfte mit ihren Fingern an die Wand. Nervös an die Wand. Ein gut gekleideter Mann ging den Gang schon mehrmals auf und ab und murmelte etwas vor sich hin, das sich in etwa so anhörte: Wo zum Teufel bleibt der Oberarzt? Man hat mir doch gesagt, dass er gleich kommen würde.
Eine Reinigungsfrau wischte über den Gang und mehrere Ärzte in weißen Mänteln kamen vorbei und verschwanden weiter vorne in einem Raum. Da öffnete sich die Tür und die Schwester von vorhin stand gleich darauf in der Gang-Mitte. Sie hielt eine Liste in der Hand. Dann rief sie nach und nach einige Namen auf. Auch seinen.
Bitte alle Aufgerufenen zu mir kommen und einen Harnbecher holen. Danach den Becher bei mir wieder abgeben.
Endlich war er an der Reihe. Über eine Stunde hatte es bis jetzt gedauert und nach und nach verschwanden die Wartenden in irgendwelchen Zimmern. Stationär aufzunehmen. Auch er würde in so ein Zimmer kommen. In ein Zimmer mit Normal-Patienten ohne Zusatzversicherung.
Etwas später.
Sie können wir heute leider nicht nehmen. Ihr Harn ist nicht in Ordnung. Kommen Sie bitte mit mir mit. Der Doktor will Sie kurz sprechen.
Er atmete tief durch und schluckte. Das konnte doch nicht sein! Sein Harn war doch bis jetzt in Ordnung gewesen. Sowohl beim Hausarzt als auch beim Urologen. Er folgte der Schwester in einen Behandlungsraum.
Tut mir leid, aber die Biopsie können wir heute bei Ihnen nicht durchführen. Das wäre zu gefährlich. Wir müssen zuvor Ihren Harn mit Antibiotika behandeln. Der Harn muss bei der Biopsie vollkommen in Ordnung sein, weil ansonsten die Gefahr einer Vergiftung besteht, wenn wir durch den Darm perforieren.
Der war doch immer in Ordnung!
Tut mir leid. Das kann oftmals schnell gehen. Irgendwie dürften Sie sich infiziert haben. Aber mit den Tabletten wird sich das schnell wieder zum Besseren wenden. Kommen Sie nächsten Montag wieder vorbei. Da wird es schon klappen!
Der noch junge Arzt war sehr freundlich und lächelte ihm zu.
Jetzt bin ich extra so weit hergefahren. Kann man das nicht hier behandeln und mich aufnehmen?
Das macht nicht viel Sinn, denn einige Tage müssen Sie Antibiotika nehmen und vor Montag gibt es sicherlich keine Möglichkeit für die Biopsie. Da ist es besser, Sie machen das zu Hause. Ich verschreibe Ihnen die Filmtabletten. Die bekommen Sie in jeder Apotheke.
Na gut. Wenn Sie meinen.
Der Doktor reichte ihm die Hand und wünschte ihm alles Gute weiterhin
Wieder zu Hause.
Irgendwie hatte er sich in den letzten Wochen an dieses fremde Ding an ihm gewöhnt, das in seinem Penis steckte und über einen Plastikschlauch seinen Harn in einen an seinem Bein befestigten Beutel leitete. Irgendwie daran gewöhnt. Und doch fühlte er sich manchmal so wie ein Galeeren-Sträfling in Ben Hur, wo diese mit Ketten angebundenen Sklaven im Takt des Aufsehers zu rudern hatten. Ohne Chance, sich von diesen Ketten befreien zu können. Er war zwar nicht angekettet, aber die in sein Inneres gelegte Leitung machte ihm vor allem psychisch zu schaffen. Nicht nur, wenn ihn vor allem am Spitz seines Gliedes manchmal echt der Schmerz quälte und er wiederholt zu Tabletten greifen musste, um diese Schmerzen einzudämmen. Und wenn er den Beutel wieder und wieder entleeren musste, dann fühlte er sich dabei immer sehr schlecht, erinnerte ihn diese Leitung aus seiner Blase doch an sein momentanes Elend, und er fühlte sich seinem Schicksal ausgeliefert und nicht nur einmal trat ihm der kalte Schweiß auf die Stirn und sein Herz klopfte schneller als sonst in seiner Brust.
Mit einem Schlag war er zu einem Fall für die Ärzte geworden. Er fühlte sich ausgeliefert und die Zweifel nagten in seiner Brust, was noch alles auf ihn zukommen würde in den nächsten Tagen und Wochen. Oder gar Monaten? War er tatsächlich krank geworden? Er, der sich doch immer körperlich gut gefühlt hatte. Der Vergleich mit einem Galeeren-Sträfling schien ihm richtig zu sein. Seine Freiheit war wohl weg, und den Plastik-Schlauch in seinem Glied empfand er wie eine Kette, an die er gelegt worden war. Da war es ihm eher ein schwacher Trost, dass zumindest seine beinahe stündlichen Wasser-Lass-Probleme der letzten Zeit vorbei waren, doch ganz dicht war die Leitung aus seinem Glied auch nicht. Das bemerkte er, wenn sich daraus ab und zu einige Tropfen neben dem Schlauch ans Tageslicht pressten. Eine Einlage hatten sie ihm vom Krankenhaus mitgegeben. Zu Hause fertigte er sich selbst aus alten Handtüchern solche Dinger an, und wenn er beim Wechseln ab und zu im Klo in den Spiegel schaute, dann sah er daraus ein Gesicht zu sich herblicken mit einem gequälten Lächeln und weit davon entfernt, sich als richtiger Mann zu fühlen
Die Tabletten für seinen Urin hatte er sich besorgt. Antibiotika, das Wundermittel der Medizin, und er schluckte sie täglich zweimal hinunter und hoffte auf eine positive Wirkung. Denn sein Harn sollte in einigen Tagen wieder in Ordnung sein. Sonst würden sie ihn womöglich wieder nicht untersuchen. Was dann?
Die Woche verging, und wenn er in den Nächten aufwachte, um den Beutel zu leeren, dann schlief er zumeist sehr schlecht wieder ein. Seine Gedanken kreisten dann und irgendwie spürte er immer stärker diese Endzeit-Stimmung in sich. Was, wenn er wirklich Krebs hätte? Krebs, diese Krankheit, die in den letzten Jahren schon etliche seiner Bekannten hinweggerafft hatte. Dabei dachte er an einen guten Bekannten aus Deutschland. Den hatte er bei einem Tennisturnier kennen gelernt. Ein äußerst liebenswerter Mensch. Richter, von großer Statur, kräftig und mit einer gewaltigen Vorhand-Peitsche jagte er immer die Bälle übers Netz, wenn er über den Platz sprintete. Oder besser gesagt, als er noch über die Tennis-Courts laufen konnte.
Irgendwann hatte ihm dieser Mann mitgeteilt, dass er sich in letzter Zeit eher schlecht fühlen würde, er spürte eine gewisse Kälte in sich und irgendwie spürte er eine Veränderung in seinem Körper. Das war im Herbst. Im Sommer zuvor hatten sie noch zusammen Doppel gespielt. Über den Winter wollte der Richter einige Zeit in den wärmeren Süden zur Regeneration fahren. Dann der Brief zu Weihnachten mit der Nachricht, er wäre an Bauchspeicheldrüsen-Krebs erkrankt. Das hatte man bei einer Untersuchung festgestellt. Er war echt geschockt, und sein Tennis-Kollege tat ihm leid. Aber das würde der schon wieder in den Griff bekommen. Wo er doch Geld hatte und die besten Ärzte aufsuchen konnte. Echte Spezialisten. Am 2. März kam wieder ein Brief an. Diesmal mit schwarzen Seitenrändern versehen. Seine Frau hatte ihn abgeschickt
Wahnsinn, in einem halben Jahr war er gegangen. Aus einem total starken Menschen war er praktisch zu Staub zerfallen oder besser gesagt zu Asche verbrannt. Alles hatte er versucht. Die besten Spezialisten konfrontiert. Viel Geld investiert, um sein Leben zu retten und dennoch den aussichtslosen Kampf verloren.
Er dachte an ihn und irgendwie schlich sich ein Gefühl von Angst in sein Inneres. Würde es auch ihm so ergehen? Musste auch er womöglich sterben? Hatte er tatsächlich Krebs? Der wahnsinnig hohe PSA-Wert ließ das vermuten, und er wälzte sich im Bett von einer Seite hin zur anderen, musste dabei jedoch aufpassen, dass der Schlauch aus seinem Penis nicht zu sehr an ihm zog und er den an ihm hängenden Beutel nicht beschädigte. Und er fühlte sich beschissen, echt beschissen.
Erneut im Krankenhaus.
Da war er nun wieder und auch die Prozedur war zumindest am Anfang die gleiche. Die lange Anfahrt hin zum Krankenhaus, die Morgenstimmung am Himmel, die Parkplatzsuche, das Entleeren des an seinem Fuß hängenden Plastikbeutels und das Aufsuchen der Anlaufstelle für Aufnahmepatienten in der Urologie. Hoffentlich würde es diesmal klappen. Das war momentan seine größte Sorge, und er spürte wieder ganz stark diese Unsicherheit in ihm, die ihn seit dem ersten Besuch beim Urologen und seit dem Einsetzen des Plastikschlauchs in seinen Penis immer wieder von neuem bedrückte. Dieses verdammte Zeug, das ihn manchmal richtig schmerzte und ihn zu jeder Tages- und manchmal leider auch Nachtzeit daran erinnerte, wie es um ihn stand. Mit all den Zweifeln, die aber nach der Biopsie, nach der Gewebeentnahme wohl ausgeräumt sein würden.
Die Hektik auf dem Gang war wie vor einer Woche hautnah zu spüren, wo alle Patienten auch heute wieder auf einigen an die Wand gestellten Stühlen sitzend, manche aber auch stehend oder im Gang auf und ab gehend auf ihren Aufruf warteten. Auch er wartete, und wieder rief irgendwann eine Schwester seinen Namen auf, und er holte sich einen Harnbecher von ihr.
Es genügen einige wenige Tropfen oder, besser gesagt, ein bisschen Flüssigkeit. Und bringen Sie mir den Becher wieder!
Er machte das, was man von ihm verlangte, und war froh, dass die Warterei ein Ende zu nehmen schien. Er gab den Becher mit etwas Harn ab und nahm wieder auf seinem Stuhl Platz. Nach etwa einer viertel Stunde wurde er aufgerufen und folgte der Schwester in einen Aufnahmeraum.
Ist mein Urin in Ordnung?
Ja. Heute können wir die Biopsie bei Ihnen durchführen. Sie werden stationär aufgenommen. Zimmer 374. Doch zuerst müssen wir noch einige Fragen auf dem Aufnahmebogen beantworten.
Er war echt erleichtert, und schon bald wurde er von einer anderen Schwester zu seinem Zimmer geführt.
Das zweite Bett hier rechts ist Ihres. Dazu haben sie einen Spind und dieses Nachtkästchen. Räumen Sie alles in Ruhe ein, ziehen Sie sich bequem an und warten Sie auf das, was kommt.
Nett diese Schwester, und auch das Zimmer ansprechend, groß und geräumig mit fünf Betten darin. Eines war bereits belegt, zumindest sah es so aus, weil Sachen beim Nachtkästchen lagen. Doch kein Mensch war zu sehen. Er hatte seine Trainingshose mit, die zog er jetzt an und dazu konnte er endlich aus seinen Winterstiefeln heraus und in seine mitgebrachten Hausschuhe schlüpfen. Alles in den Spind geräumt, dazu das Leibchen gewechselt, denn das klebte bereits wieder an ihm wie beinahe immer, wenn er sich in stressigen Situationen befand. Da rann dann der Schweiß förmlich aus seinen Achseln. Doch jetzt war das vorbei. Er hatte es geschafft und er legte sich auf das Bett, atmete tief durch und schloss die Augen. Irgendwie fühlte er sich mit einem Mal geborgen und sicher und er spürte eine wohlige Wärme in sich aufsteigen und hörte sein Herz ruhig schlagen.
Gedanken zum Krankenhaus kamen in ihm hoch. Mitte seiner Zwanzig war er zum letzten Mal in so einer Anstalt als Patient gewesen. Blinddarm, und dazu gleich ein Durchbruch. Schlimm die Angelegenheit damals, doch es war zum Glück alles gut verlaufen, und nach zwei Wochen durfte er bereits wieder nach Hause. Komplikationen hatte es gegeben und sein Bauchraum war damals voll Eiter und musste dementsprechend behandelt werden. Die Ärztin sprach etwas wie es war knapp bei Ihnen zu ihm, als sie nach der Operation bei ihm vorbeischaute. Aber er war zäh und er erholte sich bald wieder. Während er diesen Gedanken nachhing, öffnete sich die Tür und ein Mann trat ein und bezog wie er seine Position im Patientenzimmer der 3. Klasse.
Nach und nach füllte sich der Schlafsaal mit alten Männern. Jeder mit einem gesundheitlichen Problem wie er selbst ja auch. Einer musste ebenso eine Biopsie machen lassen, ein anderer hatte eine Hoden-OP vor sich, einer sollte an der Blase operiert werden, um daraus ein Krebsgeschwür zu entfernen und beim letzten Patienten sollten mehrere Untersuchungen an Blase und Prostata vorgenommen werden.
Das alles stellte sich nach und nach im Verlauf des Vormittags heraus, und immer wieder klopfte es an der Tür und ein Arzt oder eine Schwester oder ein Krankenpfleger traten ein, um den einen oder anderen zu einer Untersuchung abzuholen, Daten aufzunehmen, OP-Vorbereitungs-Informationsmaterial durchzuchecken oder auszufüllen. Es wurde beinahe allen Blut abgezapft, und dazu erschien letztlich auch bei ihm ein relativ klein gewachsener Mann im weißen Arztmantel, und schon stand er vor ihm.
Bitte Blut abnehmen!
Ich war gerade beim Finger-Stechen.
Das ist was anderes. Ich brauche Blut von Ihnen für die Untersuchung.
Blut abnehmen war ja nicht gerade seine größte Freude. Einmal war er sogar kurz ohnmächtig geworden. Vor Jahren allerdings, als er sich als junger Mann entschlossen hatte, Blut zu spenden. Danach allerdings niemals wieder. Als ihm der Urologe das letzte Mal Blut abgezapft hatte, da war alles ohne Probleme gelaufen, und er konnte sogar hinschauen, wie der Doktor die Nadel in seinen Arm steckte und das Blut daraus hervorquoll. Es hatte ihm nichts ausgemacht und er konnte später kaum noch den Einstich bemerken. Jetzt machte das der junge Mann aus Afghanistan, wie er später erfuhr, der in Österreich studiert hatte. Dieser junge Arzt war sehr bemüht, doch sein Arm war danach blau und Blut unterlaufen. Ist vielleicht wie bei den Mechanikern, dachte er sich, da gibt es auch gute und solche, wo man kaum ein zweites Mal hinfahren würde. Das bisschen daneben Stechen war kein großes Problem. In den OP-Saal sollte man solche Ärzte aber besser doch nicht lassen.
Danach half er einem alten Bauern, einem Mitpatienten mit zittrigen Händen und schwachen Augen, beim Ausfüllen eines Fragebogens, wobei dieser an die 30 verschiedene Fragen zu seiner bevorstehenden Hoden-Operation in Form von Ankreuzen diverser Kästchen beantworten musste.
Dann kam wieder die Schwester zu ihm.
Hier ist ein Zäpfchen. Bitte in einer halben Stunde hinten einführen. Sie kommen noch vor dem Essen dran!
Der zur Blasen-Operation Bestimmte wurde zur OP in ein passendes, hinten offenes Nachthemd gesteckt, dazu vom Pfleger eine Flüssigkeit in seinen Bauch gespritzt, dann die Wände an seinem Bett seitlich hochgeklappt und gleich darauf wurde er vom selben Mann in blauer Spitals-Uniform aus dem Zimmer geschoben. Für ihn war es bereits der zweite Eingriff, wie er uns kurz zuvor noch gesagt hatte. Schon vor zwei Jahren hatte man ihm ein Geschwür aus der Blase entfernt. Doch er war guter Dinge und schien sogar irgendwie zu lächeln, als er aus dem Zimmer geschoben wurde.
Jetzt wurde das Mittagessen für alle gebracht. Auch für ihn war eines dabei. Doch schon öffnete sich die Tür und eine Schwester erschien.
Bitte folgen Sie mir in den OP zur Biopsie! Essen können Sie danach. Wir bringen Ihnen später eine neue Portion.
Endlich war es also so weit. Biopsie. Er wusste Bescheid, da würde eine Gewebeprobe, ein Abstrich aus der Prostata entnommen werden, um festzustellen, ob das Organ eventuell von Krebszellen befallen sein würde. Rektal durch den After vorgenommen, ohne Narkose, nur mit dem Schmerzzäpfchen zuvor, um Schmerzen zu verhindern. Die Schwester lächelte ihm zu.
Ist gleich vorbei und sicher kein Problem!
Danke Schwester.
Schon war er in diesem Raum mit den zwei Betten, zwei Ärzten und zwei Schwestern.
Legen Sie sich auf das Bett hier und bitte die Hose runter.
Er befolgte die Anweisungen des Arztes und legte sich aufs Bett.
Zur Wand drehen und die Knie anziehen.
Er atmete tief durch und konnte nicht mehr sehen, was gemacht wurde, wo er doch nur noch die Wand vor seinen Augen hatte. Doch jetzt spürte er, wie ihm etwas in seinen After eingeführt wurde. Es schmerzte doch ein wenig und das Gefühl dabei war alles andere als angenehm.
Entspannen Sie sich! Ganz locker bleiben! Es wird vielleicht ein bisschen wehtun, aber es dauert nicht lange.
Die Stimme des Arztes klang beruhigend, doch er konnte sich beim besten Willen nicht entspannen, vielmehr zog sich bei ihm alles zusammen, und er krümmte sich richtiggehend, als sich der Arzt an die Arbeit machte, den Schlauch durch den After steckte und seinen Darm durchbohrte, um an sein Prostata heranzukommen. Schon spürte er das erstmalige Abzwicken und hörte auch das Klicken der Zange oder was immer es auch war, womit man die Gewebeprobe aus seiner Prostata entnahm. Dann wieder ein bisschen Wühlen und wieder das Abzwicken. Er stöhnte leise und hatte eher seelische Schmerzen als körperliche bei den nächsten zwei Versuchen, aus seiner Prostata Gewebe heraus zu zwicken.
Wir haben bereits vier Proben es folgen nur noch sechs Versuche.
Der kalte Schweiß stand auf seiner Stirn und er glaubte, sich verhört zu haben. Noch sechs Mal die gleiche Prozedur. Das gibt es doch gar nicht! Er hatte gedacht, dass eventuell zwei, drei Proben entnommen werden würden. Nochmals sechs. Ein Wahnsinn. Der Arzt hörte sein Stöhnen und sein heftiges Atmen und sah auch, wie sich sein Körper spannte.
Ganz entspannen! Bitte! Es ist nicht schlimm. Alles klappt bestens! Sie halten doch durch, oder?
Ja, hauchte er und versuchte sich irgendwie locker zu machen. Doch es gelang ihm ganz sicher nicht. Noch sechs Mal! Und er atmete schwer und versuchte, an etwas Schönes zu denken. Aber es fiel ihm nur ein Baum ein, der mit einer Axt bearbeitet wurde. Der schien wie er zu leiden.
Irgendwann war es vorbei.
Ich weiß, es war nicht angenehm. Aber jetzt ist es vorbei und ich hoffe, es gibt keine Komplikationen mit Blutungen etc. Sie waren sehr tapfer! Ich werde Ihnen nur noch schnell einen neuen Katheter einsetzen. Kommen Sie, legen Sie sich auf den Rücken und ziehen Sie die Beine etwas an! Danke! Wir nehmen einen etwas größeren. Da kann der Harn noch besser abfließen. Das ist wichtig für Ihre Gesundheit!
Das hatte der Arzt zu ihm gesagt, den alten Katheter aus seiner Harnröhre gezogen und einen neuen durch seinen Penis wieder in seine Blase geschoben. Eine beinahe schon angenehme Sache im Vergleich zu dem, was vorher mit ihm geschehen war. Der junge Arzt, der an ihm gewerkt hatte, war nett und sehr besorgt gewesen und hatte ihm vor jeder weiteren Gewebe-Entnahme gut zugeredet und ihm Mut einzuimpfen versucht.
Später, wieder auf seinem Zimmer, lag er auf seinem Bett und atmete erleichtert und bemerkte kaum die anderen Männer im Zimmer. Es waren momentan nur zwei anwesend. Es war ruhig im Raum und er hörte sein Herz schlagen. Ganz ruhig schlagen. Jetzt wieder ganz ruhig. Im OP war das anders, da hatte es wild in ihm gepocht. Aber das war vorbei und er lächelte wieder. Vorbei. Nie wieder Biopsie! Das versprach er sich. Diese Prozedur brauchte er ganz sicher niemals mehr in seinem Leben an sich vornehmen zu lassen.
Seine Gedanken kreisten. Was würde es für ein Ergebnis bringen? Er war gesund, da war er sich ziemlich sicher! Er hatte sich ja niemals krank gefühlt, war immer fit auch beim Tennis, und wenn seine Gegner schon keuchten und sich nur noch mit Mühe über den Platz schleppten er war konditionell immer auf der Höhe gewesen. Das machten auch seine Waldläufe und sein tägliches Fitness-Programm am Morgen noch in der Wohnung. Aber seelisch? Da war doch dieses verdammte Jahrzehnt des Grauens. Da hatte es ihn echt erwischt mit dieser gewaltigen Depression. Damals, als alles zerbrach seine Ehe, dann der Abschied seiner jungen Freundin, die einen Besseren gefunden hatte. Dann zudem noch der berufliche Bankrott, die Arbeitslosigkeit
Könnte das vielleicht Krebs in ihm ausgelöst haben, der erst jetzt über die Prostata zum Ausbruch gekommen ist? Ausgerechnet über die Prostata? Womöglich zur Strafe für seine Treulosigkeit in seiner Ehe? Warum sollte er eine solche Strafe von oben bekommen? Die Ehe hatte doch fast zwei Jahrzehnte wunderbar funktioniert, und er war doch immer ein guter Vater auch für seine Kinder gewesen. Und auch nach diesem Schicksalsschlag mit seiner jungen Arbeitskollegin und dieser wahnsinnigen Leidenschaft, wo seine Vernunft total unter die Räder gekommen war da fühlte er sich eher als Opfer, denn als Täter. Warum sollte ihn das Schicksal deshalb und ausgerechnet jetzt, wo er doch wieder richtig gut aus diesem dunklen Loch herausgefunden hatte, so hart bestrafen?
Diese Gedanken schossen durch seinen Kopf. Da ging wieder die Tür auf und der Pfleger von vorhin erschien mit einem Tablett.
Ihr Essen!
Er schreckte aus seinen Gedanken hoch und lächelte.
Danke!
Jetzt erst verspürte er den Hunger, setzte sich an den Tisch und besah das, was man ihm gebracht hatte. Hühnchen mit Reis und Suppe, dann noch Salat und auch eine Creme als Nachspeise. Wunderbar, und mit Appetit machte er sich über diese Köstlichkeiten her und ließ sich alles bis auf den letzten Bissen schmecken. Ist doch wunderbar, dieses Krankenhaus. Wer da jammert, dass das Essen schlecht ist, dem kann man wirklich nicht helfen. Aus drei Menüs konnte er auswählen. Auch fürs Frühstück und auch für den Abend gab es drei Sachen zur Auswahl.
Hat dir wohl geschmeckt.
Es meldete sich der Mann im ersten Bett vis-a-vis.
Wunderbar. Ich liebe Hühnchen und hab echt schon Hunger gehabt. Was hast du bekommen?
Schweinebraten mit Knödel. War auch echt lecker. Mag Hühner nicht so gern. Aber richtiges Fleisch liebe ich. Da könnte ich täglich solche Sachen essen.
Worauf musst du warten?
Ich muss noch zum Röntgen wegen meiner Lunge. Ob alles o.k. ist für die bevorstehende OP.
Wiederum ging die dir Tür auf und der alte Bauer wurde von einem Pfleger hereingeführt.
So, da sind wir wieder. Ruhen Sie sich ein bisschen aus. Sie haben nur noch eine einzige Untersuchung am Nachmittag. Dann sind Sie für heute fertig.
Der Alte ging gebückt zu seinem Bett und ließ sich mit einem Seufzer auf die Matratze fallen.
Hat alles geklappt?
Der Bauer, der mit seinen über 80 Jahren noch immer zu Hause mit anpackte, wie er berichtet hatte, obwohl er den Hof schon vor zig Jahren an seine Tochter übergeben hatte, war echt geschafft. Drei Untersuchungen hatte er bereits an diesem Tag hinter sich bringen müssen, und jetzt schien er froh zu sein, ein bisschen Ruhe zu haben. Er stöhnte leise und drehte sich zu ihm hin.
Jetzt reichts mir aber. Noch eine Untersuchung. Das wär die vierte heute.
Das schaffst du schon noch.
Er versuchte dem alten Mann ein bisschen Mut zuzusprechen. Der Arme hatte eine Hoden-Operation vor sich. An der Prostata hatte er sich schon vor Jahren operieren lassen. Damals Mitte der Sechzig, wie er ihm bereits beim Ausfüllen seines Fragebogens mitgeteilt hatte, und alles war damals bestens verlaufen und er konnte nach dem Abhobeln der Prostata wieder wie ein Junger urinieren. Jedenfalls hatte er ihm das so gesagt. Doch jetzt hatte es ihn an einem Hoden erwischt. Da musste anscheinend ein Teil weg geschnitten werden.
Weiß wirklich nicht, warum sie mich immer wieder zu Untersuchungen holen.
Zur Sicherheit für die OP-Tauglichkeit wahrscheinlich.
Ich war doch immer gesund und hab jeden Tag vor allem die Kühe betreut. Wir haben über 60 Stück im Stall, da gibt es jede Menge Arbeit.
Und warum bist du jetzt hier gelandet?
Vor einigen Wochen bekam ich Schmerzen und ging zum Arzt. Der stellte ein Gewächs im Hodensack fest und hat alles weitere veranlasst. Hoffentlich geht das gut mit der Operation.
Keine Sorge, die hier sind bestens auf solche Sachen spezialisiert. Für die ist das eine reine Routineangelegenheit. Die operieren täglich solche Fälle.
Der alte Mann tat ihm echt leid. Mit über 80 musste er nochmals unters Messer und sich womöglich einen Hoden wegschneiden lassen. Bei dem Gedanken graute ihm ein bisschen. Bei ihm war das zum Glück nicht der Fall. Seine Hoden waren in Ordnung. Oder? Hoffentlich in Ordnung! Und das mit der Prostata würde auch bald wieder gut sein. Vielleicht konnte man bei ihm auch abhobeln wie bei seinem Nachbarn. Doch der Gedanke an seine Hoden beschäftigte ihn weiter. Was, wenn auch bei ihm so ein Gewächs entdeckt werden sollte? Womöglich gleich an beiden Hoden? Der Alte hatte sich zur Seite gedreht und schien ein Nickerchen zu machen. Niemand schaute zu ihm hin und vorsichtig fuhr er unter seine Trainingshose und taste seine Hoden ab. War da nicht auch etwas? Nein! Oder etwa doch? Das wäre wohl das Allerletzte, was er sich vorstellen könnte. Ohne Hoden wie ein Eunuch zu leben und seine Männlichkeit zu Grabe zu tragen. Mit hoher Stimme womöglich weiter leben zu müssen und nie mehr Sex haben zu können. Denn Sex ohne Hoden, das wäre so ähnlich wie wenn er mit einer Frau ohne Brüste
Da ging die Tür auf und der am späten Vormittag Operierte wurde von einem Pfleger ins Zimmer geschoben. Am Gestell des Bettes hingen zwei Flaschen und die Schläuche waren in seine Arme gesteckt. Seitlich am Bett hing ein Kathetersack, blutrot gefärbt und halb voll. Der Schlauch führte unter die Decke, steckte wahrscheinlich in seiner Blase oder in seinem frisch operierten Bauch. Das Gesicht des ins Zimmer Geführten war blass und eingefallen, die Augen hatte er geschlossen, und der Pfleger schob das Bett wieder an die Stelle, wo es vor der Operation gestanden hatte.
Ist alles gut verlaufen?
Er fragte den Pfleger eher mehr aus Verlegenheit als aus Neugier. Denn diese Stille war unheimlich.
Ich bin leider kein Arzt und war bei der OP nicht dabei. Aber ich denke doch. Ich hab den Mann vom Aufwachzimmer geholt. Er war schon kurz wach, hat nur ein bisschen gestöhnt und unverständliche Laute gestammelt. Aber das machen alle frisch Operierten. Oder zumindest die meisten. Das ist schon ok.
Harter Job, was? Habt ihr auch ab und zu Fälle, wo etwas danebengeht und danach die Bestattung kommen muss?
Kaum. Normal passiert nichts. Da wird schon darauf geachtet und zuvor exakt untersucht, dass nichts danebengeht. Vor allem bei der Narkose. Doch Komplikationen können immer wieder eintreten. Da können auch die besten Ärzte nichts mehr machen.
Hoffen wir das Beste. Er sieht schlecht aus.
Das ist normal nach der OP, da sieht keiner gut aus. Doch das gibt sich wieder. Morgen geht es ihm bestimmt wieder besser.
Aber das viele Blut im Sack an der Seite. Ist das normal?
Völlig normal. Da wird ja doch geschnitten, und solche Blutungen können in der Regel sehr schnell wieder gestoppt werden. Das machen die Medikamente. Selten, dass es da größere Probleme gibt.
Der Pfleger war ein noch sehr junger Mann, und doch hatte er sicherlich schon einiges hier erlebt, wenn er täglich die verschiedensten Patienten in den Operationsraum schieben und dann auch wieder zurück in ihr Zimmer bringen musste.
Der Pfleger war gegangen, der Alte neben ihm schien fest zu schlafen, und gut hörbar ging sein Atem, ohne jedoch richtig zu schnarchen. Inzwischen waren auch die zwei anderen Männer wieder anwesend. Einer war zur Untersuchung beim Röntgen gewesen, der andere hatte eine Besprechung auf der Herzstation hinter sich. Wegen seines Herzschrittmachers, wie er sagte. Doch er war ja nicht wegen Herzproblemen hier, sondern wegen seiner Beschwerden beim Wasser-Lassen. Beinahe alle hatten damit ein Problem, manche sogar ein großes wie er selbst, bevor ihm der Urologe den Katheter eingesetzt hatte. Mit Grauen dachte er an die letzte Zeit vor dem Einsetzen des Katheters zurück. Das war jetzt zum Glück vorbei, und der Schlauch aus seinem Penis dagegen beinahe eine Wohltat.
Wieder ging die Tür auf und eine Schwester kam herein. Eine hübsche Person mit einem ordentlichen Vorbau und herrlich anzusehen. Sie ging zum Bett mit dem frisch Operierten, überprüfte die Schläuche und die Flaschen, wechselte den blutigen Sack aus und befestigte einen frischen Beutel an der Bettseite, wischte danach dem frisch Operierten mit einem Tuch über die Stirn und flüsterte etwas wie: Schlafen Sie ein bisschen! Dann sah sie sich noch im Zimmer um und fragte, ob alles in Ordnung wäre.
Rufen Sie einfach nach der Schwester, wenn Sie irgendwelche Hilfe brauchen. Sie wissen ja, einfach die Glocke über dem Bett betätigen.
Danke Schwester. Alles in bester Ordnung!
Der Mann vis-a-vis von ihm sagte das, und auch er nickte dazu und lächelte ein bisschen, weil die Schwester jetzt auch zu ihm blickte. Sie erwiderte sein Lächeln, und nur zu gerne hätte er gewusst, was sie sich wohl dabei dachte. Sie hatte sicherlich als Schwester auf der Urologischen Abteilung genug Erfahrung mit alten Männern, geschädigt an ihrem besten Stück. Natürlich wusste sie, dass sich die Männer an ihrem Anblick erfreuten, und natürlich wusste sie auch, dass alle diese Männer nur noch davon träumen konnten. Diese Ärmsten der Armen. Amputiert nicht an Armen oder Beinen, keinen Herzschaden und vielleicht auch mit gesunder Lunge und noch einigermaßen funktionierendem Geist. Aber mit dem Schaden an der Seele, den ein am Unterleib Geschädigter vor allem hat. Jeder weit davon entfernt, sich als richtiger Mann zu fühlen und womöglich niemals mehr das wohl schönste aller Gefühle genießen zu können. Niemals wieder dabei lustvoll zu stöhnen und die Engel singen zu hören. Niemals wieder schweben in unendlichen Höhen, nie mehr in diesem Rausch der Gefühle förmlich zu ersticken
Das waren in etwa seine Gedanken, während er der Schwester nachschaute, als sie den Raum verließ. Es war ruhig im Zimmer und irgendwie kam ihm alles bereits richtig vertraut vor. Die Mitpatienten dösten in ihren Betten und nur ein bisschen Baulärm drang von außen durch das riesige Zimmerfenster, aus dem er jetzt blickte. Er sah den Schnee auf dem Dach gegenüber, sah, wie die Flocken sanft vom Himmel segelten und fühlte sich wohl in seinem Bett, das er jetzt am Kopfteil ein bisschen in der Höhe verstellte, weil er in einem mitgebrachten Buch lesen wollte. Doch vorher musste er noch den Plastik-Beinbeutel an seinem rechten Fuß entleeren, denn der hatte sich bereits wieder zu zwei Dritteln mit Urin gefüllt. Zum Glück nicht mit Blut vermischt, zumindest konnte er nichts rot Gefärbtes im Sack ausmachen. Die Biopsie schien also gut verlaufen zu sein. Trotz der Schmerzen und vor allem trotz dieses unguten Gefühls dabei.
Das Zimmer hatte einen Waschraum an jeder Seite links und rechts beim Eingang, doch das WC war auf dem Gang, und so mussten alle Insassen das Zimmer verlassen, wenn sie einen Drang in dieser Richtung verspürten. Er verspürte zwar keinen Drang mehr, seit er den Katheter gesetzt bekommen hatte oder besser gesagt, er verspürte keinen starken Harndrang mehr, und es rann eigentlich immerfort Harn in den an seinem Bein befestigten Beutel. Manche Patienten hatten ihren Plastikbeutel mit dem Urin nicht am Unterschenkel wie er befestigt, manche bevorzugten das Anschnallen an den Oberschenkel und einige Patienten trugen ihren Beutel ganz offen in den Händen zum WC, um den Inhalt in die Muschel zu leeren.
Irgendwie hatte er sich an dieses fremde Ding an ihm gewöhnt, und manchmal meinte er, dass es so ähnlich wäre, wie wenn er mit einer Prothese durch die Gegend humpeln müsste. Amputiert an einem Bein. Doch das war sicherlich noch wesentlich schlimmer, als den Beutel an sich hängen zu haben und auch zu spüren, wie die Flüssigkeit immer mehr wurde und das Gewicht zunahm. Das war zwar alles andere als angenehm, doch richtig unangenehm wurde die Angelegenheit erst, wenn Schmerzen vorne am Spitz auftraten, dort, wo der Schlauch aus der Harnröhre hervorkam. Da musste er in den letzten Wochen mehrmals zu Schmerztabletten greifen, um das durchzustehen. Manchmal hatte er sogar zwei davon genommen, wenn die Schmerzen größer waren. Doch momentan war er schmerzfrei und hoffte, dass dies auch für die nächsten Stunden so bleiben möge.
Der Beutel war zum Glück nicht allzu groß und mit zwei Halterungen befestigt, und er konnte ihn unter seiner Trainingshose tragen, so dass er von außen nicht zu sehen war. Auch unter seinen Jeans konnte er ihn auf diese Weise verstecken und der Verschluss am Ende des Sacks war aufzuklappen, damit man den Urin ablassen konnte. Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, dieses Ende an seinem Schuh unter der Hose so anzubringen, dass er bei Bedarf den Beutel irgendwo entleeren konnte. Auf einem Parkplatz im Schnee zum Beispiel, wenn er länger mit dem Auto unterwegs war. Da kam er sich manchmal vor wie einer der Hunde, die ihr Bein hoben oder sich hinhockten, um Wasser zu lassen. Er bückte sich an geeigneter Stelle, klappte den Verschluss hoch und der Inhalt rann heraus, ohne von anderen Menschen gesehen zu werden. Irgendwohin in den Schnee oder in die Natur. In Räumen mit WC musste er dazu den Fuß auf die Klomuschel setzen und den Inhalt in das vorgesehene Loch entleeren. Das ging einigermaßen gut und eher selten tropfte irgendwas daneben.
Er war auf den Gang und zum WC gegangen, hatte den Beutel entleert und lag entspannt in seinem Bett. Die Lektüre vor seinen Augen, doch er las nicht lange, denn schon nach wenigen Minuten fühlte er, wie seine Augen müde wurden. Er legte das Buch beiseite, fischte sich den Apparat mit der Glocke und dem Radio-Empfangsteil von der Halterung am Bett-Gestell über sich, suchte sich einen Sender mit Musikprogramm und schlummerte kurz darauf weg.
Die Nacht im Krankenhaus.
Es war Abend geworden, zusammen hatten sie das Essen am riesigen Tisch eingenommen und über dies oder das gesprochen, natürlich und vor allem über das, wozu sie eigentlich hier auf der Station waren. Der alte Bauer war am späten Nachmittag nochmals zu einer Untersuchung wegen seiner Narkosetauglichkeit geholt worden, bei einem anderen Mitpatienten war wie bei ihm selbst eine Biopsie vorgenommen worden, ein weiterer wurde im Verlauf des Nachmittags zum Lungen-Röntgen bestellt, und der frisch Operierte lag in seinem Bett und döste vor sich hin. Er konnte seine Beine noch nicht bewegen, das waren die Auswirkungen vom Kreuzstich, der bei ihm anstelle einer Narkose bei der Operation verwendet wurde. Zu essen bekam er noch nichts, doch einige Schluck Wasser hatte ihm die Schwester eingeflößt, weil er durstig war und darum gebeten hatte. Vereint saßen sie jetzt am Tisch und das Essen schmeckte ihm gut. Er hatte Spinat-Nocken bestellt, die anderen bevorzugten etwas Fleischiges. Wurst mit Käse und dazu Tee und Brot. Alle waren zufrieden, nur der Bauer war besorgt, weil ihm die Schwester kurz zuvor noch gesagt hatte, dass er morgen noch nicht operiert werden würde. Es müsste nochmals eine Untersuchung gemacht werden.
Die wollen ganz sicher gehen, dass bei der OP nichts passieren kann. Deshalb nochmals die Untersuchung vorher.
Ich bin doch immer gesund gewesen. Was die jetzt alles bei mir finden wollen.
Das geht schon in Ordnung. Die werden schon wissen, warum das sein muss.
Hoffentlich gibt es da keine Schwierigkeiten mehr.
Nein, du wirst sehen, das geht alles gut vorbei, und nach der Operation bist du wieder gesund und fühlst dich wie ein junger Bulle.
Ohne den einen Hoden wohl eher wie ein alter Ochse.
Der Alte strotzte nicht gerade vor Optimismus, als er dies sagte, und doch tat ihm der Zuspruch gut, denn er lächelte zwar ein bisschen gequält, aber doch hin zu ihm. Schweigend aßen alle vier, und nur das Besteck klapperte. Ihm schmeckten die Spinat-Nocken gut und sein Gemütszustand war auch dementsprechend, war er doch so gut wie fertig hier in dieser Anstalt. Die Biopsie gemacht, die Inspektion am Nachmittag durch den behandelnden Arzt zur Zufriedenheit ausgefallen, sein Harn von goldgelber Farbe, und er hatte überdies so gut wie keine Schmerzen mehr. Sieht man von einem eher bedeutungslosen Ziehen am Spitz seines Gliedes ab, das ihm in den letzten Wochen beinahe schon zur Gewohnheit geworden war. Das bewirkte wohl der Schlauch, der doch immer an all das streifte, was er gerade anhatte. An seine Unterhose, an die Trainingshose oder auch direkt an den Oberschenkel und der Schlauch scheuerte immer ein bisschen, wenn er sich bewegte. Das brachte die Schmerzen mit sich, die manchmal wirklich groß waren, vor allem, wenn er sich viel bewegen musste. Manchmal kam es ihm tatsächlich vor als würde ein Stück glühendes Eisen in seinen Penis geschoben, da griff er immer sehr schnell zu Scherzmitteln. Doch die wirkten zumeist erst nach einiger Zeit, und so hatte er sich eben damit abgefunden, zwischendurch nicht nur seelisch sondern auch körperlich leiden zu müssen. Doch an diesem Nachmittag hatte der Schlauch eine erholsame Ruhephase gehabt, denn er war hauptsächlich in seinem Bett gelegen.
Längst war es dunkel geworden und das künstliche Licht beleuchtete das Zimmer. Die Männer lagen wieder in ihren Betten, als die Nachtschwester erschien und sich nach dem Befinden der Insassen erkundigte. Sie steckte allen ein Fieberthermometer ins Ohr, notierte nach nur wenigen Sekunden Messzeit die Temperatur am Patientenblatt beim Bett, werkte danach noch an den Flaschen des frisch Operierten, wechselte die Flüssigkeiten und stellte die Tropfgeschwindigkeit der Transfusionen neu ein, teilte einige Medikamente aus und wünschte allen eine gute Nacht, obwohl es noch nicht einmal 20 Uhr war. So früh ging er zumindest nie zu Bett. Der alte Bauer neben ihm schon, der war das vielleicht von zu Hause gewohnt, musste er doch täglich schon sehr früh aus den Federn, wie er erzählt hatte, um in den Stall zu den Kühen zu gehen, mit all der Arbeit, die dort anfiel. Melken, füttern, ausmisten. Dazu war die Morgenstunde am besten geeignet, doch auch am frühen Abend wiederholte sich das Ganze nochmals. Jetzt war der Alte bereits eingeschlafen und tief ging sein Atem.
Er las wieder ein bisschen in seinem Buch, kontrollierte seinen Beutel am Schienbein und entleerte danach den Sack zum wiederholten Male am WC. Danach ging er in den Waschraum, putzte sich die Zähne und wusch sich ein bisschen, schlüpfte danach in seine Pyjamahose und in das mitgebrachte Leibchen und legte sich wieder ins Bett. Das große Licht war ausgeschaltet, nur die Nachtbeleuchtung über den Betten war aktiviert. Alle schienen müde zu sein und irgendwie schien es ihm, als würde diese Nacht im Krankenhaus eine besondere Nacht zu werden. Total anders als zu Hause und ein Hauch von Besonderheit schien in der Luft zu liegen. Das machte vielleicht auch die Nachtbeleuchtung, die hell genug war, um zumindest das Notwendigste sehen zu können, und doch auch wieder so schwach, um beim Schlafen nicht zu stören. Irgendwie kam ihm die Atmosphäre gespenstisch vor.
Gespenstisch verlief die Nacht dann auch. Der Mann vis-a-vis von ihm war eingeschlafen. Tief und fest eingeschlafen und er sägte drauflos, dass es ihm beinahe die Ohren verschlug. Wie konnte ein Mensch nur so schnarchen. Ruckweise, einmal mehr krächzend, dann wieder eher polternd kam es aus seinem Mund, dann wieder pfeifend und keuchend und immer irgendwie beklemmend. So als ob der Mann tatsächlich in seinen letzten Zügen liegen würde.
An ein Schlafen war nicht zu denken, zu laut waren die Geräusche und zu bedrückend die ganze Angelegenheit. Hätte er sich doch etwas mit ins Krankenhaus genommen. Etwas, das er sich zum Schutz vor solchen Tönen in seine Ohren stopfen hätte können.
Das ist ja nicht auszuhalten!
Der Bauer war aufgewacht und meldete sich zu Wort.
Scheint tief zu schlafen, der gute Mann.
Wie kann man nur so schnarchen? Ist ja unglaublich!
Da werden wir wohl die Schwester rufen müssen!
Inzwischen waren alle wach, und auch der Operierte bewegte sich ein bisschen in seinem Bett. Einzig der Schnarcher sägte nach wie vor in den verschiedensten Varianten.
Ich läute der Schwester. Die muss was unternehmen.
Kurz danach kam die Nachtschwester, doch sie war noch nicht einmal richtig im Zimmer, war wieder Ruhe eingekehrt. Der Schnarcher hatte sich auf die Seite gedreht und atmete jetzt ganz ruhig.
Warum haben Sie mich gerufen?
Wir haben ein Problem, Schwester. Einer schnarcht ganz schrecklich und wir können alle nicht schlafen.
Wer soll das sein? Ich höre nichts.
Soeben hat er damit aufgehört. Aber Sie hätten sich das anhören sollen. Kann man da nichts dagegen machen?
Das Problem haben wir öfters, wenn der Schlafsaal voll ist und sich Schnarcher darunter befinden. Ich werde Schlaftabletten austeilen, die wirken fast immer und bringen einen guten Schlaf mit sich. Wer möchte eine haben?
Die Schwester war nett und brachte das Gewünschte. Der Schnarcher war inzwischen aufgewacht und wollte auch eine Schlaftablette haben. Sie auch? fragte die Schwester. Sie scheinen doch einen tollen Schlaf zu haben?
Ich weiß, ich schnarche ab und zu ein bisschen. Das sagt mir meine Frau auch immer, doch sie hat sich daran gewöhnt. Aber, wenn alle eine Schlaftablette nehmen, dann wird sie auch bei mir gut wirken. Vielleicht schnarche ich dann weniger.
Jeder nahm seine Tablette, und schon sehr bald waren alle wieder eingeschlafen. Alle, bis auf einen, und dieser eine war er. Er konnte momentan beim besten Willen nicht einschlafen, und er kramte in seinem Gehirn wie in einer Rumpelkammer. Was, wenn die Biopsie den Krebsverdacht zur Gewissheit werden ließ? Was dann, wenn er tatsächlich von diesem Feind bedroht werden sollte? Bedeutete das in jedem Fall seinen Tod? Oder würde er den Kampf aufnehmen und den Krebs besiegen? Gab es eine Chance oder würde er wie Tausende andere daran zugrunde gehen?
Die Nacht warf ihren Schatten schließlich auch auf ihn, und er schlummerte irgendwann weg. Einmal wachte er trotz der Schlaftablette auf, entleerte seinen Sack am Bein im WC und legte sich wieder ins Bett. Die Tablette wirkte tatsächlich, obwohl der Schnarcher jetzt wieder am Werk war. Doch zum Glück nicht mehr so intensiv wie zuvor. Jedenfalls konnte er dennoch wieder einschlafen. Irgendwann wachte er nochmals auf, denn im Zimmer regte sich etwas, das spürte er ganz deutlich. Es war die Nachtschwester. Sie werkte am Bett des Operierten, kontrollierte die Einstellungen, wechselte den Beutel an der Bettseite mit dem Urin und entfernte sich ebenso lautlos wie sie gekommen war. Irgendwie kam sie ihm vor wie ein Engel, der über seine Anvertrauten wachte.
Ein bisschen ließ er noch seine Gedanken kreisen, dann senkte sich der Schlaf wieder über ihn und er träumte von seiner Kindheit. Hoch oben saß er mit seinem Bruder auf der Heufuhre und das Pferd zog den Wagen hin zur Scheune. Am Kutschbock saßen sein Vater und seine Mutter, und der Gaul wieherte feurig, während er sich mit seinem Bruder über das Mitfahren freute. Die Sonne lachte vom Himmel, das frisch getrocknete Gras duftete herrlich, der Sommerwind wehte sanft um sein Gesicht, und er fühlte sich so frei und geborgen in seiner kindlichen Welt ohne Sorgen und Nöte und ohne den geringsten Gedanken an irgendeine Krankheit
Zwei Wochen später.
Er war wieder zu Hause und wartete auf den Befund von seiner Biopsie. Im Krankenhaus hatte man ihm gesagt, dass es ungefähr zwei Wochen dauern dürfte, bis das Ergebnis seinem Hausarzt und auch dem zuständigen Urologen zugesandt werden würde. Dennoch versuchte er bereits nach einer Woche eine Auskunft zu bekommen.
Leider ist noch nichts gekommen. Versuchen Sie es in einigen Tagen wieder.
Die Ungewissheit nagte in ihm und der Katheter nagte sozusagen an ihm, so kam es ihm zumindest vor, wenn er wieder Schmerzen verspürte wie so oft in letzter Zeit am vordersten Teil seines Gliedes, wo der Schlauch hervortrat. Hin und wieder montierte er den Sack an seinem Bein ab und steckte zum Verschließen des Schlauches einen Katheter-Stoppel in den Schlauch. Damit wurde der Harnfluss gestoppt und damit konnte er für einige Zeit dieses feuchte Ding an seinem Bein in seinem Badezimmer ablegen. Man hatte ihm geraten, peinliche Sauberkeit walten zu lassen, damit sich keine Keime im Plastiksack bilden könnten, die zu Infektionen führen würden. Denn die würden im Schlauch aufsteigen und so in seine Blase gelangen. Auch das also noch! Er spülte den Sack täglich zweimal mit Wasser durch, ließ dazu immer auch etwas Essig durchrinnen und hoffte so, dass sich keine derartigen Erreger bilden würden. Das ging einigermaßen gut, doch mit dem Stoppel vorne am Glied verspürte er wieder den Harndrang, und weil er vom Krankenhaus den Auftrag bekommen hatte, möglichst viel und oft etwas zu trinken, so musste er beinahe stündlich oder noch öfter diesen Verschluss kurz entfernen, um den auf diese Weise gestauten Harn abzulassen. Doch in der Nacht und auch am Tag, wenn er zu Hause war, da befestigte er den Sack immer an seinem Bein. Dann hatte er zumindest für zwei, drei Stunden eine Ruhepause in dieser Angelegenheit.
Einige Tage später.
Tut mir leid, ich kann Ihnen keine Auskunft geben. Ihr Befund ist zwar eingelangt, doch der Doktor hat momentan keine Zeit. Er wird Sie bei Gelegenheit zurückrufen. Wahrscheinlich jedoch erst am Abend.
Zwei Wochen waren vergangen und endlich war der Befund beim Urologen eingelangt. Das hatte er jetzt am Nachmittag von der Ordinationshilfe erfahren. Ihre Stimme klang nicht allzu zuversichtlich, eher hatte sie einen tröstenden Klang an sich. Er fragte nicht, ob sie ihm vielleicht zumindest in groben Zügen sagen konnte, ob der Befund positiv oder negativ ausgefallen wäre. Irgendwie hatte er plötzlich Angst vor der Wahrheit. Was, wenn wirklich ein positiver Befund eingelangt wäre? Positiv im Sinne von Krebs-Befall in seiner Prostata? Deshalb bedankte er sich bei der Frau und legte auf.
Die Hoffnung lebte noch immer in ihm. Zumindest in den nächsten Stunden. Die Hoffnung, dass sein Wasser-Lass-Problem einzig und allein auf eine Prostata-Vergrößerung zurückzuführen wäre. Keinerlei Anzeichen von Krebszellen, keine Gefahr in dieser Richtung, alles wunderbar und mit einem kleinen Eingriff wieder in Ordnung zu bringen. Wie das schließlich bei vielen Männern in seinem Alter immer wieder gemacht wurde. Die Prostata abhobeln oder ein bisschen verätzen, um sie kleiner zu machen, und dann wieder durchzuschlafen, ohne diesen Harndrang. Wunderbar durchzuschlafen und auch tagsüber nicht andauernd irgendeinen Ort aufsuchen zu müssen, um Urin abzugeben, weil der Druck groß war und auch das Wasser-Lassen alles andere als angenehm war.
Ja, alles würde sich wieder in Wohlgefallen auflösen, da war er sich momentan ganz sicher
Am Abend.
Hallo, wer spricht?
Ich bin es, Ihr Urologe. Wie bereits vermutet, hat sich mein Verdacht leider bestätigt. Alle zehn Proben waren positiv. Doch Sie brauchen keine Angst zu haben, das bedeutet noch lange nicht, dass Sie sterben müssen! Kommen Sie zu einer Befund-Besprechung in zwei Tagen zu mir. Ich werde inzwischen versuchen, für Sie einen Untersuchungstermin in einem geeigneten Krankenhaus mit Urologischer Station zu erhalten. Wir müssen feststellen, ob sich auch außerhalb Ihrer Prostata bereits Krebszellen angesiedelt haben. Ich hab schon eine Adresse. In diesem Krankenhaus machen sie das bestens und dort haben sie auch die notwendigen technischen Einrichtungen für so eine Untersuchung.
Danke.
Das war alles, was er dazu sagen konnte. Ganz einfach nur danke. Es hatte ihm kurz die Rede verschlagen, weil doch das eingetreten war, was er ganz und gar nicht glauben wollte. Er hatte Krebs und das in hohem Ausmaß. Alle zehn Proben waren positiv verlaufen. Seine Prostata war also total von Krebszellen befallen, und womöglich hatten sich sogar bereits in anderen Organen Metastasen festgesetzt wie der Urologe vermutete. Wie konnte das nur passieren? Wo er doch meinte, in letzter Zeit so viel für seinen Körper und auch für seine Seele Gutes getan zu haben. Und jetzt diese Nachricht, und er sah die Menschen am offenen Grab stehen. Einige wenige Menschen, keinesfalls viele, wie das bei Begräbnissen von richtigen Persönlichkeiten der Fall war. Bei ihm?
Eine große Traurigkeit überfiel ihn urplötzlich. So würde es also enden! Aus, vorbei! Ab ins Loch! Für immer und ewig!
In dieser Nacht schlief er ganz schlecht. Schlechter noch als zwei Wochen zuvor im Krankenhaus. Viel schlechter! Schlaftabletten hatte er auch keine zur Verfügung, nur einige Tabletten gegen seine Schmerzen. Die spürte er jetzt ganz deutlich. Diesmal nicht an seinem Penis, diesmal tief in seiner Seele
*** Wie die Sache weiterging, darüber gibt das Büchlein Sich selbst-heilen Auskunft. Darin wird beschrieben mit welchen Mitteln dieser Mann den Kampf gegen den übermächtigen Gegner aufgenommen hat, um die Bäume vielleicht doch noch einige Male blühen sehen zu können
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Inhalt: "Sich selbst-heilen" "Burgen fürs Leben" "Der glückliche Esel" Der verwandelte Prinz" "Beim Jüngsten Gericht" "farnhell-slogans" "In dieses Tal mit den Prinzen"