Es war Winter, die Zeit wo es damals bei uns in der Obersteiermark noch beinahe täglich schneite, und die Winter waren noch echte Winter mit Bergen von Schnee, mit Kälte und Eis und ich Dreikäsehoch liebte es, dick angezogen auf meinem Schlitten hinter unserem Haus die Wiese hinabzuflitzen, Schneebälle zu Kugeln zu rollen und diese dann über den steilen Hang in den Bach hinunterplatschen zu lassen. Doch noch wesentlich schöner als im Schnee umherzutollen war etwas, auf das ich beinähe täglich nach dem Frühstück wartete, während mein Bruder in der Schule saß, ich jedoch zu Hause bei meiner Mutter war, weil es keinen Kindergarten gab bzw. ich nicht in einen solchen geschickt wurde. Da - ich hörte bereits das Bimmeln einer hellen Glocke, die mir sagte, dass er bereits im Anmarsch war. Ein relativ steiler Weg führte durch den Wald herauf zu unserem Haus und ich lief den Weg hinunter, dem Bimmeln entgegen.
"Na, Hermann. Möchtest wohl wieder mitfahren, was?"
Meine Augen strahlten, als ich mich zum Kutscher auf den Holzschlitten setzte. Der Mann hieß Kajetan und beinahe täglich kam er bereits am frühen Vormittag mit seinem Pferd bei uns vorbei, um hinaufzufahren auf die Niederalm und von dort mit seinem Fuhrwerk riesige Baumstämme zu Tal zu ziehen. Auch heute durfte ich wieder mitfahren und es gab für mich nichts Schöneres als neben diesem Riesen am Schlitten zu sitzen. Manchmal ließ er mich sogar die Zügel halten und da schlug mein Herz wohl um einiges schneller als gewöhnlich. Vor uns das dampfende Pferd mit der Glocke am Hals und wir auf dem Schlitten, dessen Kufen im Schnee knarrten, wenn wir damit durch die Winterlandschaft fuhren.
Nach einer Stunde waren wir bereits auf der Alm angekommen. Der Kajetan hängte dem Ross einen Sack voll Hafer um den Kopf, warf dem Pferd noch eine Decke über den Rücken und machte sich ans Beladen des Schlittens. Ich staunte jedes Mal von neuem wie der Mann es schaffte, die riesigen Baumstämme auf den Schlitten zu rollen und dort zu befestigen. Dann stopfte der Kajetan einige Bissen in seinen Mund und auch ich bekam etwas von seiner Jause ab. Zum Schluss machte er noch einen ordentlichen Schluck aus seiner Feldflasche, packte alles in seinen Rucksack, nahm Zügel und die Peitsche in die Hand und mit einem lauten "Hü!" ging die Post nach unten ab. Gewaltig zog das Pferd am Schlitten, wenn es eher flach dahinging, und ganz stark stemmte sich der Hengst gegen die beiden Stangen, mit denen er mit dem Schlitten verbunden war, wenn es steil bergab ging durch den Hohlweg, während der Kajetan versuchte, die Tatzen am Schlitten in den Schnee zu drücken, um mitzubremsen und um zu verhindern, dass das Fuhrwerk zu schnell wurde. Manchmal funkte es richtig am Boden, wenn die Eisentatzen auf Steine stießen, und sehr oft fluchte der Kajetan, wenn der Gaul kaum noch den Schlitten bremsen konnte und im Galopp mit uns den Weg zwischen den Bäumen bergab sprang. Wild funkelten die Augen des Kajetan und wild schlug er mit der Peitsche auf sein Pferd ein als es flach wurde und der Hengst Schwerarbeit verrichten musste, um mit der Holzfuhre weiterzukommen. Der Hengst schnaubte und riss an der schweren Fuhre und manchmal sprang der Kajetan ab und schob selbst am Fuhrwerk an. Zuvor drückte er mir noch die Peitsche in die Hand und rief: "Schlag zu!" Was ich nur sehr zaghaft machte, während der Kajetan zum Pferd vorlief und wild am Halfter riss.
Irgendwie schafften wir es beinahe jedes Mal, weiterzukommen. Doch einmal steckten wir fest. Der Kajetan rannte nach vor zum Pferd und riss wild am Halfter. Mir schrie er zu, zuzuschlagen. Aber es nützte alles nichts, die Holzfuhre war zum Stillstand gekommen. Jetzt rannte er zu mir zurück und schnappte sich selbst die Peitsche. Wild drosch er auf den Gaul ein und der Hengst wieherte und verdrehte die Augen und riss an der feststeckenden Fuhre. Vergeblich. Alles Fluchen vom Kajetan nützte nichts, er musste einige Bloche abladen, um die Fuhre wieder flott zu kriegen. Damals hasste ich diesen Mann, weil er auch dann noch ein-, zweimal die Peitsche auf den Rücken des Pferdes niedersausen ließ, als wir bereits wieder weiterfuhren. Wahrscheinlich war er wütend, weil er durch dieses Missgeschick über eine Stunde Zeit verloren hatte. Aber für gewöhnlich war er gut zu seinem Pferd, fütterte und tränkte es ordentlich, hängte ihm jedes Mal eine Decke über, wenn wir Rast machten und manchmal tätschelte er den Hengst sogar mit seinen riesigen Händen und murmelte so etwas wie: "Bist ein Braver!"
Der Kajetan und sein Hengst waren für mich der Inbegriff von Kraft und Gewalt, ich bewunderte beide und diese Fahrten auf der Holzfuhre sind unauslöschlich in mir geblieben. Der bärenstarke Mann mit den buschigen Augenbrauen, dem riesigen Hut auf dem Kopf und dem kantigen Gesicht mit den funkelnden, pechschwarzen Augen. Dazu dieser gewaltige Hengst, das liebliche Bimmeln der Glocke am Hals des Pferdes, die Fahrt durch den tiefverschneiten Winterwald und der Geruch des schwitzenden Rosses mit den manchmal herabfallenden Pferdeäpfeln. Und jedes Jahr, wenn die ersten Flocken vom Himmel segeln, dann kommen sie auch bei mir immer wieder angeflogen: Die Erinnerungen an diese Zeit mit Bergen von Schnee und so manchem Erlebnis in der Winterpracht.
Pferdeschlitten sieht man auch jetzt wieder öfter, aber die Gäule ziehen keine Holzbloche zu Tal, das machen heute die Männer mit ihren Traktoren. Meist ziehen die Pferde Kutschen durch die Gegend, mit diversen Urlaubern darin. Im Sommer geht es vorbei an blühenden Sommerwiesen oder an dem einen oder anderen Gebirgssee und die in den Kutschen Sitzenden genießen die herrliche Landschaft und erfreuen sich an den Fahrten in den Pferdekutschen. Im Winter stapfen die Gäule durch den Schnee, die Glocken bimmeln an ihren Hälsen und die Wintergäste sitzen in Decken verhüllt in den Pferdeschlitten und lassen sich durch die Gegend kutschieren. Jedes Mal, wenn ich an solchen Pferdekutschen vorbeikomme und den Duft der Pferde in mich sauge, dann sehe ich sie wieder vor mir: den Kajetan und seinen Hengst. Dieses gewaltige Gespann, wo der Mann ganz bestimmt kein Prinz war und auch keiner der Dorfnarren, von denen ich weiter hinten berichten werde. Ob der Kajetan vielleicht ein Sonntagskind war, das weiß ich leider nicht. Eher nicht, denke ich, denn für ein Sonntagskind musste er sich zu sehr in seinem Alltag abrackern. Echte Sonntagskinder sind vom Schicksal anders gebettet. Heißt es zumindest.