Es steckt wahrscheinlich tief in uns, dieses unbedingte errichten Wollen einer Behausung, und auch unsere Ahnen aus grauer Vorzeit suchten wohl bereits Höhlen auf, richteten es sich in diesen Bunkern wohnlich ein, indem sie womöglich Reisig von den Bäumen rissen, um sich damit ihre Schlafstätte ein bisschen weicher zu gestalten. Darauf legten sie getrocknetes Futter und als letzte Schicht vielleicht das Fell eines erlegten Bären. Fauteuils kannten sie zwar ganz sicher noch nicht, doch ich nehme nicht an, dass sie sich in diesem ihrem Wohnzimmer auf den lehmigen oder steinigen Boden setzten. Viel eher schon auf gesammelte Holzstücke, und nachdem sie mit Feuersteinen so lange gegeneinander schlugen, bis der eine oder andere Funke eventuell dürre Gräser oder getrocknetes Laub zum Brennen brachte. Danach legten sie kleine Äste und Zweige darauf, so dass ein nettes Feuerchen die Umgebung erhellte und sie wärmte. So oder ähnlich wird es wohl gewesen sein und unsere Ururahnen werden es sich auf diese Weise vielleicht sogar durchaus gemütlich gemacht haben.
Bücher hatten sie ja noch keine, um darin zu lesen und auch keinerlei TV- oder Hörfunkgeräte. Vielleicht haben sie im Kreis zusammengesessen und gesungen, ohne Klavierbegleitung, ohne Gitarre, Harfe oder Hackbrett. Am ehesten noch mit einer Art Flöte in ihren Händen, einem hohlen Ast mit Löchern darin, woraus die Luft in verschiedenen Tönen hervorpfiff, wenn sie kräftig hineinbliesen.
Auch wir Buben verspürten irgendwie diesen Drang in uns, Wohnmöglichkeiten zu schaffen und uns im Errichten solcher Baulichkeiten ein wenig zu üben. Nicht, dass wir das unbedingt nötig gehabt hätten, wohnten wir doch alle bei unseren Eltern, hatten eigene Betten zum Schlafen, in den meisten Fällen eine Art Wohnküche, in der Vater, Mutter und Kinder nicht nur ihre Nahrung aufnahmen, sondern sich die Familienmitglieder auch in der übrigen Zeit, die sie in den Häusern verbrachten, aufhielten. Rustikal eingerichtet, sofern ich hier mit rustikal die keineswegs an Komfort erinnernden Möbel beschreiben kann. Einfach, stabil und zweckmäßig. In unserem Ort kannte man keine weit über 100 qm großen Vier- oder Fünfzimmerwohnungen mit allerlei Firlefanz ausgestattet. Oder womöglich gar Pent-House Domizile.
Es gab aber auch bei uns drei, vier oder sogar fünf verschiedene Räumlichkeiten. Eine Wohnküche zum kochen, essen und sitzen mit zumeist einem Diwan in irgendeiner Ecke stehend, auf dem sich vor allem derjenige kurz zur Erholung niederließ, der seine von der Arbeit oder vom anstrengenden Spielen müden Beine etwas ausruhen lassen wollte. Dann ein, zwei Schlafgemächer. Eines für die Eltern und eines für die Kinder. Zumeist nur so groß, dass ein, zwei Betten darin aufgestellt werden konnten und dazu eine Speisekammer, in der Lebensmittel für den täglichen Gebrauch auf Regalen oder in Truhen lagerten. Wir hatten bereits ein eigenes Klosett mit Fließwasser und Waschbecken. Zum Baden gingen wir vor allem in der wärmeren Jahreszeit in den nahe gelegenen Stall, dem eine sogenannte Brunnhütte vorgebaut war, sprangen in den Brunntrog und schrubbten uns mit Waschlappen und Kernseife von Kopf bis Fuß sauber. Im Winter wurde nicht so viel gereinigt, doch wenn es unbedingt sein musste, so entnahmen wir warmes Wasser aus dem Schiff unseres gemauerten Herdes. Weil wir Buben jedoch nicht unbedingt unseren Körper mit allzu viel waschen strapazieren wollten, deshalb reichte eine Waschschüssel durchaus, um uns zumindest vor dem Schlafengehen - und nach zumeist mehrmaliger Aufforderung - zu reinigen. Irgendwann baute unser Vater eine Badewanne im Klo ein mit Warmwasserspeicher und einem echten Badevergnügen. Allerdings ohne Schaumbad, eher musste ein Stück Kernseife für die Reinigung herhalten. Und dennoch, ab und zu in der Wanne zu plantschen, das machte tatsächlich Spaß.
Zurück zur Wohnraumbeschaffung. Wir kennen alle die kleinen Baumhäuser oder irgendwo in einem Winkel die primitiv zusammengezimmerten Hütten, die Kinder in ländlichen Gegenden rings um ihr Zuhause errichten. Da wird genagelt und geschnitten, da müssen Bretter her und eventuell Dachpappe. Und wenn die Behausung ganz toll aussehen soll, wird vielleicht sogar ein alter Fensterstock mit dazugehöriger Scheibe eingebaut. Ins Innere einige alte Stühle gestellt, dazu ein kleiner, nicht mehr gebrauchter Tisch von irgendwo her und, sofern genug Platz vorhanden ist, kommt für Mußestunden vielleicht noch ein irgendwo aufgetriebenes altes Sofa dazu. Und die Kinderaugen leuchten beim Errichten, Schneiden und Hämmern. Wenn alles fertig ist, gibt es dort die ersten richtigen Treffs. Dabei werden nicht selten Heimlichkeiten unter Freunden ausgetauscht, dorthin zieht man sich zurück in Freud und Leid, da werden womöglich die ersten Küsse ausgetauscht und die eine oder andere Flasche klammheimlich geleert oder es wird an Glimmstängeln gezogen, weil man sich doch fürs Erwachsenen-Dasein einüben muss.
Der Rudi und ich errichteten vor allem unsere Schanzen für den Winter. Bereits im Spätherbst gingen wir daran, Holzpflöcke in die abschüssige Wiese zu schlagen, Bretter daran zu hämmern und uns so auf den ersten Schnee und das erste Springen vorzubereiten. Natürlich haben wir auch das eine oder andere Baumhäuschen in Angriff genommen, aber wir hatten ja noch genügend andere Möglichkeiten uns irgendwohin zurückzuziehen, standen doch etliche Holzhütten vor unserem Wohnhaus, und ganz herrlich eignete sich dafür das riesige Wirtschaftsgebäude mit der Tenne voll mit Heu oben drauf und den verschiedenen Stallungen darunter, wo Kühe, Ziegen, Hasen, Schweine und natürlich auch eine stattliche Hühnerschar mit krähenden Hähnen ihr Zuhause hatten. Dort schlichen auch Hauskatzen umher, da lauerten die Kater den Katzendamen auf und diese gebaren nach etlichen Wochen vier, fünf oder gar sechs niedliche Junge, die sie vorerst in der Streu versteckten, ehe diese Knäuel eines Tages miauend hinter der Mutterkatze herliefen. Sehr zu unserer Freude, weil sie ganz einfach wunderbare Spielgefährten abgaben.
Mein Bruder Herbert und seine Freunde begnügten sich jedoch nicht mit solchen Kleinigkeiten, sie wollten etliche hundert Meter entfernt im Wald bei einer Lichtung eine richtige Hütte errichten. Der Horst und der Fred, der Siegfried, der Eckart und der Herbert schleppten dazu Bretter und Pfosten hin zu dieser Lichtung. Sie hämmerten und schnitten und werkten mit Feuereifer. Alle waren am Ende ihrer Pflichtschulzeit. Uns brauchten sie dazu nicht und sie verjagten uns regelrecht, sofern wir am Ort ihres Werkens auftauchten. Täglich nach der Schule trafen sie sich, sofern nicht zu viele Hausübungen zu erledigen waren. Mein Bruder wohnte dem Einsatzgebiet am nächsten und in unserer Holzhütte befanden sich die besten Werkzeuge. Die schärfsten Hacken, bestens schneidende Sägen, Bretter, Pfosten, Nägel, Draht und dergleichen mehr. Alles, was zum guten Gelingen des Baus notwendig war, lagerte dort gut verwahrt. Oder soll ich besser sagen - hatte sich dort befunden? Mein Vater war ein gestrenger, im Grunde seines Herzens jedoch gutmütiger Mensch und unser aller Wohl lag ihm ganz bestimmt sehr am Herzen. Doch sein Werkzeug war sein Ein und Alles und er hütete es wie seinen Augapfel. Eines Tages hatte er jedoch nichts mehr davon zu hüten - es war wie vom Erdboden verschwunden.
Ich sehe die beiden noch wie damals vor mir: Voran rannte mein Bruder, hinter ihm hetzte der Vater her und jagte den armen Kerl regelrecht dem verschwundenen Werkzeug entgegen. Werkzeug hat der bestimmt nie mehr ohne Erlaubnis aus der Hütte genommen. Schon gar nicht das im Schrank versperrte. Meist musste ja ich die Prügel für irgendwelche Taten einstecken, diesmal erwischte es jedoch einen wirklich Braven ...