Mittlerweile war ich zum Glück nicht mehr der Jüngste und Kleinste bei der Fahrt zur Hauptschule nach Eisenerz, denn das erste Jahr war für mich tatsächlich ein bisschen mühsam gewesen. Aus meiner Klasse nur die Monika und soweit das Auge reichte, keiner meiner Freunde aus der Volksschule zu erspähen, mit denen ich mich nicht nur sehr oft herumgebalgt hatte, sondern mit denen ich mich nach wie vor sehr gut verstand. Doch sie waren ja nicht dabei. Der Dietrich und der Frantschgerl zogen es vor, an der acht-klassigen Volksschule weiter ihr Dasein zu fristen bzw. Eltern und Lehrer stimmten überein, dass ein Besuch der Hauptschule außer Unkosten kaum Früchte tragen würde. Damals war ein Besuch der Hauptschule mit einem heutigen Verweilen am Gymnasium zu vergleichen, deshalb war es keinesfalls selbstverständlich, in die Hauptschule fahren zu dürfen. Zumindest bei uns war das so. Überdies kämpfte die Volksschule um Schüler, um gewisse Klassen nicht schließen zu müssen. Ähnlich, wie das heutzutage vor allem in den Städten bei den Hauptschulen der Fall ist. Auch da herrscht mitunter Not am Mann und die Schülerzahlen schwinden, weil der Großteil der Schüler in die höheren Schulen drängt. Wie auch immer: Der Dietrich und der Franzi fehlten mir sehr und vielleicht auch der eine oder andere "Entersbachler", die allesamt beim Oberlehrer die Schulbank drückten. Und ganz besonders fehlten mir natürlich meine Ministranten-Kollegen, der Rudi und der Toni.
Nach einem schier endlos scheinenden Jahr kam endlich Nachschub. Der Rudi, der Toni und der Günter durften wie ich in die Hauptschule nach Eisenerz fahren. Einfach herrlich, nicht mehr nur von den "Großen" umgeben zu sein und dafür jetzt einige Kleinere und Jüngere an meiner Seite zu haben. Irgendwie war ich damit wieder in eine Art Chefrolle gerückt, irgendwie wuchs damit auch wieder mein Selbstwertgefühl, was wiederum meinen Tatendrang beflügelte. Vorbei war die Zeit, womöglich untertänig zu den Großen aufschauen zu müssen, vorbei das Fristen eines eher unscheinbaren Daseins bei den Fahrten hin und zurück von der Schule, vorbei das Einstecken-Müssen so mancher Maulschelle von einem Hauptschul-Viertklassler, sofern ich mich doch ab und zu erdreistete, nicht alles, was die Großen von mir verlangten, sofort und widerspruchslos auszuführen. Sofern es sich um Dienstleistungen wie Schultaschen nachtragen und dergleichen handelte. Jetzt waren wir zumindest zu viert - und wie heißt es doch so treffend:
"Vereint sind auch die Schwachen mächtig!"
Wir hielten uns an diesen Spruch und so mancher Große musste jetzt Acht geben, dass wir ihm nicht unsere neu erworbene Stärke fühlen ließen und gemeinsam unser Mütchen an ihm kühlten. Die Stärksten waren ja weg, ich war in die dritte Etage vorgerückt, und meine drei Freunde erhellten mir den grauen Schulalltag bzw. die Zeit, die wir als Fahrschüler im Bus oder Zug und vielfach auch in der Station, auf Bus oder Zug wartend, verbringen mussten.
Ungefähr eine Viertelstunde hatten wir am Bahnhof Radmer Zeit, ehe die Lok mit einigen Waggons am Morgen aus Richtung Hieflau die Schienen entlang dampfte. Von Viertel nach sieben bis ungefähr halb acht Uhr. Diese Zeit ließen wir natürlich nicht ungenützt verstreichen. Wenn es unbedingt notwendig war, dann wurde schnell die eine oder andere Hausübung oder Strafaufgabe bei dieser letzten Gelegenheit hingefetzt, sofern man sich eine weitere Rüge wegen nicht erbrachter Aufgaben ganz einfach nicht mehr erlauben konnte und man schon an der sogenannten disziplinären Schmerzgrenze beim einen oder anderen Lehrer wandelte und nur noch eine Kleinigkeit fehlte, um die Eltern auf den Plan bzw. in die Schule rufen zu lassen. Das war auf jeden Fall zu vermeiden, denn dann gab es tatsächlich nicht nur Ärger. Ein-, zweimal pro Schuljahr war dies bei mir aber auch beim besten Willen nicht zu vermeiden, doch mutwillig wollte ich das nicht heraufbeschwören, deshalb musste auch ich hin und wieder diese Zeit zu solchen Schreibarbeiten nützen. Ob es mir nun in den Kram passte oder nicht! Doch das war eher die Ausnahme.
Wie verbrachten wir nun diese Viertelstunde im Normalfall? Zum Herumtollen waren wir zeitig am Morgen noch nicht in Stimmung. In den Wintermonaten war in erster Linie "frieren" angesagt, weil es in unserer Gebirgs-Gegend ja doch zum Teil sehr strenge Winter gab und die Temperaturen nicht selten unter Minus 20 Grad fielen. Da klapperten wir mit den Zähnen, da verkrochen wir uns in irgendeinen Winkel, zogen die Hauben weit über unsere Köpfe und hofften, dass der Zug bald kommen würde. In den mit einem kleinen Ofen spärlich beheizten Warteraum durften wir kaum jemals hinein. Das hatten wir dem Schwarzl zu verdanken, der sich nun seine Hände rieb und so etwas wie Rache für all die Streiche übte, die wir immer wieder an ihm oder seinem Hund begingen. In den Warteraum durften in erster Linie die Mädels und vielleicht noch der eine oder andere Muttersohn, der uns hin und wieder bei ihm verpetzte, so dass diese "Einschleimer" dann für ihre "Judas-Dienste" ihren Lohn im warmen Warteraum absaßen.
Schneebälle durch die Gegend zu ballern war für uns Buben im Winter der eigentliche Schwerpunkt, aber das taten wir eher beim Nachhause-Fahren als am Morgen. Doch hin und wieder ging es auch schon in der Früh damit los. Als Zielscheiben dienten oftmals die Mädels, bevor sie kreischend in den Warteraum flüchteten oder der eine oder andere nicht allzu beliebte Schüler, sofern er sich nicht zu wehren wusste und auch keine Lobby hinter sich hatte, die ihm zu Hilfe kam. Wie heißt es im Volksmund doch so treffend?
"Immer nur auf die kleinen Dicken!"
Dick war damals keiner, dazu waren die Zeiten ganz einfach zu schlecht. Ich jedenfalls kann mich an keinen wirklich Dicken erinnern, der sich mit zuviel Essen einen ordentlichen Schlemmerspeck an seinen Bauch gezüchtet hätte. Heute ist das beinahe umgekehrt. Doch auf die Kleinen wurde schon immer losgegangen, es sei denn, diese Kleinen waren von solcher Beschaffenheit wie ich. Mit einer gehörigen Portion Jähzorn ausgestattet und keinesfalls gewillt, sich von Größeren oder Stärkeren tyrannisieren zu lassen, ohne Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Auch auf die Gefahr hin, dabei ein blaues Auge abzubekommen oder vielleicht sogar ein bisschen Blut oder eventuell sogar einmal einen Zahn ausspucken zu müssen. Mit wem man sich anlegen konnte, wem man beinahe ohne Risiko den einen oder anderen Schneeball "aufbrennen" konnte, das war schnell eruiert, und danach hielt man sich in den meisten Fällen.
Ein weiteres Ziel waren die Fensterscheiben vom Schwarzl. Doch Vorsicht! Trieben wir es damit zu bunt, dann kam er wutentbrannt aus seinem Domizil gerannt und wehe, er hätte den Schießer ertappt - das wäre vermutlich schlimm ausgefallen. So aber gab es zumeist Kollektivstrafen und alle bekamen einen Strafpunkt verpasst, wenn sich der Täter nicht meldete und niemand bereit war, den Namen des Fensterscheiben-Schießers zu verraten. Einmal ging dabei die Scheibe in Brüche. Das folgende Theater kann man sich kaum vorstellen. Doch diesmal war nicht ich der Täter, diesmal war es ein Großer, der sich schließlich reumütig selbst stellte, eine Ohrfeige vom Schwarzl ausfasste, sich zig Mal entschuldigen musste, der Schule zur Meldung weitergegeben wurde, und wo tags darauf die Eltern mit dem nötigen Kleingeld für die Reparatur erscheinen mussten. Ein Wahnsinn, so scharf hinzuballern! Zum Ärgern genügte ja wirklich ein weicher Schuss!
Dass der Hund vom Schwarzl, ein brauner Mischling aus Jagdhund und Dackel oder dergleichen den einen oder anderen Treffer an die Wampe abbekam, ließ sich nicht ganz vermeiden. Ob nun bewusst oder unbewusst getroffen. Doch jedes Mal suchte der arme Kerl danach winselnd das Weite. Zum Glück konnte er seinem Herrl nichts von diesen Schandtaten erzählen, denn da hätte es vermutlich ordentlich Ärger gegeben. Zielschießen auf die Haltestelle-Tafel oder bepflastern der Hauswand mit Schneebällen gehörten natürlich dazu oder ein ordentlicher Wettbewerb mit Weitschießen oder das Nachschießen von Bällen auf spärlich vorüberfahrende Autos, die damals nicht wie heute im Sekunden-Abstand, sondern eher alle zehn Minuten die schmale Schotterstraße entlang holperten.
Wesentlich aktiver waren wir jedoch in der übrigen Jahreszeit, wenn die Morgensonne bereits ihre Strahlen hinter den Bergen hervorsandte oder die Nachmittagssonne die Gegend rund um den Bahnhof beschien. Da kletterten wir auf dem zumeist riesigen Blochhaufen herum, der sich auf dem Lagerplatz vor der Station türmte, von wo die Bloche auf Waggons geladen wurden oder neue dazukamen. Abgeladen von Pferdefuhrwerken oder teilweise bereits auch schon von Lkw. Einfach herrlich, auf diesen Baumstämmen herumzuklettern. Aber auch gefährlich und für uns Schüler streng verboten, das machte ja den besonderen Reiz aus. Vor allem, weil man nie sicher sein konnte, dass dieser Blochhaufen plötzlich in Bewegung geriet und die riesigen Holzstämme übereinander rollten, was echte Lebensgefahr bedeutete. Doch mit einem gezielten Sprung seitlich in die Tiefe schafften wir immer einen einigermaßen guten Abgang.
Sehr beliebt war das "Kreuzerpecken" in der Veranda, die das Bahnhofgebäude an der Vorderseite umrahmte. Zwei Striche waren mit aus der Schule organisierter Kreide schnell auf dem Boden gezogen. Einer diente als Wegschießstelle, die vom Werfenden nicht mit den Füßen übertreten werden durfte, der andere Strich war das eigentliche Ziel, das mit den von uns geworfenen Zehngroschen-Stücken möglichst nahe erreicht werden sollte. Etwa zwei, drei Meter vom Abschussplatz entfernt.
Jeder durfte bis zu dreimal werfen, nicht öfter. Machten fünf, sechs von uns mit, dann lagen zumindest an die zehn oder mehr Zehngroschen-Stücke nahe oder auch nicht so nahe an dieser etwa einen Meter langen Linie, wenn die Geldstücke nach dem Auffallen irgendwohin weiterrollten. Der dieser Linie am nächsten gekommene Werfer durfte danach alle "Zehnerl" einsammeln, zwischen seine Hände nehmen, die Dinger ordentlich mit nicht ganz zusammengefalteten Händen schütteln und als Erster mit der Ansage "ziff" oder "od", "ziff" für Ziffer und "od" für Adler, auf den Boden werfen. Da lagen sie nun, die geworfenen Münzen. Einige mit der Ziffer nach oben zeigend, die anderen mit der Rückseite, dem Adler hinten drauf sichtbar.
Der Werfer durfte sich alle jene Münzen behalten, die mit seinem von ihm angesagten Ausruf übereinstimmten. Sagte er vor dem Hinwerfen "ziff" und lagen neun von sechzehn hingeworfenen Münzen mit der Ziffernseite nach oben auf dem Boden, dann hob er hurtig diese Münzen auf, steckte sie mit einem Siegerlächeln in die Hosentasche und der zweit näheste Werfer war an der Reihe. Dieser hob die sieben verbleibenden Zehngroschen-Stücke, mit der Adler-Seite nach oben vom Boden auf und das Spiel wiederholte sich mit "ziff" und "od". Nach und nach kam jeder der Werfer an die Reihe. So lange, bis auch das letzte Geldstück, richtig erraten, vom Boden aufgehoben und eingesteckt wurde.
Es lohnte sich also durchaus, der Linie möglichst nah zu kommen oder zumindest als Zweiter oder Dritter den Versuch machen zu dürfen, möglichst viele Geldstücke hinzuwerfen und womöglich dazu auch noch die richtige Seite zu erraten. Mit einigem Geschick beim Werfen und danach einigem Glück beim Hinwerfen der "Zehnerl" auf die richtige Seite ergab das an manchen Tagen einen Gewinn von etlichen Schillingen mit denen der eine oder andere Kaugummi, das eine oder andere Eis oder eventuell, und bei den Großen sehr beliebt, klammheimlich der eine oder andere Glimmstängel damit angeschafft werden konnte.
Mitmachen konnte bei diesem Spiel allerdings nur der, der auch die nötigen Geld-Stücke zur Verfügung hatte. Je mehr einer von diesen "Zehnerln" hatte, desto größer war natürlich die Chance, zum Gewinn zu kommen. Ein guter Werfer konnte allerdings auch mit nur einem einzigen oder ganz wenigen Zehngroschen-Stücken nach und nach kräftig absahnen. Einem schlechten Werfer kamen andererseits schon sehr bald seine "Zehnerl" abhanden, kam er doch so gut wie nie oder nur ganz zum Schluss beim Auswerfen der Reststücke zum Zug.
Wir Freunde hatten eine Art Spielgemeinschaft gegründet und wir hielten uns dabei an den Spruch der Musketiere: "Einer für alle und alle für einen!" Vereint waren wir ganz einfach stärker. Gewann der eine, so stützte er damit wiederum die anderen. Einer von uns war so gut wie immer am Kassieren mit dabei, und wenn wir auch damals bei den Mädels noch nicht so viel Glück hatten wie vor allem ich mir das zwischendurch öfters gewünscht hätte, weil wir ganz einfach noch zu klein und unansehnlich waren, beim "Kreuzerpecken" stellten wir durchaus unseren Mann.
Natürlich gab es noch genügend andere Aktivitäten in diesen Wartepausen auf Zug oder Bus, doch ich will hier nicht langweilen und allzu lang davon berichten. Nur noch eins: Weil in unserem Ort ja auch ein Erzberg vorhanden war und weil dort fleißige Kumpels das Eisenerz aus dem Berg sprengten oder mit Spitzhacken das erzhaltige Gestein aus dem Berg hauten, deshalb gab es auch eine Bahnstrecke vom Bahnhof hinein in unseren Ort. Eine Schmalspurbahn, damals noch mit Dampfloks, die fauchend etliche Wägelchen hinter sich nachzogen. Damit wurde das erzhaltige Gestein zum Bahnhof gebracht, die Wagen entleert, und die leere Garnitur rumpelte wieder den Weg ins Tal zurück.
Wenn wir Glück im Unglück hatten, weil wieder einmal der Bus zu Bruch gegangen war, und wir vergeblich auf diesen warteten und schließlich den langen Weg zu Fuß antreten mussten, um nach mehr als einer Stunde zumindest in der Nähe des Elternhauses zu sein, wenn wir bei diesem Fußmarsch also Glück hatten, dass uns der eine oder andere Lokführer zu sich in die Lok steigen ließ und wir auf diese Weise mitfahren durften, dann lachte unser Bubenherz. Was konnte es Schöneres geben, als im Führerhaus zwischen dem Lokführer und dem Heizer zu stehen und zuzusehen, wie Letzterer immer wieder die Eisentür zum Feuerschlund öffnete und mit einer Schaufel Kohlen ins prasselnde Feuer warf. Oder wir standen an der nur halb hohen Tür, schauten beim Fahren aus der Lok und sahen wie diese mit den Erzwaggons hinten dran zischend und schnaufend die kurvenreiche Strecke hinein ins Tal keuchte. Vorbei am rauschenden Bach, vorbei an senkrecht in die Höhe ragenden Bergwänden, vorbei an dunklen Wäldern und darüber der blaue Himmel mit einigen Schönwetter-Wolken. Ein echtes Erlebnis und dankbar leuchteten unsere Bubenaugen, wenn es später hieß, auszusteigen. Doch alle Lokführer ließen uns nicht mitfahren, war das Mitnehmen von Personen mit dem Erzzug doch verboten. Aber ab und zu hatte der eine oder andere dieser Männer doch so etwas wie Erbarmen oder Einsehen, vor allem dann, wenn wir im genau richtigen Moment und keinesfalls mehr als zu zweit an der Abfahrtstelle auftauchten und wir außerdem versprachen, uns ruhig zu verhalten und gegebenenfalls zu ducken, um von eventuell vorüberfahrenden Autos aus nicht gesehen zu werden.
Ich hab niemals gerne irgend jemanden gebeten mir etwas zu geben oder mir in irgendeiner schwierigen Situation zu helfen doch für so eine Fahrt konnte ich meinen Stolz überwinden und sogar ordentlich um ein mitfahren Dürfen betteln. Das war mir die Sache ganz einfach wert. Einmal hab ich dafür sogar einen wehen Fuß vorgetäuscht, bin zum Lokführer hingehumpelt und hab bei ihm den Eindruck erweckt, dass ich die Strecke nach Radmer wohl nie und nimmer zu Fuß schaffen würde. Der Günter hat mich dazu begleitet. Vor allem deshalb, weil dessen Vater eine Chefrolle als Obersteiger am Erzberg inne hatte. War es mein weher Fuß oder die Tatsache, dem Sohn des Obersteigers damit einen Gefallen zu erweisen - egal. Wir hatten unser Ziel erreicht und wenig später dampften wir bereits Tal einwärts.
Da das Erz auf dem Bahnhof Radmer von der Schmalspur-Bahn in die riesigen Erzwaggons umgeladen wurde, standen beinahe immer irgendwelche Waggons auf den Abstellgeleisen etwas abseits vom Bahnhofgelände an der Umladestelle. Mit den meisten dieser Waggons konnten wir nicht viel anfangen, die waren eisern, riesig und plump. Doch einige davon hatten ein sogenanntes Führerhaus vorne dran. Vornehmlich, um in diesem Führerhaus stehen zu können und die darin montierte Bremse zu bedienen. Dazu musste der mitfahrende Bremser kräftig an einer Kurbel drehen. Und ab und zu sahen wir auch einen Mann in einem dieser Führerhäuser stehen und seine Arbeit verrichten. Vor allem bei den Fahrten aus Eisenerz nach Hieflau. Da war für den Zug so manches Gefälle zu überwinden, und da musste an gewissen Stellen zusätzlich zur Lok von diesen Männern mitgebremst werden. So hat uns das irgendein Eisenbahner einmal erklärt. Und in diesen abgestellten Waggons mit Führerhaus hielten wir uns gerne auf. Vor allem dann, wenn wir uns heimlich davonmachten, um den einen oder anderen Zug aus diesen weißen Dingern zu machen, aus denen der Rauch so wunderbar hervor schwebte.
Irgendeiner von uns hatte wieder einmal ein Päckchen davon aufgetrieben. Gekauft vom erspielten Gewinn beim Kreuzerpecken oder dem Vater die eine oder andere klammheimlich aus dem Päckchen entwendet, in der Hoffnung, dass dieser nicht draufkommen würde, denn da hätte es womöglich nicht nur Schelte gegeben. Vorsicht, also! Niemals mehr als eine pro Tag und höchstens zwei, drei pro Woche. Und diese haben wir dann gemeinsam verpafft. Wobei einer nach dem anderen an die Reihe kam und nicht selten das Geräusch von Husten zu vernehmen war. Vor allem dann, wenn der Rauch zu tief in die knabenhaften Lungen gezogen wurde. Der Schwarzl durfte uns dabei auf keinen Fall erwischen und deshalb wählten wir für diese Sache die außer Sichtweite des Fahrdienstleiters abgestellten Waggons. Und nur die Verlässlichsten durften dabei mitmachen. Die, die auch dann noch geschwiegen und niemals etwas verraten hätten, wenn man sie sogar für ein Geständnis verprügelt hätte. Lieber schlagen lassen als gestehen! Das gab es nur für die wenigsten Delikte. Das heimliche Rauchen gehörte dazu.
Weil es dazu passt, deshalb will ich auch noch die Sache mit dem Anton, dem Sohn des Mesners, erzählen. Der Mesner, ein durch und durch gottesfürchtiger Mann, hatte nämlich ein Laster, das augenscheinlich war. Er schwenkte nicht nur bei den verschiedenen Gelegenheiten während einer Messe in der Kirche oder beim Rundgang um den Friedhof zu Allerheiligen den silbernen Kessel mit Weihrauch, dass der Rauch in alle Richtungen davon schwebte, er rauchte auch selbst ganz gehörig und sehr oft sah man ihn deshalb mit einem Glimmstängel im Mund des Weges gehen. Jung-Anton musste deshalb nicht selten zur etliche Minuten vom Mesnerhaus entfernten Trafik eilen, um dem gestrengen Herrn Papa ein Päckchen "Tschick" zu holen. Keinesfalls Filterzigaretten, wie das heutzutage üblich ist. Der Mesner rauchte ganz ordinäre "Dreier" oder "C". Billigstware, mit echtem Hustenbedürfnis, wenn man als Ungeübter zu heftig daran zog. Ob der Toni gern diesen Zigaretten-hol-Dienst verrichtet hat, das hat er uns eigentlich nie verraten. Eher nicht, wage ich zu vermuten, denn aus dem noch verschlossenen Päckchen war absolut nichts zu holen. Das musste er dem Vater ordnungsgemäß und ungeöffnet überreichen und bekam dafür im besten Fall ein "Danke" zu hören, jedoch keinesfalls Ohrfeigen verpasst. Diese hätte der Vater seinem Sohn jedoch ganz bestimmt nicht verweigert, hätte er auch nur geahnt, was wir, als seine Freunde, wussten bzw. beinahe täglich beobachten konnten. Vor allem in der Jahreszeit, in der es zeitig am Morgen noch relativ finster war und der Rudi und ich und vielleicht auch noch mein Bruder Herbert uns auf dem Weg von unserem "Arbeiterhaus" zur Bushaltestelle befanden.
"Da, der Toni kommt!" "Wie willst du das bei dieser Finsternis sehen?" "Bist du denn blind?"
Ich zeigte mit dem Finger in die Richtung, in der ich den Sohn des Mesners den Steig vom Kirchbühel herunter, am Kriegerdenkmal vorbei, kommen sah. Und plötzlich wussten es auch die anderen, dass Jung-Anton auf dem Weg zur Bushaltestelle unterwegs war. In der Dunkelheit konnten wir ihn zwar nicht erkennen, doch immer wieder einmal leuchtete kurz ein Glühen auf. Dann, wenn der Toni kräftig am Glimmstängel zog. Irgendwie hatte er es anscheinend wieder geschafft und der Gottesdiener wird eine Zigarette weniger zum Verrauchen in einem seiner Päckchen vorgefunden haben.
Vielleicht hat ihm sein Sohn damit in all den Jahren seines Schulfahrens sogar ein ganz kleinwenig zu einem gesünderen Leben verholfen, ohne dass dies jedoch den beiden jemals so richtig bewusst geworden sein dürfte ...