Was heute die Play-Station für die Jungs bedeutet, das war zu unserer Zeit ein Gerät, bei dem man nicht auf irgendeinen Knopf drücken musste, um dann womöglich irgendein Ziel ins Auge zu fassen und zu punkten. Wir zogen vielmehr daran, hielten das Ding hoch, zielten und landeten damit ebenso den einen oder anderen Treffer. Manchmal krachte es an einer Bretterwand, sehr gern zielten wir auf die Luken unterhalb des Daches bei der Tenne und johlten, wenn wir ins Ziel trafen. Dann wieder schossen wir in die Kronen der Bäume, höchst wahrscheinlich zum eher einseitigen Vergnügen, sofern aus den Ästen und Zweigen daraufhin etwas purzelte. Die eine oder andere Kastanie im Herbst, ein abgeschossener dürrer Ast, dürre Blätter oder bunte und auch - ich wage es heute kaum hinzuschreiben - der eine oder andere Vogel. Vögel trafen wir aber wirklich ganz selten. Und doch, ich muss es zu meiner Schande gestehen, wir haben darauf gezielt. Auf meine gefiederten Freunde.
Da geht es mir so, wie wenn ich heute den Fischen im Wasser zuschaue und mich an ihren geschmeidigen Bewegungen erfreue. Auch da könnte ich mir kaum vorstellen, diese niedlichen Gesellen mit einer Angel herauszuhaken und ihnen dann die Gurgel umzudrehen oder sie, noch brutaler, am Leib zu packen und ihren Kopf auf irgendeinen Stein zu schlagen, bis sie endgültig ihr Leben ausgehaucht haben. Aber damals? Fische waren für uns Buben eben Fische, die schrieen ja nicht vor Schmerz, die zappelten nur ein wenig um ihr Leben, was ihnen aber auch nichts mehr nützte, wenn wir sie einmal aus dem Bach gezogen hatten. Wenig später brutzelten sie bereits am Spieß, weil wir wieder einmal irgendwo ein Feuerchen entzündet hatten und uns zum Fische grillen zumute war. Natürlich heimlich und ganz und gar nicht mit dem Einverständnis unserer Erzeuger. Zuerst den Bauch aufgeschnitten und heraus mit den Gedärmen, ein bisschen Schweinefett daran gestrichen und etwas Salz darauf gestreut, einen Haselnuss-Stecken durchs Maul gesteckt und über die Flamme gehalten. Nicht direkt, aber doch so nahe, dass den auf diese Weise Aufgespießten mehr als nur gehörig warm ums Herz wurde. Mit unseren Taschenfeiteln am Ende ordentlich auseinander genommen und ab ging's in die Mägen. Doch aufgepasst auf die Gräten. Mir steckte einmal so ein Ding gehörig in meiner Gurgel und sosehr ich auch hustete und würgte, es blieb beim Stechen. Erst zu Hause, als ich mich hustend in den Keller geschlichen und eine ordentliche Portion Sauerkraut aus dem Fass hinuntergewürgt hab, war das Stechen weg. Der Günter hat mich auf die Idee mit dem Sauerkraut gebracht oder der Dietrich womöglich. Vielleicht ein Fingerzeig von "oben", den Fischen in Zukunft etwas mehr Ruhe zu gönnen.
Zurück zu den Gefiederten. Die waren beinahe zu klein, um sie tatsächlich zu treffen. Die hatten womöglich ebenso ihren Schutzengel, wie wir Buben diesen oft und oft zu haben schienen und wie ihn eines schönen Tages die braune Henne aus der Peckl-Hühnerschar nicht zur Verfügung hatte, denn ein Schuss aus einer unserer Steinschleudern hatte sich an ihren gefiederten Leib verirrt. Wird doch keiner von uns tatsächlich auf eine Henne gezielt haben? Ganz sicher bin ich mir zwar nicht. Wie dem auch sei. Sie lag da, streckte die Beine von sich und kein Laut kam mehr aus ihrem Schnabel, obwohl sie den weit aufgerissen hatte. Um Himmels Willen - sofort weg mit ihr! Wenn das auch nur ein Mensch gesehen hätte. Nicht auszudenken! Gepackt an den Federn und ab in den Wald mit ihr.
Als die Sonne sich zum Schlafengehen bereits hinter die Berge zurückgezogen hatte, da sah man die "Peckl-Mutter" um den Stall schreiten: "Habt's ihr eine Henne gesehen? Eine schöne, große, braune. Erst ein Jahr alt und sie legt immer so fleißig."
Der Rudi und ich standen vor der Frau, ich schluckte und senkte meinen Blick. Ins Gesicht hätte ich ihr beim besten Willen nicht lügen können. Mein Herz pochte und meine einzige Sorge war, dass dem Rudi nur ja nichts "Blödes" aus dem Mund rutschen möge. Deshalb meine schnelle Antwort: "Den Geier hab ich davonfliegen sehen. Irgendwas hat er in den Krallen gehabt. Der kann aber keine Henne ..."
Weiter kam ich nicht. Schon polterte sie los: "Mistvieh verdammtes, aber warte, den erwisch ich auch noch irgendwann. Dann gnade ihm Gott!"
In den nächsten Tagen schlich ich mich immer an der Frau vorbei, wenn ich sie irgendwo erblickte.
Wir und unsere Steinschleudern. Selbst gefertigt, kräftige Astgabel, gut zurecht gehackt. Dann den Gummi aus alten Fahrrad-Schläuchen dran und den Lederfleck in die Mitte, damit unsere "Munition", die Steine, auch schön dort Platz hatten. Und schon zischten die Steine hin zu ihren Zielen. Nicht ungefährlich und ab und zu klaffte irgendwo ein Loch oder die Mauer war abgebröckelt. Oft und oft stellten wir leere Flaschen auf den Holzzaun. Wer trifft als erster? Die Scherben räumten wir weg so gut es ging. Nur eines war absolut tabu, seitdem einer einmal ein Fenster getroffen hatte und alle Steinschleudern für einige Tage eingesammelt wurden. Neben der "gesunden Watschen", versteht sich. Also weg von den Fensterscheiben! Ehrensache!
Eines Tages sah ich eher zufällig den Jagdhund des Försters des Weges spazieren. Aus einiger Entfernung zielte ich auf ihn. Eigentlich von sehr weit weg und doch, der Stein klatschte an seine Wampe und winselnd suchte er das Weite. Irgendwie tat mir der Hund echt leid und ich hätte niemals gedacht, ihn tatsächlich zu treffen. Noch beim Davonlaufen winselte er deutlich hörbar, womöglich hatte er starke Schmerzen. Hoffentlich nur einige Stunden oder vielleicht auch ein paar Tage. Was weiß ich. Doch der noch viel Ärmere war ich selbst, wie man gleich sehen wird.
An einem der nächsten Tage musste ich wieder meine wöchentliche Tour mit den Lesezirkeln machen. Neue bringen, die alten einsammeln. Dazu kassieren. Da fiel jedes Mal ein bisschen Taschengeld für mich ab und das konnte ich verdammt gut gebrauchen. Zum Bäcker, zum Tischler, zum Pfarrer, zum Forstmeister, zur Fürstin, zum Obersteiger musste ich diese Mappen schleppen. Dann stand ich vor der Tür zum Förster-Haus mit dem riesigen Hirschgeweih daran. Hinter dem Zaun die "Diana", so hieß der Hund des Försters. Er bellte wie verrückt, fletschte die Zähne und knurrte, dass mir das Herz bis tief in die Hosen fiel. Wie der sich aufführte. Zum Glück hab ich das Gartentürl gleich wieder zugeknallt und bin losgerannt. Nicht ganz sicher, ob der Hund nicht über den Zaun hechten und mir nachhetzen würde. Ich rannte und keuchte und dann: Irgendetwas rutschte mir in der Aufregung in meine Knielederne. Schweinerei verdammte!
Dann sah man mich am Bach waschen und wischen. Nicht auszudenken, wenn das meine Freunde gesehen hätten. Ich, der Hosenscheißer, im wahrsten Sinne des Wortes. Da brachte mich keiner jemals wieder hinein - in dieses Haus mit dem Hund vor der Tür. Lieber hätte ich mich erschlagen lassen! Die Lesezirkel zum Förster musste mein Bruder Herbert ab dieser Zeit für mich hinbringen und die Hälfte meiner Einnahmen ließ ich gern für diesen Freundschaftsdienst sausen.
Nur zu gerne hätte ich der "Diana" ihr Benehmen mir gegenüber verziehen. Doch die Hündin blieb ihrer Linie treu und jedes Mal, wenn ich am Försterhaus vorbeigehen musste und sie wütend an den Bretterzaun gesprungen kam, ihre Zähne fletschte, wild bellte und mich anknurrte, da spürte ich tatsächlich so etwas wie die "Faust im Nacken" ...