Mit den Lehrerinnen hatte ich immer Probleme. Warum das so war, das weiß ich bis heute nicht, am ehesten wohl deshalb, weil ich vielleicht schon damals Befehle nur dann akzeptieren konnte, wenn sie von starken Persönlichkeiten ausgingen, und stark waren für mich eben in erster Linie Männer oder Burschen, die zumindest um ein, zwei Köpfe größer waren als ich und zudem kräftig genug, um mir ihre körperliche Überlegenheit auch zu demonstrieren. Aber nicht einmal denen gelang es oftmals mir Dinge anzuschaffen, von denen ich wenig hielt und deren Ausführung mir absolut widerstrebte. Angeordnete Dienstleistungen hab ich schon immer irgendwie abgelehnt, wenn dazu nicht so etwas wie ein inneres Einverständnis dafür in mir vorhanden war. Wenn jedoch Lehrerinnen mit mir herumkommandierten, dann stellten sich meine zumeist nur in den Wintermonaten etwas längeren Haare in etwa so auf, wie wenn eine Katze einen Buckel macht und ihre Haare aufstellt, wenn ihr ein beißwütiger Köter über den Weg läuft.
Die Lehrerinnen aus der Volksschule hatte ich ja hinter mir gelassen, in der Hauptschule unterrichtete beinahe in jedem Gegenstand ein eigener Fachlehrer, nur in Englisch versuchte uns eine "Lady" einige Kenntnisse beizubringen. Lady sage ich nicht nur deshalb, weil die Friederike, wie sie von ihren Lehrerkollegen gerufen wurde, eben unsere Englisch-Lehrerin war, sondern auch, weil diese Frau durchaus Pompöses an sich hatte: etwas betagt, mit gewelltem, weißem Haar und einem Stich Blau darin. Kam sie frisch vom Frisör, dann bevorzugte sie manchmal auch ein leuchtendes Grün im Haar. Dick geschminkte knallrote Lippen, grünliche Lidschatten, adrett gekleidet, mit zumeist hohen Stöckelschuhen an ihren durchaus hübschen Beinen. Dazu hing jede Menge Schmuck an ihr und neben einer überlangen Perlenkette wand sich ein Seidentuch um ihren Hals. Besonderes Markenzeichen war ein riesiger Ring an ihrer linken Hand, mit dem sie beim Betreten des Klassenzimmers an die Tafel pochte, um sich Gehör zu verschaffen, sofern wir auch noch nach dem Läuten nicht auf unseren Plätzen saßen.
Zu den bevorzugten Subjekten ihrer Lehrtätigkeit gehörte sicherlich auch ich, und wo immer sie konnte, zeigte sie mir, was sie sich von einem ordentlichen Schüler erwartete. Weil ich diese ihre Erwartungen sehr oft nicht zu erfüllen in der Lage war, sei es, dass ich nicht konnte oder dies aber auch gar nicht wollte, und ich auf Grund meines Verhaltens während des Unterrichts zu oft den Unmut in ihrer Brust erregte, deshalb versah sie mich sehr gerne mit zusätzlichen Aufgaben, sprich Strafaufgaben. Was soll's? Ich hab's hingenommen und diese schriftliche Mehrarbeit über mich ergehen lassen. Nicht immer jedoch war mir das Strafaufgabe-Schreiben möglich, hatte ich doch auch noch andere Sachen in meiner kargen Freizeit zu erledigen. Deshalb gab es durchaus Tage, an denen ich keine Strafarbeit abliefern konnte. Trieb ich es bei ihr zu bunt, dann war wieder einmal eine Eintragung ins Klassenbuch zu tätigen, was sich wiederum auf meine Betragennote nicht allzu gut auswirkte. Oder die Gute verständigte mit Hilfe des Schule-Haus-Heftes meine Eltern, das unterschrieben am nächsten Schultag zurückgebracht werden musste.
Mit der Zeit war mir diese Frau doch tatsächlich "ans Herz gewachsen" und ich grübelte nicht nur einmal darüber nach wie ich ihr, sozusagen zum gerechten Ausgleich, ein wenig das Leben versauen könnte. Weil sie sich vor Schlangen scheinbar ganz gehörig fürchtete, deshalb legte ich ihr einmal eine Blindschleiche in die Kathederlade. Den Schrei höre ich noch heute, als die Gute die Lade öffnete, um das Klassenbuch herauszunehmen. Das hat mich für Vieles entschädigt, und ich ertrug die Strafaufgaben danach wieder etwas leichter.
Eines Tages kam sie mir allerdings ein wenig zu nahe. Kaum hatte sie das Klassenzimmer betreten, eilte sie schnurstracks in meine Richtung, die Augen fest auf mich geheftet. Irgendwie schien sie nervös zu sein und sie vergaß diesmal sogar mit ihrem Ring an die Tafel zu klopfen. Ich ahnte nichts Böses und blieb deshalb ruhig sitzen, während sie zu mir hereilte. Im nachhinein betrachtet wäre es für uns beide vielleicht besser gewesen, hätte ich mich davongemacht, so dass sie mich nicht gleich ergreifen hätte können. Aber so: Kaum war sie bei mir, fuhr ihre Hand auch schon an meinen Kopf. Mit schnellem Griff packte sie mich an den Haaren oberhalb meines Ohres und riss ganz gehörig daran.
"Dir werd ich's zeigen. Ist ja ungeheuerlich!"
Ich wusste nicht, wie mir geschah, fühlte ich mich doch keiner Schuld bewusst. Nur das Reißen an meinen Haaren empfand ich mehr als nur unangenehm, ja es schmerzte mich sogar einigermaßen.
"Aua! Loslassen!" war meine erste Reaktion. Doch die Lehrerin packte nur noch fester zu und so riss ich mich los, so dass sie mit einem Schrei nicht nur die Hand von meinem Kopf nahm, sondern sich auch mit schmerzverzerrtem Gesicht ihr Bein hielt, bevor sie zum Katheder zurückhumpelte und sich in den Sessel fallen ließ.
Die Angelegenheit war natürlich nicht allzu lustig, vor allem nicht für mich. Behauptete doch die Englischlehrerin später, als sie mich zum Direktor zitiert hatte, dass sie mich deshalb so handgreiflich zur Rede gestellt hätte, weil sie in der Stunde zuvor in der Klasse unter uns unterrichtet hatte und in dieser Klasse ein Bub saß und ein "Veilchen" sein Auge zierte. Auf die Frage der Lehrerin, woher er denn das blaue Auge hätte, sagte dieser Jüngling, ich hätte es ihm mit einem Schneeball verpasst. Ganz bewusst und durchaus nicht rein zufällig. Was den Zorn der Lehrerin schürte und sie mir zeigen wollte, was sie von so einem Benehmen hielt. Der Schuss ging aber nach hinten los, denn beim Losreissen versetzte ich ihr einen kräftigen Tritt und deshalb humpelte sie noch einige Tage durch die Schulklassen. Das entschädigte mich zumindest ein wenig für all die Unannehmlichkeiten, die mit dieser Angelegenheit über mich hereingebrochen waren.
Weil es jedoch nicht nur mir wesentlich lieber war, wenn diese Frau nicht zum Unterricht erschien bzw. zwar erschien, aber nur kurz blieb, weil es ihr zum Unterrichten zu kalt war, deshalb halfen wir hier manchmal etwas nach. Zu ihrer Rechtfertigung muss ich sagen, dass es in unserem Klassenzimmer tatsächlich in den Wintermonaten oftmals sehr kalt war, anscheinend wollte die Heizung im vierten Stock nicht mehr so ganz besonders gut funktionieren. Für uns Buben war dies kein größeres Problem, mit der Kälte eines strengen Winters hatten wir zu leben gelernt. Für die Friederike allerdings war der Winter an sich schon ein Gräuel, wie sie uns oft genug erklärte, und wenn sie dazu noch in einem mäßig geheizten Klassenzimmer unterrichten sollte, dann war ihre Laune tatsächlich am Tiefpunkt angelangt. Deshalb hatte sie beinahe immer ein Thermometer bei sich, legte dieses sofort nach ihrem Eintreten auf den Schreibtisch, rieb sich die Hände, zog die Schultern hoch und starrte darauf.
"Nicht einmal 20 Grad. Da kann ich nicht unterrichten!"
Die Gute schnappte ihre Utensilien, hustete kräftig und weg war sie. Auch wir rieben uns die Hände. Unser Plan war aufgegangen. In der Pause zuvor hatten wir alle Fenster aufgerissen, während einer an der Tür Schmiere stand und Alarm schlug, als sie an der Stiege auftauchte ..