Die Zeiten waren Mitte der 50er-Jahre ja beileibe nicht die besten, was die wirtschaftliche Lage knapp zehn Jahre nach Kriegsende in unserer Alpenrepublik anlangte und doch, hungern mussten auch wir nicht. Mein Vater arbeitete in einem Forstbetrieb als Sägemeister mit drei, vier Mitarbeitern. Meine Mutter führte den Haushalt, versorgte meinen Bruder Herbert und mich, drei Ziegen, ein Hausschwein, etliche Hühner mit Gockelhahn, betreute außerdem einen kleinen Gemüsegarten, stand etliche Stunden am Tag am Herd, wusch unsere Wäsche, bügelte, flickte und strickte, war Chefin über das schmale Haushaltsetat und war natürlich mitverantwortlich für eine harmonische Atmosphäre innerhalb der Familie. Wenn es schulisch irgendwo klemmte, was bei mir außer im schulischen Betragen eigentlich kaum jemals vorkam, dann war sie ebenso zuständig wie dafür, unseren Vater bei erträglicher Laune zu halten, sofern er wieder einmal im Betrieb Ärger hatte oder ihm die viele Arbeit ganz einfach über den Kopf wuchs.
Arbeit hatte er ja genügend. Einen 9-Stunden-Tag mit Schuften auf der Säge, dazu das Besorgen des Heizmaterials für unseren Herd, diente dieser ja nicht nur zum Kochen, sondern war auch für die Wärme in unserer Wohnküche zuständig. Deshalb verschlang der gemauerte Herd einiges an Holz und dieses Holz brachte nicht irgendein Lkw, sondern musste vom Vater in mühevoller Arbeit zuerst im Wald gefällt, die riesigen Bäume von Ästen und Rinde befreit, in drei-, vier- oder fünf Meter lange Bloche zerschnitten und danach zu Tal geholzt werden. Mitten durch den Wald, und zwar zumeist an Regentagen, da war der Boden schlüpfrig und die Bloche rutschten auf diese Weise besser zu Tal. Bei dieser mehr als nur gefährlichen Arbeit hauchte so mancher Holzknecht sein Leben aus, wenn die Bloche in einem wahren Höllentempo talwärts donnerten, an Bäume krachten und von diesen wieder weggeschleudert wurden, oftmals durch die Luft gewirbelt wurden und auf diese Weise beinahe unkontrollierbar ihren Weg ins Tal suchten. Dort wurden sie mühsam zusammengesammelt, in metrige (exakt einen Meter lange) Scheiter zersägt, mittels Mesling (einer riesigen Hacke) und etlichen Keilen gespalten, danach mit der Kreissäge zugeschnitten und zuletzt noch mit der Hacke in größere und kleinere Stücke gekloben (gespalten), ehe das Brennholz schließlich in der Holzhütte gelagert wurde. Von dort trugen zumeist wir Buben die Buchen- oder Fichten-Scheite mit einem Holzkorb in die Küche, schlichteten einen Teil davon ins Herdloch und erst dann knisterte das Feuer behaglich warm im Herd. Angenehm im Winter, wenn der Sturmwind ums Haus tobte und der Schnee und das Eis sogar die Fenster verdunkelte, eher unangenehm im Sommer, wenn die Sonne heiß vom Himmel brannte und meine Mutter mit geröteten Wangen am Herd werkte, um irgendwelche Speisen zuzubereiten.
Oftmals kam mein Vater erst spät abends nach Hause, musste er doch an vielen Tagen noch nach Dienstschluss für irgendwelche Häuslbauer auf der Säge Baumstämme in Pfosten oder Läden zerschneiden, was ein bisschen Zusatzverdienst zum ausgesprochen mageren Lohn mit sich brachte. Arbeit gab es aber nicht nur mit dem Holz, auch so manches Hausschwein wurde von meinem Vater mit Schussapparat und Messer vom Leben zum Tode befördert. Wovon ich ja schon in einem anderen Kapitel ausführlich berichtet habe.
Aber ich will hier ja nicht von der vielen Arbeit meines Vaters erzählen, die täglich im Übermaß für ihn und auch für meine Mutter vorhanden war. Der Verdienst war dennoch schmal und die Geldtasche zumeist ausgetrocknet wie ein Bachbett im Hochsommer, wenn bereits tage- und wochenlang kaum einen Tropfen Regen den Weg vom Himmel zur Erde gefunden hatte. Deshalb türmten sich auch auf dem Küchentisch nur sehr spärlich Köstlichkeiten, und sorgsam verwahrte meine Mutter jedes Stück Fleisch, um es speziell für Sonn- oder Feiertage aufzubewahren. Kartoffeln aus dem eigenen Garten, dazu allerlei Gemüse wurden zur Hauptnahrungsquelle ebenso wie Nocken, Polenta, Schmarren, Palatschinken und allerlei Selbstgebackenes. Dazu gab es täglich Suppe. Um sich den Durst zu löschen, tranken wir zu den Mahlzeiten oder auch zwischendurch Ziegenmilch oder frisches Brunnenwasser, eventuell mit selbstgemachten Ribisel (Johannesbeer)-Saft angereichert und auf diese Weise schmackhaft gemacht. Eigentlich eine herrliche Ernährung, wenn ich an die Völlerei denke mit denen sich heutzutage manche Bewohner unserer Wohlstandsgesellschaft ihre oftmals gewaltigen Bäuche nicht nur voll schlagen, sondern Speck auf ihre Bäuche züchten - wie ein Bauer, wenn er Schweine mästet.
Was mich jedoch nervte, das waren die ewig gleichen Jausenbrote mit in die Schule. Einmal Brot mit Schmalz, dann wieder Brot mit Marmelade, am nächsten Tag Brot trocken mit Apfel, sofern es sich um die herbstliche Erntezeit einiger saurer Äpfel handelte, die irgendwo in der Umgebung recht und schlecht gediehen und von uns Buben von den Bäumen gerissen wurden. Zu Normalzeiten gab es jedoch Schmalzbrot und zur Abwechslung Marmeladebrot. Alles aus eigener Produktion und keinesfalls verwendete unsere Mutter ein zu frisches und deshalb zu leckeres Brot. Das wäre vermutlich zu schnell in unseren Bubenmägen verschwunden. Statt dessen kaufte unsere Mutter beim Bäcker stets etwas älteres Brot und mit Hilfe unserer relativ scharfen Zähne war dieses sogar einigermaßen gut kaubar. Mir hing diese Art von Schuljause bereits nach wenigen Tagen richtiggehend zum Hals heraus und ich konnte kaum noch die Ribisel-Marmelade riechen, genauso wenig wie ich von den ständigen Schmalzbroten angetan war. Keine Spur von herrlich duftendem Gebäck oder von eigens für diesen Zweck erzeugtem Naschzeug, wie es heute viele Kinder von zu Hause mitbringen oder von irgendwelchen Händlern bereits im Schulhof angeboten bekommen. Mein Naschzeug gedieh in der Sommerwiese und hieß Sauerampfer und Bocksbart. Grünzeug, mit dem unsere lieben Kleinen heute eher ihre Hasen oder Meerschweinchen füttern würden, sofern sie solche Viecher zu Hause halten dürfen.
Und doch, irgendwie lachte mir das Glück bei meiner eher tristen Jausensituation. Einer meiner Mitschüler war der Sprössling einer betuchten Kaufmannsfamilie. Ein netter Kerl, relativ schmächtig und klein gewachsen, mit blauen Augen und einer Brille auf seiner Stupsnase. Und der "Burli", wie wir ihn zu nennen pflegten, der Burli hatte täglich genau das in seiner Schultasche mit, nach dem ich mich an manchen Tagen richtiggehend sehnte. In der großen Pause stand ich ab und zu mit meinem Marmeladebrot vor ihm.
"Willst nicht tauschen? Ist wirklich was Gesundes! Ich geb' es dir gern für die Wurstsemmel!"
Der Burli schaute mir ins Gesicht und wusste meinen gutgemeinten "Wunsch" anscheinend richtig zu deuten. Freilich reichte er mir seine Wurstsemmel nicht sogleich und auf keinen Fall mit einem besonders erfreuten Gesichtsausdruck. Aber er kannte mich und wusste, dass ich ihm schon manchmal richtiggehend aus der Patsche geholfen hatte, wenn andere Buben sich erfrecht hatten, ihn ein wenig zu hänseln, weil er eben gar so klein und schmächtig war. Und wenn er trotz all dieser "Optionen" auf seine Wurstsemmel nicht mit meinem Marmeladebrot tauschen wollte, dann musste ich doch tatsächlich hin und wieder ein bisschen "nachhelfen" ...