Die Sonne schickte bereits ihre ersten kräftigeren Strahlen in die Erzbergstadt, als wir mit unserem Turnlehrer von der Schule aus aufbrachen, um in unser Übungsgelände zu kommen. Die letzten Schnee- und Eisreste zeugten vom nahen Ende des Winters und vom Schichtturm her schlug die Glocke elfmal. Zwei Stunden Schiunterricht war angesagt und jeder von uns Knaben hatte seine Bretter auf den Schultern liegen, die Haube über den Kopf gestülpt und die Stöcke in der freien Hand. Von unserer Schule aus mussten wir ca.20 Minuten zum Übungshang gehen, dann wurden die Schi angezogen und den Hang hinaufgetreten. Der Turnlehrer Max voraus und wir Buben hinterdrein. Die Piste war einigermaßen abgefahren und mit etlichen Bodenwellen versehen. Schilift gab es damals weit und breit keinen, der einzige Schlepper war mir auf dem Präbichl bekannt, einer Passhöhe hinüber nach Vordernberg und Leoben. Aber hier? Nur Wiese und Wald und wir Buben mit dem Lehrer auf der Piste bzw. auf einem Wiesenhang, auf dem im Herbst noch die Kühe geweidet hatten.
Frisch gefallenen Schnee gab es heute keinen. Vor einer Woche hatten wir den Schnee mit unseren Brettern niedertreten müssen, um für eine befahrbare Piste zu sorgen. Das war zwar einigermaßen anstrengend gewesen, doch wir hatten sogar Spaß dabei gehabt und uns zwischendurch gegenseitig mit Schneebällen beschossen, sofern der Max gerade nicht hergeschaut hatte. Diesmal gab es diese Winterfreuden nicht.
Am Waldrand angekommen, folgte die erste Unterrichtseinheit mit Hangschrägfahrt. Der Max voraus und wir hinterdrein. Talski belasten, Bergschulter vor. Quer über den Hang, danach eine Kehre und wieder retour. Stinklangweilig, aber was solls. So ging es einige Zeit dahin. Dann stiegen wir weiter hoch, von der ersten Wiese zur zweiten, auf die wir durch einen Hohlweg im Wald gelangten. Auch dort oben wieder die gleiche Prozedur. Zuerst die Piste hoch treten, dann langweiliges Hangschrägfahren. Zu mehr reichte es damals kaum. So richtig Schifahren konnten nur die wenigsten und auch unsere Schiausrüstung war unserem Können angepasst: zum Großteil hatten wir echte Holzlatten ohne Stahlkanten an den Beinen. Auf der abgefahrenen Piste nicht ganz ungefährlich, doch ein Bremspflug oder ein gewolltes oder ungewolltes Hinsetzen auf die Piste bewirkten, dass keine allzu gefährlichen Stürze vorkamen. Und auch die Anordnungen unseres Lehrers taten das ihre. Nur gemächlich hinter ihm drein und nur ja kein höheres Tempo aufkommen lassen.
Wir waren wieder einmal oben am Waldrand angelangt, als der Max auf seine Uhr schaute und sagte: "Hermann, du bist der bessere Schifahrer von euch Fahrschülern. Ihr müsst zum Zug. Bring deine Kollegen gut den Hang hinunter. Und noch eins: Langsam fahren!" Ich nickte, murmelte ein "Glück auf", startete im Schneeflug und meine drei Kollegen rutschten hinterdrein. Schon bald waren wir hinter einem kleinen Hügel aus der Sichtweite unseres Lehrers verschwunden. Vor uns ein Stück Piste mit der Durchfahrt durch den Wald. Wir blieben stehen und schauten den Hang hinunter. Ich überlegte kurz, bevor ich sagte: "Fahrt voraus, ich komm gleich nach."
Vorsichtig fuhren die drei los, während ich wartete, bis sie im Schneepflug in die Waldschneise einfuhren. Ein Hohlweg, schmal und mit nur wenig Schnee darin, das wusste ich vom Heraufgehen. Soeben waren meine Mitschüler darin verschwunden. Endlich konnte ich einmal ein bisschen Gas geben. Das ständige Hangschrägfahren hinter dem Lehrer her war ja ganz und gar nicht das, was ich mir vom Schifahren vorstellte. Bei uns in Radmer suchten wir Buben uns immer Hänge aus, auf denen wir es im Schuss ordentlich tuschen lassen konnten. Jetzt war auch hier die Gelegenheit da. Ich wartete noch ein bisschen, dann startete ich los. Die Schi geradeaus, die Stöcke unter die Arme geklemmt, den Schulsack auf dem Rücken. Mit meinen alten, von meinem Bruder übernommenen "Bretteln", für bessere reichte es bei uns zu Hause nicht. Ich stammte schließlich aus einer ärmlichen Familie. Nachkriegskind, wenig zu essen, abgemagert, aber irgendwie wild und verwegen.
Vierzig, fünfzig Meter ging es zügig dahin, dann kam der Hohlweg durch den Wald. Links und rechts Bäume und ich in der Hocke durch diese Schneise. Meine Kameraden sah ich weit vorne im Pflug durchrutschen. Sollten sie ruhig bremsen, ich gab ordentlich Gas. Gleich danach kam ich an eine eisige Stelle mit den letzten Schneeresten. Auf einmal bekam ich Schiss, ich wollte bremsen, konnte jedoch nicht mehr. Ich setzte zum Pflug an, doch ohne Kanten ein Wahnsinn auf dem Eis. Also die Beine wieder zusammen und im Schuss weiter. Undenkbar, da noch einen Schwung in diesem engen Schlauch zu machen. Immer schneller raste ich dahin, das Unheil ahnend. Nicht mehr ich fuhr mit meinen Schien, sondern sie brausten mit mir durch den Hohlweg. Endlich tat sich der Wald auf und ich kam auf die untere Piste. Mit vielen Wellen. Die ersten Bodenwellen konnte ich noch irgendwie überfahren, doch dann katapultierte es mich in die Luft.
Weit verstreut lag meine Schiausrüstung in der Gegend. Sogar die selbstgestrickten Fäustlinge, die ich von meiner Großmutter zu Weihnachten bekommen hatte, hatte es mir von den Händen gerissen. Schmerzverkrümmt lag ich im Schnee, das Blut rann von meinem Gesicht und färbte den Schnee rot. Irgendwie hab ich es dennoch geschafft mit meinen drei Schulkollegen noch rechtzeitig zum Zug zu kommen. Ohne schwerere Verletzungen, nur mit Prellungen und etlichen Hautabschürfungen vor allem im Gesicht und an den Händen. Wie heißt es doch so trefflich?
"Übermut tut selten gut!"
Und doch. Die Piste hatte mich zwar abgeworfen wie ein wilder Hengst seinen Rodeoreiter, aber irgendwie verspürte ich dennoch so etwas wie ein Siegesgefühl und auch bei meinen Schulkollegen hatte ich wegen meiner Waghalsigkeit wieder gepunktet.
Schifahren, vor allem Schi-Wettfahren, das war ja später eine große Leidenschaft von mir. Doch erst Mitte der Zwanzig ging es für mich dabei so richtig los. Weit über hundert Pokale und zahlreiche Planketten zeugen davon, dass ich in dieser Sportart einigermaßen erfolgreich war. Vor allem bei Lokalrennen. Da stand ich zehn, zwölf Jahre lang beinahe bei jedem Rennen auf dem Stockerl. Und sehr oft davon sogar in der Mitte und jubelte. Die Schelch-Wiese, auf der es mich damals so fürchterlich zerriss, die brachte mir jedoch noch einen überraschenden Erfolg. Trotz mieser Ausrüstung konnte ich mich im letzten Winter meines Hauptschulfahrens gegen sehr viele andere Fahrer aus dem Bezirk Leoben durchsetzen. Wieder mit den Schiern meines Bruders vom Vorjahr an den Beinen. Die hatten diesmal sogar schon Stahlkanten daran. Beim "Eisenblüten-Rennen" war ich der einzige Radmerer, der das Glas-Kästchen mit der Eisenblüte darin nach Hause mitbringen konnte. Den Grundstein zum Sieg holte ich mit der letzten Startnummer im Abfahrtslauf mit Bestzeit. Im Slalom schwindelte ich mich irgendwie durch die Tore und beim Riesentorlauf war ich auch einer der Schnellsten. Das reichte zum Sieg in der Dreier-Kombination. Hat mir schlussendlich doch noch Glück gebracht, dieser Hang ...