Fasziniert haben sie mich ja schon immer, diese Wesen, die so anders waren als wir Buben. In Hieflau hab ich mich echt verknallt in die Franzi und mein kleines Herz pochte heftig in meiner Brust, wenn sie mich aus ihren dunklen Augen ansah und mir zulächelte. Ich war sicherlich irgendwie putzig anzusehen. Ein Bürschchen mit roten Wangen, den damals noch dunkelblonden Haaren und ich kann mich noch gut daran erinnern, wie mein Bruder und ich immer zum Schlafengehen Haarnetze über unsere Köpfe stülpten, damit die Haare auch schön nach hinten liegen sollten, weil wir sie eben gerne nach hinten gekämmt trugen, doch hin und wieder ließen wir uns vor allem zur Sommerzeit von unserem Vater die Haare kurz schneiden. Der hatte eine Haarschneidemaschine mit zwei Hebeln an der Seite, und wenn er kräftig mit seinen Fingern an diesen Hebeln drückte, dann bewegte sich das Schneideblatt hin und her, und auf diese Weise fuhr er über unseren Kopf. Schrecklich, dieses blöde Haarschneiden. Wie das oftmals zwickte und rupfte, wenn die Haare zwischen den Zähnen der Maschine steckten, und manchmal werden wir tatsächlich ausgesehen haben, als hätte uns die Mutter einen Kochtopf über den Kopf gestülpt und der Vater drum herum alles Hervorstehende weggesägt. Natürlich benützte er zum Schneiden auch Schere und Kamm, und wenn die Sache nicht ganz gelang, dann glichen unsere Köpfe dem Eisenerzer Erzberg. Auch der war ja stufenförmig angelegt und nur wenige Kilometer von unserem Ort entfernt. Geld für den Friseur war keines vorhanden, meine Eltern hatten es schon schwer genug, das Allernotwendigste zum Leben anzuschaffen bei dem Minimalverdienst, den unsere Väter am Monatsende in ihren Lohnsäckeln vorfanden, und hätten die meisten Familien nicht zusätzlich irgendwelche Einnahmequellen gehabt, dann wäre wohl niemand mit dem von den Vätern verdienten Geld ausgekommen.
Eine solche zusätzliche Einnahmequelle war zum Beispiel das Füttern eines Hausschweines vornehmlich mit Küchenabfällen, etwas Milch und Sterz, ein wenig Kleie zwischendurch und Futter von der Wiese. Bei uns in Radmer gab es keine Zuchtsau, die mit einem Eber für Nachwuchs gesorgt hätte und deshalb wurden die jungen Ferkel von unseren Vätern zumeist mit den Fahrrädern von irgendeiner Nachbargemeinde geholt. Die Ferkel hatten unsere Väter im Rucksack verstaut und nicht selten rann es den Männern während der Fahrt warm über den Rücken, wenn das Ferkelchen eine kleine Ferkelei verrichtete und damit seinem Namen alle Ehre machte. Ab und zu erkrankte so ein Ferkel im Lauf der Monate, in denen es gemästet wurde. Dann war nicht nur die Investition umsonst gewesen und auch all die Mühe um so eine Sau, weil sie womöglich noch vor dem Schlachten verendete und vergraben werden musste. Doch wenn alles gut ging und die Sau zu einer 80 bis 100 Kilogramm schweren Schlachtsau herangewachsen war, dann war das durchaus ein Grund zum Feiern und wir Buben sahen die Männer mit langen Messern hin zum Stall schreiten. Mit wild entschlossenen Gesichtern. Manchmal trug mein Vater auch eine Axt mit oder einige Jahre später bereits einen Schussapparat, den er sich eines Tages angeschafft hatte, weil er ja nicht nur unsere Sau ins Jenseits befördern musste, sondern ihn auch immer wieder Nachbarn baten, dies bei ihren Schweinen zu tun. Nicht sehr lustig. Vor allem nicht für die Schweine. Stammt womöglich von da das Sprichwort vom "armen Schwein"?
Nicht allzu lustig auch für uns Buben, kletterten wir doch vorsichtshalber auf die höchsten Bäume rund um unser Haus, um nur ja nicht zusehen zu müssen, wie die Sau hingemordet wurde. Wir saßen im Geäst einer Tanne oder Fichte und hörten das verzweifelte Schreien der Sau, wenn die Männer sie an den Ohren aus dem Schweinestall zogen und einer sie vielleicht noch am Schwanz gepackt hatte, um sie in die richtige Position zum Abstechen zu bringen. Plötzlich war dann Ruhe eingekehrt und wir Buben kletterten wieder von den Bäumen, schlichen hin zum Stall und sahen sie bereits in der Wiese liegen. Der Boden ringsum rot gefärbt. Die Messer hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Die Mütter hielten Kübel an die Kehle der Sau, um das aus der Gurgel fließende Blut einzufangen. Danach wurde die Sau auf eine Scheibtruhe, auf einen sogenannten "Radlbären" gelegt und zur Waschküche im Keller unseres Wohnhauses gefahren, von den Männern hinuntergeschleppt, in den Sautrog gelegt, mit Saupech eingerieben und mit dem bereits siedenden Wasser aus dem Waschkessel übergossen. Bei dieser Prozedur kam es tatsächlich vor, dass so manche Sau noch ein paar Zappler gemacht hat, so heiß war das Wasser. Nicht jede Sau war ja tatsächlich auch gänzlich dahingestorben. Mit Ketten wurden die Borsten abgescheuert, der Sau dann noch die Klauen abgezogen und wenig später hing sie bereits mit aufgeschnittenem Bauch und an den Sehnen der Hinterbeine befestigt am Schragen. Die Eingeweide wurden in Kübel gefüllt und die Frauen wuschen die Gedärme unter fließendem Wasser aus. Nichts von der Sau wurde weggeworfen, alles hatte eine Verwendung, auch die Gedärme. Sie wurden mit speziellen Brühen gefüllt und die Brat- oder Blutwürste schmeckten nicht nur uns Buben herrlich.
Ich weiß, ich hab das alles jetzt ein wenig drastisch geschildert, aber für uns Buben war das Sauabstechen immer eine grausige Angelegenheit, denn nicht selten hatten wir die Viecher ja wirklich bereits liebgewonnen. Wir fütterten sie oft und erfreuten uns an ihrem zufriedenen Grunzen. Aber eines Tages war es eben soweit. Ein echter Freudentag für die Erwachsenen, denn dann gab es Fleisch, da brutzelten an Sonntagen herrliche Schnitzel in der Pfanne, da gab es die besten Würste und das Fett der Schweine wurde zum Kochen und Braten verwendet oder zu Grammeln verkocht. Auch wir Kinder strichen uns dieses Schmalz auf Brote und die Schmalzbrote schmeckten wunderbar. Aus dem Schweinskopf machten die Frauen herrlich schmeckende Sulz in riesigen Pfannen, mit allerlei Gemüse und Gewürzen versehen. Auch gab es nach etlichen Wochen Geselchtes, und beim Gedanken an diese etliche Tage in der Selchkammer im Rauch vor sich hindörrenden Stücke läuft mir noch heute das Wasser im Mund zusammen, und ich werde wohl gleich zum Kühlschrank eilen.
Doch für uns Kinder war das Sauabstechen nicht nur wegen der Köstlichkeiten für den Gaumen mit etwas sehr Erfreulichem verbunden. Wir freuten uns ganz besonders auf die "Saubladern", die herausgetrennte Blase der Sau, ließen sie zuerst trocknen, bliesen sie dann auf, banden sie wie einen Luftballon oben zu und spielten damit Fußball. Echte Fußbälle gab es natürlich auch schon. Irgendwo. Meinen ersten hat mir einige Jahre später mein Onkel Jörg aus Frankfurt mitgebracht. Mit der Saubladern schossen wir natürlich wild herum. So lange, bis ein spitzer Stein, ein herumliegender Nagel oder ein kantiges Holzstück der Bladern in die Quere kam ...
Zurück zum Nebenverdienst. Wenn wir die Sau mit allen ihren Nebenprodukten aufaßen, woher sollte dann ein Nebenverdienst kommen, den unsere Eltern so dringend benötigten? Einfach daher, weil eine Hälfte dem Fleischhauer verkauft wurde und unsere Väter oft sehr lange mit diesem Mann um einen guten Preis feilschten. Zu verschenken hatten wir nämlich nichts. Doch der Fleischhauer drückte den Preis, wusste er doch, dass unsere Eltern verkaufen mussten! Mein Vater kam meistens kreidebleich von diesen Preis-Verhandlungen in die Wohnung zurück und schimpfte wie ein Rohrspatz: "So ein Halsabschneider, wenn ich nicht verkaufen müsste, dann ...!"
Aber auch unsere Mütter waren fleißig und sorgten durch die Betreuung der Tiere, das Melken derselben, die Haus- und auch die Gartenarbeit zwar für keine zusätzlichen Einnahmen, doch sie halfen damit die Ausgaben gering zu halten, indem sie Brot selbst backten, die Milch der Kühe oder Ziegen verarbeiteten und allerlei Gemüse im Garten anbauten. Vor allem Kartoffel, aber auch Kraut und Rüben, Möhren, Bohnen, Karfiol, Kohlrabi. Sie wuschen und stickten, häkelten und strickten, bügelten und flickten so manches Gewand wieder zusammen, stopften kaputtgegangene Socken, halfen uns Kindern bei den Hausaufgaben, erledigten notwendige Einkäufe beim Krämer und sie pflegten zwischendurch auch die Kommunikation und schwatzten mit der Nachbarin. Zwar sicherlich nicht stundenlang, aber doch. Gab es doch genug Neuigkeiten auch in unserer eintausend Seelen-Gemeinde immer wieder zu erzählen. Sofern nicht vielleicht wegen irgendeiner Zwistigkeit für einige Tage Funkstille" zwischen den Nachbarinnen herrschte. Was zwar selten, aber doch hin und wieder vorkam.
Wenn ich zurückdenke, so muss ich vor allem den Lebensmut dieser Menschen in unserem kleinen Dorf bewundern und ihre Lebensfreude, trotz ihres kargen Daseins. Oder vielleicht gerade wegen ihres kargen Daseins. Könnte durchaus sein. Deshalb konnten sie sich auch an scheinbaren Kleinigkeiten immer wieder erfreuen. Und die sinnvolle und überschaubare Arbeit machte sie wahrscheinlich so zufrieden, die Nachbarschaftshilfe und die gemeinsamen kleinen Freuden des täglichen Lebens. Wie eben, wenn eine Sau abgestochen wurde und alle ganz selbstverständlich zusammenhalfen, und jeder Helfer auch einen Lohn für seine Mithilfe bekam. In Form eines Stückes Fleisch, ein paar Würsten, etwas Schmalz, einigen Stücken Geselchtem.
Wie bereits erwähnt fällten die Männer Bäume in ihrer kargen Freizeit, stellten ein sogenanntes Brennholz auf, indem sie die Baumstämme zusammenschnitten, die einen Meter langen Stücke danach mit riesigen Meslingen, wie die größten Äxte hießen, spalteten und Keile in die Bloche treiben mussten, um sie auseinander zu spalten. Diese Scheiter stapelten sie dann zu Scheiterhaufen aufeinander, schnitten einen Teil mit einer zumeist geliehenen Kreissäge zu kurzen Stücken und hackten diese zu Brennholz, weil damals vornehmlich auf Steinherden gekocht wurde. Vor allem Buchenscheiter gaben eine gute Hitze und hielten diese Hitze länger als Scheiter von Fichten oder Tannen. Aus Fichtenscheitern wurde zumeist das Holz zum Anheizen gemacht, in kleine Stücke gehackt oder weiter zu Spanholz verarbeitet. Mit dem Messer von den Holzscheiten gespalten und zumeist im Ofenrohr getrocknet und aufbewahrt. Einige dieser Spanhölzer auf ein zusammengeknülltes Zeitungspapier gelegt, angezündet, und schon loderte das Feuer im Herd. Dann noch einige Scheiteln daraufgelegt und sehr bald knisterte es herrlich im Herd. Wenn man länger Feuer haben oder richtige Hitze erzeugen wollte, dann mussten eben größere Holzstücke in die Flammen gelegt werden.
Einen Teil des mit viel Mühen aufgestellten Holzes verkauften unsere Väter zumeist an irgendwelche Holzhändler, um zu etwas Geld zu kommen. Eigentlich durften sie das Holz ja nur für den Eigenbedarf schlagen und dieses Holzrecht war Teil ihres Arbeitslohnes. Aber so genau nahm das zum Glück keiner und mein Vater verkaufte den einen oder anderen Festmeter an irgendwelche Holzhändler, die mit Lastwägen das Holz abholten. An manchen Tagen ging mein Vater nach seiner Arbeit auf dem Sägewerk noch für einige Stunden zum Bach. Mit einer riesigen Schaufel auf seinen Schultern, um Sand herauszuschaufeln. An den verschiedensten Stellen warf er dieses Gemisch aus Erde und Steinen durch ein Sieb, um so zu feinem Sand zu kommen, den er danach an irgendwelche Häuslbauer verkaufte. Auch eine Möglichkeit, um ein bisschen Geld zusätzlich zu verdienen, auch wenn man sich das heute kaum noch vorstellen kann.
Aber auch wir Kinder hatten unsere Neben-Einnahme-Quellen. Die Ministranten standen bei Hochzeiten und Begräbnissen mit Schachteln am Kirchentor und hofften, dass die aus der Kirche Gehenden die eine oder andere Münze in diese Schachtel fallen ließen, wie ich das ja bereits erwähnt hab. Eine weitere erfreuliche Einnahme-Quelle für uns Ministranten war der vor der Kirche stehende Antoniusbrunnen. Ein Brunnen vor dem Eingang zu Friedhof und Kirche. In der Mitte des Brunnens befand sich eine Säule mit dem eingeschnitzten Bild des Heiligen Antonius und daraus sprudelte das Wasser hervor und plätscherte in den Brunnen. Und rund um diese Säule lagen sie, die Münzen, die uns stets so viel Freude bereiteten, und die wir vornehmlich dazu benützten, um Naschsachen zu kaufen, die wir uns sonst ja wirklich nicht leisten hätten können, oder später dazu, um die eine oder andere Schachtel mit diesen weißen Dingern darin heimlich anzuschaffen. Natürlich für unsere Väter, wie wir in der Trafik sagten oder, besser gesagt, für Rudis oder Tonis Vater. Mein Vater hat nie geraucht, zumindest ist mir nichts davon bekannt. Und wenn wir auf diese Weise eine Schachtel "3er", wie die gängigste und wohl auch billigste Zigarettenmarke damals hieß, besorgt hatten, dann sah man uns oder, noch treffender formuliert, sah man uns nicht in den nahen Wald schreiten. Weil wir uns dorthin schlichen oder in irgendein anderes Versteck, um an den Glimmstängeln zu ziehen. Immer darauf bedacht, dass uns der blaue Dunst nicht verraten würde und manches Husten war aus unseren Bubenlungen zu vernehmen.
Vor allem dann waren einige Silberlinge im Brunnen anzutreffen, wenn Wallfahrer in unseren Ort gekommen waren, die sehr oft Münzen ins Wasser warfen. Mit Vorliebe machten dies alleinstehende Frauen. Ging doch die Mähr um, dass die Chance sehr gut war, zu einem Mann zu kommen, wenn solche mannlose weibliche Wesen eine Münze in den Antonius-Brunnen werfen würden. Allerdings müssten sie zuvor in der Kirche beim Gottesdienst eifrig beten und die Hände ordentlich falten. Dann zum Brunnen schreiten, die Geldbörse zücken, sich umdrehen und beim Hineinwerfen der Münze sich ganz fest einen Mann wünschen. Männer waren in unserer Gegend nach dem Krieg eher Mangelware, doch die fescheren Weibsbilder brauchten sich deswegen keine allzu großen Sorgen zu machen oder die, die zwar keineswegs hübsch waren, dafür aber Besitz hatten. Solche Frauen fanden sofort einen Mann. Aber was taten die von der Natur weniger Gesegneten? Besitzlose Mägde und Dienstboten bei den Bauern? Die versuchten es dann beim Brunnen und warfen hinein. Nicht selten ihre letzten Groschen und hofften ...
Wir Buben hofften, dass uns beim Ausfischen der Beute nicht der Mesner oder gar der Pfarrer ertappen würde. Denn dann hätte es Ärger gegeben, und wenn wir wieder einmal beim Herausfischen waren, dann musste einer Schmiere stehen und Alarm schlagen, wenn Gefahr nahte. War das Geld doch für die Kirche bestimmt und ein-, zweimal im Monat ließ der Mesner das über einen Meter hoch stehende Wasser aus dem Brunnen, stieg über die Umrandung und fischte die Münzen heraus, ganz so wie die Besitzer der Karpfenteiche im Mühlviertel dies mit den Fischen vor Weihnachten machen. Auch da wird das Wasser abgelassen und danach die zappelnden Karpfen eingesammelt. Wir stiegen nicht in den Brunnen, sondern fischten die Münzen mit Hilfe von zwei Stöcken heraus, zwischen die wir die Münzen zu klemmen versuchten. Echt mühsam und mit etlichen Fehlversuchen versehen, wenn wir die Münze beinahe schon anfassen konnten, und sie dann doch wieder in den Brunnen zurückfiel. Doch wir gaben nicht so schnell auf, rieben uns am Ende die Hände, zählten und teilten.
Mit einem letzten dankbaren Blick hinauf zum Antonius ...