Alljährlich hatten wir Kinder von der Schule aus ein Schiwettfahren. Wer würde wohl diesmal der Schnellste von allen sein? Die erste und zweite Klasse wurden zusammen bewertet und auch die dritte und vierte Klasse. Die Schüler vom Oberlehrer machten natürlich auch mit, doch die waren ja schon wesentlich größer und älter und wurden deshalb in einer eigenen Klasse bewertet. Gegen die hatten wir Kleinen keine Chance. Und doch waren auch wir Jüngeren immer mit sehr viel Ehrgeiz bei der Sache, ging es bei uns doch um den Meistertitel bis zur vierten Klasse.
Im Jahr zuvor war ich bereits in der dritten Klasse Volksschule gewesen, und ich musste mich mit den Viertklasslern messen. Ich, der Allerjüngste meiner Klasse, also mit beinahe zwei Jahre älteren Viertklasslern, weil auch einige Knaben und Mädchen in der vierten Klasse saßen, besser gesagt, noch immer in der vierten Klasse saßen, obwohl sie bereits das Alter für gut die sechste Klasse hatten. Aber, wie's halt so ist im Leben. Nicht immer werden aus Vorzugsschülern die tüchtigsten Menschen, und manchmal sind diejenigen im Leben wesentlich zufriedener mit ihrem Dasein, die den Kopf nicht mit allzuviel Wissen vollgestopft haben.
Ich war immer Mittelklasse, was meine schulischen Leistungen anlangte und hab immer den Aufstieg in die nächste Schulstufe geschafft, ohne jedoch auch nur jemals in irgendeinem Gegenstand besonders zu glänzen. Mit einer Ausnahme. In "Leibesübungen" hab ich von der ersten Klasse Volksschule bis zum Austritt aus der Hauptschule beständig ein "Sehr gut" gehabt. Ist doch auch etwas, oder nicht? Na, ja. Dafür hab ich im "Schulischen Betragen" nicht selten für Probleme gesorgt. Einmal zierte da sogar ein "Wenig zufriedenstellend" mein Zeugnis. Da gab's echt dicke Luft zu Hause! Aber zu diesen Geschichten kommen wir ja noch weiter hinten.
Der Tag des Schulschirennens war also gekommen und heuer wollte ich wirklich einmal gewinnen, denn ich konnte mich noch gut ans Vorjahr erinnern. So durfte das heuer nicht mehr laufen, da fuhr doch glatt der Stangl Rudl, ein Schüler der vierten Klasse, Bestzeit. Ich wurde ausgezeichneter Zweiter! Sagte zumindest die Lehrerin, doch sie kannte mich wahrscheinlich noch immer nicht und meinen mir angeborenen Stolz. Zweiter! Eine solche Niederlage. Der Stangl Rudl zwei Sekunden vor mir. Allzu genau stoppte man damals bei uns Schülern nicht. Anstatt mit einer Stoppuhr genügte dem Oberlehrer ein Wecker, mit Sekundenzeigern daran. Sekunden taten es auch.
"Achtung, fertig - los!"
Bei "los" wegfahren, dann ordentlich angetaucht und die Brettel Richtung Ziel steuern. Der Schulleiter oder die Lehrerin schauten genau, wann der oder die durchfuhr. Die Zeit notiert und der Nächste war an der Reihe!
Kurz nach der Siegerehrung stand ich damals in unserer Holzhütte, die Schi lagen vor mir auf dem Kliebstock, auf dem manches Holzscheit mit der Hacke in Stücke geschlagen wurde, und auch ich schwang die Axt. Es musste ganz einfach sein! Diese Bretter, diese elendigen. Sie allein waren schuld an meiner Niederlage. Was meine Erzeuger von diesem Tun hielten, nachdem sie die Bescherung sahen, darüber schweige ich lieber. Und doch: Mit diesen "Schwarten" konnte ich zumindest kein Rennen mehr verlieren. Die lagen jetzt in Trümmern in der Hütte.
Heuer hatte ich die Schi von meinem Bruder an den Beinen, als ich mit meinem Freund Rudi den Hang hoch stapfte. Meinem Bruder waren sie zu kurz geworden, er hatte andere bekommen. Für neue langte es bei uns kaum jemals, irgendwelche gebrauchte Schi wurden organisiert, meist zweifach verleimte Holzlatten, und auf den von meinem Bruder waren sogar bereits Stahlkanten draufgeschraubt. Bei meinen diesmal noch nicht. Echte Holzbretter, mit dem Hobel nochmals die Lauffläche geglättet und mit einem Uraltbügeleisen eingewachst, wozu man einen heißen Stein aus dem Feuer hinten ins Bügeleisen hineinsteckte und damit Wachs auf die Lauffläche bügelte. Mein Freund Rudi ging in die dritte Klasse, ich in die vierte und ich wusste, dass nur er mir wirklich gefährlich werden konnte. Er war einfach gut. Und noch dazu hatte ihm sein Vater die Schi mit Bienenwachs präpariert, ich eine halb abgebrannte Kerze aufgebügelt. Eine innere Stimme warnte mich: "Vorsicht, Hermann! Lass dir bitte etwas einfallen, sonst fährt der womöglich gar noch Bestzeit!"
Der Stangl Rudl war zum Glück bereits eine Stufe höher. Aber den hätte ich heuer auch gepackt! Ganz sicher sogar. Doch mein Freund Rudi ...?
Das ganze spielte sich zu einer Zeit ab, wo es noch keine richtige Hocke bei den Rennfahrern gegeben hat. Natürlich fuhren auch die Schirennläufer der damaligen Zeit nicht aufrecht dahin, vor allem, wenn es rasant dahinging, aber von einer tiefen Hocke konnte noch keine Rede sein, und zumeist tauchten die Fahrer sogar noch zwischen den Torkombinationen immer wieder einmal kräftig mit den Stöcken an, um besser in Schwung zu kommen. Wir stiegen nebeneinander den Hang hoch, die Startnummern bereits über unsere Schipullover gehängt, die Wangen gerötet vor Aufregung, da kam mir die Idee.
Ich: "Weißt du, was ich gehört hab?"
Er: "Was?"
Wieder ich: "Interessant, hätt ich nicht gedacht."
Er: "Was denn?"
Ich: "Dass man schneller ist, wenn man gebückt dahinfährt und nicht zuviel antaucht!"
Vom Start ging es relativ flach und eher langsam weg und etliche Meter auf diese Weise dahin, bevor der Hang steiler wurde. Mein Freund stand am Start. Er war um einige Nummern vor mir an der Reihe.
"Mach's gut!", rief ich ihm zu. Und - "du weißt ja!"
Er: "Ja!"
Bei "los" tauchte er zweimal kräftig an, bevor er in eine sogenannte Hocke ging. Tief gebückt stand er auf seinen Brettern und ließ sich ohne anzutauchen gebückt dahintreiben. Ich schaute fasziniert zu, sah, dass er relativ lang brauchte, bis er zum steileren Teil der Strecke kam. Doch ab dem Steilhang fuhr er blendend.
Der letzte Läufer war soeben durchs Ziel gefahren, ich stand neugierig neben der die Zeiten notierenden Lehrerin, dann klopfte sie mir auf die Schulter: "Gratuliere, weitaus der Schnellste!" Mehr sagte sie nicht, die Siegerehrung fand ja erst später in der Schule statt.
Mit dem Kerzenwachs allein hätt ich's womöglich auch diesmal wieder nicht geschafft, weil er einen schnellen Schi hatte mit seinem Bienenwachs. Der Rudi stand neben mir und schüttelte seinen Kopf mit der selbstgestrickten Schihaube seiner Mutter über seinem Haarschopf.
Wütend kann es über seine Lippen: "Taucht wie ein Verrückter und sagt zu mir, dass man ohne Antauchen schneller wär."
Ich versuchte, möglichst unschuldig dreinzuschauen und antwortete: "Das gilt für den Steilhang, ist ja klar! Im Flachen musst du schon tauchen, was das Zeug hält!"
Ein übler Trick von mir? Na, ja, ich wollte unbedingt gewinnen! Irgendwo hört sich die Freundschaft eben auf! Oder? Nein, nein, die Freundschaft hatte sich natürlich auch zwischen uns nicht aufgehört und ich versuchte ihm zu erklären, dass ein zweiter Platz auch nicht übel wäre und dass seine Zeit mit Bestzeiten noch kommen würde. Im nächsten Jahr ganz sicher, da wäre ich ja schon aus der Volksschule weg. Irgendwie fühlte er sich trotzdem verschaukelt, denn ohne meinen Tipp hätte er im Flachen wohl doch zumindest drei, viermal kräftig angetaucht. Dann wär's vermutlich eng geworden.
Wir Kinder haben doch tatsächlich immer um unseren Erfolg gekämpft. Nicht immer mit ganz fairen Mitteln, aber wenn man allzu fair und allzu rücksichtsvoll im Leben bist, dann wird man vielleicht alles Mögliche damit erreichen, nur eines ganz sicher nicht: den notwendigen Erfolg! Nur eines konnte ich nie ausstehen: Wenn jemandem ein Unrecht widerfahren war! Wahrscheinlich vor allem deshalb, weil ich selbst sehr oft für alle möglichen Dinge meinen Kopf hinhalten musste, die tatsächlich nicht auf meinem Mist gewachsen waren. Ich hasste es auch immer, wenn Schwachen von Stärkeren ein Leid zugefügt wurde.
Das galt durchaus auch für Tiere und wenn unser Hahn sich mit dem großgewachsenen Gockel von Rudis Eltern eine Schlacht auf Biegen und Brechen lieferte, dass die Federn nur so flogen, da stand ich fasziniert daneben und konnte mich gar nicht satt sehen, mit welcher Härte die beiden dieses Duell austrugen. Egal wer schließlich das bessere Ende für sich hatte, mir war jeder Sieger recht, obwohl ich es natürlich lieber sah, wenn unser Hahn am Ende die Hennen mit stolz erhobenem Kopf um sich scharte und der andere davon humpelte. Aber wehe, wenn unser Hahn sich am Zwerghahn der "Feuersingerin", wie die Nachbarin unter uns hieß, verging, da versetzte ich unserem Gockel einen kräftigen Tritt.
Den kleinen Kerl sollte er schön artig in Ruhe lassen!