Diese Geschichte erzählte uns Buben einmal mein Vater. Der hat ja immer irgendwelche humorvolle "G'schichterl" zu erzählen gewusst.
Stiere sind ja nicht umsonst gefürchtet, was ihre Kraft und Wildheit anbelangt, und deshalb wurden und werden wohl noch immer solchen gehörnten Bullen bereits im Jugendalter Nasenringe eingezogen, um sie zumindest einigermaßen gefügig machen zu können, wenn der Bauer dann und wann zum Stier in den Stall gehen muss oder ihn woanders hintreiben will. Das macht auch die wildesten Stiere gefügig und sie lassen sich dann sozusagen an der Nase herumführen. Doch nicht von den Nasenringen der Stiere handelt die Geschichte, sondern von Sommerfrischlern aus der Großstadt. Die in unserem Fall wohl wenig Ahnung von solchen Rindviechern hatten.
Mein Vater hatte mit dem Baumann Rudl, dem Vater meines Freundes Rudi, weit oben am Fuße des Lugauers Bäume gefällt. Diese Art von Nebenjob verrichteten unsere Väter oft an den Wochenenden, um ein bisschen Zusatzverdienst ins schmale Haushaltsbudget zu bringen. Vom Morgengrauen an bis weit über die Mittagszeit schufteten die Männer auf diese Weise auch diesmal im Wald, und als sie im Laufe des Nachmittags müde heimwärts gingen, da sahen sie oberhalb der Pfarreralm auf einer Wiese einige Sommerfrischler auf einer Decke liegen und sich sonnen, damit ihre weißen Beinchen ein wenig Farbe bekommen sollten, und dazu natürlich auch ihre vom Grau der Stadt blassen Gesichter. Sommerfrischler gab es damals bei uns in Radmer immer wieder. Zumeist waren es recht freundliche Menschen mit Händen ohne Schwielen, einer etwas anderen Sprache und durchaus auch anders gekleidet. Sie waren zur Erholung hier bei uns auf dem Land. Es hat ihnen sicherlich gefallen bei uns und auch gut getan, denn sie kamen immer wieder. Zumeist wohnten sie in irgendwelchen Privatzimmern. Auch meine Mutter vermietete ab und zu ein Zimmer, kamen damit doch einige Zusatzeinnahmen in die Familienkasse. Wie eben auch durchs Holzarbeiten in der Freizeit der Väter.
Diese Sommerfrischler lagen jetzt auf dieser bunten Decke, daneben stand ein Korb mit Essbarem, eine leere Flasche zeugte davon, dass sie durchaus erfolgreich den Durst bekämpft hatten, und mein Vater ging mit seinem Kumpel nah an ihnen vorbei, grüßte freundlich und sagte: "Aufpassen, hinter uns kommt ein Stier des Weges, aber er ist nicht allzu gefährlich!"
"Tatsächlich?"
Der Hofbauer Edi, so hieß der gute Mann, rief es erschrocken aus und sprang auf. Ich mochte ihn sehr gern, weil er immer sehr splendid war und mir nicht selten einen Schilling in meine Tasche steckte, wenn ich ihm die Zeitung von der Trafik holte. Er war mit seiner Gattin Elsa und deren Enkeltochter Evi jedes Jahr im Sommer für zwei, drei Wochen bei den Eltern meines Freundes einquartiert. Die drei fuhren vom Boden empor wie aufgescheuchte Hühner, schnappten ihre Utensilien und fanden kaum noch Zeit, in ihre teilweise abgelegten Kleider zu schlüpfen. Eilig liefen sie den Weg hinunter ins Tal, anscheinend hatten sie schon von Stieren gehört, und dass manchmal wirklich nicht gut Kirschen essen war mit solchen Gesellen.
Meinem Vater taten die drei aber danach irgendwie leid. Er wollte sie ja nur ein wenig erschrecken und nicht gleich verjagen. Vom Stier war weit und breit nichts zu sehen, der stand etliche hundert Meter weiter unten friedlich im Stall und wartete auf Arbeit. Doch weil an diesem Tag niemand eine Kuh zum "Besamen" zum Gemeindestier trieb, so hatte er heute dienstfrei ...