Der Frühling war dem Sommer gewichen, die Geschichte vom Petergstamm-Pflücken und dem Scheinabsturz vom Frantschgerl war Schnee von gestern, obwohl wir es ihm lange nicht verzeihen konnten, dass er uns so erschreckt hatte, und vor allem ärgerte es uns, dass wir feigen Hunde sogar zum Gebet Zuflucht gesucht hatten, und dass er uns deswegen auch noch ausgelacht hatte. Was solls? Vorbei ist vorbei und irgendwie waren wir damals ja doch froh, dass er nicht wirklich die Felswand hinuntergestürzt war. Besser uns zu erschrecken als zu seinem Begräbnis gehen zu müssen mit all dem Schmerz und den Tränen, die sich dabei auf Friedhöfen immer wieder abspielen.
Ich diente mein letztes Jahr in der Volksschule ab und mit dem Zeugnis im Schulranzen war für mich ein Abschnitt meines Lebens vorbei. Irgendwie schade. Hatte ich mich doch einigermaßen gut eingelebt und verlor jetzt wohl etliche meiner Freunde und vor allem auch Freundinnen mehr oder weniger aus den Augen. Denn außer der Monika und mir fuhr niemand von unserer Klasse nach Eisenerz in die Hauptschule. Doch zuerst kamen ja noch die Ferien und da muss ich jetzt ein bisschen von meinen alljährlichen Ferienaufenthalten bei meiner Großmutter in Unterach am Attersee erzählen.
Natürlich war ich bereits einige Male bei meiner Omama gewesen. Vornehmlich mit meinen Eltern oder auch allein mit meiner Mutter und mit meinem Bruder, weil mein Vater zu Hause mit der Holzarbeit beschäftigt war und es ihm um die Zeit leid war, die er praktisch unnütz im Haus seiner Schwiegermutter verbringen musste, obwohl er sich immer irgendwie nützlich machte, und Arbeit gab es ja auch dort genug zu erledigen. Doch mein Vater fuhr eher selten mit, wenn meine Mutter wieder einmal zu ihrer Mama reiste. Ja reiste, denn die Fahrt von Radmer nach Unterach war eine Tagesreise. Zeitlich am Morgen mit dem Bus von zu Hause weg, dann in Hieflau ab in den Zug, weiter nach Selzthal und Stainach-Irdning, wieder umsteigen in die Salzkammergutbahn Richtung Bad Aussee, weiter durch die Koppenschlucht zum Hallstätter See, an diesem entlang nach Bad Goisern und schließlich die Ankunft in Bad Ischl. Von dort in den Bus und durchs Weissenbachtal nach Weissenbach und Burgau, um schließlich nach vielen Stunden endlich in Unterach zu landen.
Diesmal durfte ich nach einigem Betteln allein fahren, ich war ja bereits beinahe zehn Jahre alt und ein relativ aufgewecktes Bürscherl und ich traute mir zu, die Fahrt auch ohne Begleitung machen zu können. Wo sollte es da Probleme geben? Vor allem meine Mutter war damit nicht ganz einverstanden. Ein Kind ganz allein auf diese Reise zu schicken.
"Was, wenn dir dabei etwas zustößt?"
Doch schließlich konnte ich ihre Zweifel beseitigen. Mir etwas zustoßen? So ein Blödsinn! Wo ich doch wusste, wo es im Leben langging! Meinte ich in meiner kindlichen Einfalt zu wissen. Dass die Bedenken meiner Mutter nicht ganz zu Unrecht vorhanden waren, werden wir gleich sehen.
Die Lok dampfte munter dahin, ich stand am Fenster und genoss das Betrachten der Landschaft, durch die der Zug ratterte. Vor allem die Tunnels im Gesäuse machten mir Freude. Kurze Tunnels, in deren dunklem Inneren wir da und dort nach vorherigem Pfiff aus der Lok verschwanden, um gleich darauf wieder ins Tageslicht einzutauchen. Aufregend, weil in den Waggons damals noch kein Licht brannte und es bei dieser Fahrt durch die Tunnels richtig schwarz vor meinen Augen wurde, und mein Herz dabei ganz bestimmt ein wenig schneller schlug. Heute sind Lokalzüge beinahe völlig leer, damals saßen wenigstens einige Fahrgäste auf den Bänken. Dann kam er, der Mann im blauen Schaffneranzug, mit der Kappe auf dem Kopf und der Zange in den Händen. Ich zog meine Fahrkarte aus der Hosentasche und reichte sie dem freundlich lächelnden älteren Herrn.
"Na, Kleiner, ganz allein unterwegs?"
"Ja", meine kurze Antwort.
"Nicht vergessen, umsteigen in Stainach-Irdning."
Ich nickte und sah ihm nach, wie er sich entfernte. Kleiner, hat er gesagt. Frechheit! So klein war ich nun auch wieder nicht. Oder? Und umsteigen. Natürlich. Bin ja nicht blöd.
Der Bus hatte soeben Unterach erreicht. Die Sonne war längst untergegangen und da und dort brannte schon das eine oder andere Licht. Meine Großmutter stand an der Haltestelle, rang ihre Hände, schüttelte ihren Kopf und nahm mich in die Arme, als ich aus dem Bus stieg.
"Sag einmal, Hermann, was ist passiert? Warum kommst du erst jetzt mit dem allerletzten Bus an? Deine Mutter hat mir geschrieben, dass du schon mit dem Nachmittagbus kommst?"
"Tut mir leid. Hab den Zug versäumt."
"Bin schon echt besorgt gewesen. Hab dann beim Forstamt in Radmer angerufen. Aber die konnten mir auch keine Auskunft geben."
Meine Großmutter nahm mich an der Hand und murmelte so etwas wie: "Na ja, du bist ja da. Gott sei dank! Hoffentlich macht sich deine Mutter jetzt nicht unnötig Sorgen."
Was war geschehen?
Ich saß im Zug auf der Bank, stand wieder auf, ging im Waggon mal zu diesem, mal zu jenem Fenster, beobachtete die Menschen, wie sie an den verschiedenen Haltestellen aus- oder zustiegen und genoss die Fahrt durchs Gesäuse. Leider war ich noch zu klein, um das Fenster allein öffnen zu können und so sah ich die Dampfschwaden nur an uns vorbeiziehen, wenn die Lok wieder einmal ordentlich dampfte und pfauchte. Die Fahrt ging weiter, immer weiter und ich war mit mir und der Welt zufrieden. Wieder eine Haltestelle, wieder das Anfahren des Zuges, nachdem der Mann mit der roten Kappe auf dem Kopf mit der Kelle gewinkt hatte, und auf einmal stand der Schaffner wieder vor mir.
"Sag einmal, ich hab dir doch gesagt, du musst in Stainach-Irdning umsteigen. Jetzt bist du noch immer da."
Ich schaute womöglich nicht gerade geistreich drein und der Mann mit der Kappe schüttelte seinen Kopf und sagte: "Du hast Glück. Wir kommen gleich nach Trautenfels. Sind nur ein paar Kilometer nach Stainach. Wenn du schnell zurückläufst, kannst du den Zug nach Bad Ischl noch erreichen."
Schon hielt der Zug, der Schaffner öffnete mir die Tür, und ich stand wenig später am Bahnsteig in Trautenfels.
"Mach schnell! In zehn Minuten bist du in Stainach."
"Danke, mach ich", und schon hastete ich den schmalen Weg neben der Bahn zurück, den mir der Herr mit der roten Kappe in Trautenfels zuvor noch gezeigt hatte. Doch alles Laufen war vergeblich. Den Zug ins Salzkammergut sah ich zwar noch, vor meiner Nase ratterte er dahin ...
Um zu einem Ende zu kommen: Der Fahrdienstleiter in Stainach-Irdning versuchte mich zu trösten. In drei Stunden würde wieder ein Zug in diese Richtung fahren und den letzten Bus nach Unterach würde ich in Bad Ischl auch noch erreichen.
Ich war also nach Stunden in meinem geliebten Unterach und bei meiner ebenso von mir geliebten Omama gelandet. So nannten wir Buben sie schon, seit ich denken konnte. Alles hatte sich schließlich in Wohlgefallen aufgelöst, meine Großmutter hatte zeitlich am nächsten Morgen vom Postamt aus eine Nachricht an meine Eltern abgeschickt, dass ich wohlbehalten angekommen wäre. Wie jeden Tag brachte sie mir vom Bäcker Semmeln und wie immer auch ein Mohnweckerl mit. Einfach herrlich. Keine Marmeladebrote wie zuhause, sondern köstlich schmeckende knusprige Semmeln, Butter, Marillenmarmelade. Dazu Kakao und danach ab in den Seegarten. Natürlich mit dem Angelzeug und natürlich wie beinahe immer mit meinen beiden Cousins. Dem Peter und dem Wolfgang. Das waren die Jungs von der Schwester meiner Mutter. Der Peter nur ein paar Monate älter als ich und der Wolfi zwei Jahre jünger. Alle wohnten sie in diesem uralten schlossähnlichen Haus meiner Großmutter, das ihre Eltern einst gekauft hatten. Mit den dicken Steinwänden, den vielen Zimmern, den an den Wänden hochrankenden Rosen in den verschiedensten Farben und dem auch im Sommer stets kühlen Inneren, sofern man nicht auf einen der sechs Balkone hinaustrat und sich die Sonne auf den Pelz scheinen ließ, was meine Großmutter sehr gerne machte. Allerdings setzte sie sich meistens in den Schatten eines Sonnenschirms, denn die Hitze mochte sie ebenso wenig wie den Regen oder gar den Nebel in den Wintermonaten. An solchen Tagen stieg sie in den Bus und fuhr ins nicht allzu weit entfernte nebelfreie Mondsee.
Vom Balkon meiner Großmutter hatte man einen wunderschönen Ausblick über den tiefblauen See mit den Segelbooten darauf oder dem vorbeigleitenden Raddampfer, auf dem der "Schani" Dienst machte, wie wir den alten "Käptn" nannten, den Großvater der kleinen Evi, in die ich mich irgendwann richtiggehend verknallt hatte und die in den Ferien immer aus Wien angereist kam, um bei ihren Großeltern sein zu können, die bei meiner Großmutter eine Wohnung gemietet hatten. Normalerweise wohnte sie ja bei ihrer Mutter in Wien. Der Vater lebte jedoch in Unterach und betrieb ein Kino, nur einen Steinwurf weit weg vom Lasserschlößl, wie das Haus meiner Großmutter auch hieß. Wenn die Evi und ich halfen, die Kinokarten abzustempeln, dann durften wir manchmal in die Nachmittagsvorstellung, sofern ein passender Film auf dem Programm stand. Die Evi war ein bildhübsches Mädchen, etwa im Alter von uns Buben, und mein Herz schlug in der Dunkelheit des Lichtspieltheaters deutlich schneller, wenn Evi und ich eng aneinander saßen, und unsere Augen das Geschehen auf der Leinwand verfolgten.
Was mich mindestens ebenso faszinierte wie die Evi, das waren die Fische im See, und natürlich das Fangen dieser munteren Gesellen. Doch dazu benötigte ich um einiges mehr als bei uns zu Hause im Bach, wo wir die Fische vornehmlich mit unseren Händen aus dem Wasser holten, nachdem sie sich unter irgendwelche Steine versteckt hatten. Bei uns benützten wir manchmal auch selbst angefertigte Angelhaken aus Stecknadeln, angebunden an eine Schnur und darauf aufgespießt ein fetter Regenwurm. Doch so mancher Fisch entkam uns damit wieder, weil diese Angelhaken ja keine Widerhaken hatten und nur, wenn wir sofort nach dem Anbeißen richtig losrissen hatten wir eine Chance, den Fisch damit aus dem oftmals seichten Wasser herauszukatapultieren. Im See war zum Fischen mehr notwendig. Beim Krämer kaufte ich eine Rolle mit Angelschnur, dazu etliche Haken in den verschiedensten Größen, etwas Blei in Form von kleinen Kugeln und dazu noch einen Schwimmer, der mir anzeigte, wenn einer angebissen hatte. Meine Oma gab mir dazu das notwendige Geld und lächelte mir zu, wenn ich mit den gekauften Angelsachen wieder bei ihr auftauchte. Wunderschön, so eine Oma zu haben!
Gemeinsam mit meinen Cousins ging es danach ab in den eigenen Seegarten und auf dem hölzernen Steg wurde zuerst alles richtig montiert, bevor zuletzt noch der Köder am Haken angebracht und die Leine im Wasser versenkt wurde. Peter und Wolfi waren echte Profis beim Fischen im See, kein Wunder, hatten sie doch bereits viele Stunden Fischen hinter sich, und so mancher dieser kleinen Kerle zappelte an der Leine, wenn sie ihn aus dem Wasser zogen. Doch nicht immer standen sie so früh auf wie ich und nicht immer waren sie mit so großer Begeisterung bei der Sache. Fischen hatte für sie nicht den gleich großen Stellenwert wie bei mir und so sah man mich sehr oft ganz allein, gleich nach dem Frühstück, im Seegarten auf der Lauer liegen und zumindest eine meiner Frühstückssemmeln mit dem weichen Inneren, das ich zu kleinen Kugeln formte, als Köder neben mir auf dem Steg. Zumeist fing ich "Schratzen", wie wir die Fische nannten, die kaum größer als zehn Zentimeter waren. Doch auch Rotäugel und Lauben bissen gerne an. Die waren etwas größer, und jedes Mal, wenn der Schwimmer unterging und ich einen dieser Kerle aus dem Wasser zog, schlug mein Herz merklich schneller. Wenn dazu noch die Evi im Badeanzug neben mir auf dem Steg saß, dann fühlte ich mich tatsächlich wie im Paradies.
Dem Peter und dem Wolfgang gab das Fangen der kleinen Fische scheinbar nicht mehr alles und deshalb nahmen sie die von mir während des Tages gefangenen Schratzen als Köderfische, hingen sie an einen Drilling mit Stahlvorfach und einer stärkeren Angelschnur, gaben einen wesentlich größeren Schwimmer dazu und ab mit dem Köder in den See.
"Am besten beißen die Hechte in der Abenddämmerung, da gehen sie auf die Jagd."
Das war ihr Spruch, und so sah man uns an manchem späten Nachmittag, wenn die Sonne ihre letzten Strahlen soeben im See versenkt hatte, den Hechten nachstellen. Als die Jungs tatsächlich den ersten vor mir in der einbrechenden Dämmerung aus dem Wasser zogen, der Hecht wild an der Leine riss und sie ihn nach dem Herausziehen kaum bändigen konnten, da war das Anglerglück bei mir perfekt. Beim Hecht wahrscheinlich weniger, denn schon sehr bald brutzelte er in der riesigen Bratpfanne meiner Tante und wir Buben saßen am Tisch und das Wasser rann uns beim Gedanken an den bevorstehenden Leckerbissen richtiggehend im Mund zusammen.
Natürlich nützten wir die herrliche Sommerzeit auch zu manch kühlem Bad im See. Schwimmen konnte ich mittlerweile schon einigermaßen gut, Tante Annemie hat sich jedes Mal, wenn mein Bruder Herbert und ich am Attersee weilten, sehr bemüht, uns das beizubringen. Dazu mussten wir uns immer einen von ihr selbst angefertigten Schwimmgurt mit Korkstücken um den Bauch binden, und schon sehr bald sah man uns munter damit dahinpaddeln. Ihren Mann konnte sie allerdings in all den Jahren nicht dazu bringen, auch nur ein einziges Mal in den See zu steigen. Onkel Gustl zog es vor, in Gummistiefeln herumzustolzieren und sich der Holz- und Gartenarbeit rund ums Haus zu widmen, und nur sehr selten tauchte der Onkel bei uns im Seegarten auf, um nach dem Rechten zu sehen. Doch am Abend, wenn wir unsere Beute verschmausten, da verschwand er auf einmal und kam mit einer Flasche Wein aus dem Keller zurück, lobte unsere Fangkünste und ließ es sich gut schmecken. Hatte er bereits einige Achterl getrunken, dann stieg seine Laune beträchtlich, und wir Buben hörten zu, wie er von den "Heldentaten" aus seiner Jugendzeit erzählte. Wenn er dabei allerdings hin und wieder ein bisschen allzu dick auftrug, korrigierte ihn die Tante ein wenig und meinte dann immer, er solle lieber noch das Schwimmen erlernen, das wäre eine Tat, auf die er stolz sein könne. Da goss er sich sofort etwas Wein in sein Glas nach, schüttelte seinen ergrauten Kopf, rollte mit den Augen, hob das Glas und machte einen guten Schluck daraus. Dieses "Nass" war ihm anscheinend wesentlich lieber als das im See.
Wie sehr liebte ich doch dieses Unterach mit seinen kleinen Gässchen und der Konditorei, in die uns unsere Oma manchmal auf ein Eis oder eine gute Mehlspeise einlud. Ich liebte den See mit den unzähligen Enten, Schwänen und Möwen, die vielen Boote, meine Omama, ihre hübsche Erscheinung und ihre feine Art, zu sprechen und sich stets nett zu kleiden. Ich liebte das riesige Haus mit den Obstbäumen davor und den verschiedenen Sträuchern, die in allen erdenklichen Farben blühten. Auch die uralten verschnörkelten Möbel, die wuchtigen Rahmen mit den Bildern unserer Vorfahren, das Silberbesteck und hatte Freude auch am Klavier, auf dem ich mich manchmal ein wenig versuchte, viel mehr als "Hänschen klein" jedoch nicht mit meiner Einfingertechnik zuwege brachte. Dafür setzte sich meine Großmutter manchmal an den Flügel und ließ ein paar Melodien erklingen, und ihr Blick wurde wehmütig, ganz bestimmt dachte sie beim Spielen an vergangene Zeiten zurück. Mein Großvater, ein Offizier mit Majorsrang im ersten Weltkrieg, war ja allzu früh verstorben, ich war noch ein Baby und kann mich daher nicht an ihn erinnern.
Sehr gut erinnern kann ich mich jedoch an jenen Tag, als ich meine nagelneue Angelrute, die mir meine Großmutter als Belohnung für mein gutes Zeugnis, wie sie sagte, geschenkt hatte, in meinem Rucksack verstaute, und Peter und ich uns auf die Räder schwangen. Wir wollten ins einige Kilometer entfernte Weißenbach-Tal radeln, um meine Angel einmal an Forellen auszuprobieren. Peter sagte, dass sich dort die herrlichsten Stücke in etlichen Tümpeln tummeln würden. In einer nicht mehr benötigten Puderdose wanden sich etliche Regenwürmer, die wir unter Steinen oder unter Holzscheiten gefunden hatten. Genau das Richtige für meine Angel und genau das Richtige für die Gebirgsforellen. Am Bach angekommen, verstauten wir unsere Räder im Gebüsch, und schon ging es Bach aufwärts durch den Wald. Nach etlichen Minuten waren wir am ersten Tümpel angelangt.
"Siehst du sie?"
"Ja. Herrliche Stücke."
Mir stand das Jagdfieber ins Gesicht geschrieben. Die Angel aus dem Rucksack, zusammengesetzt, einen Wurm auf den Haken und ab damit ins Wasser.
Nach nicht einmal einer halben Stunde hatten wir an die vier, fünf herrliche Regenbogenforellen aus dem Tümpel gefischt, und als ich soeben wieder Haken und Wurm im Tümpel versenkte, sahen wir ihn aus dem Wald treten. Ein Mann in mittleren Jahren, den Hund an der Leine, und er ging direkt auf uns zu.
Peter: "Ein Jäger, nichts wie weg!"
Er schnappte den Sack mit den Fischen, ich den Rucksack, die Angel legte ich am Rand des Tümpels ins Wasser. Dort würde sie der Mann nicht entdecken und würde wohl meinen, wir wären Wanderer, die nur zum Spielen hier am Bach verweilten. Ganz unschuldig sahen wir beide drein, warfen einige Steine ins Wasser und beobachteten Mann und Hund, wie sie immer näher kamen. Den Sack mit den Forellen hatte Peter inzwischen im Rucksack verstaut und nichts schien uns zu verraten. Der Mann kam näher und wir entfernten uns ganz langsam. Und noch während wir im Wald verschwanden, tat es mir bereits leid, meine Angel nicht doch mitgenommen zu haben. Hoffentlich würde er sie nicht entdecken. Peter und ich hatten uns jeder hinter einem Baum versteckt und beobachteten den Vorgang.
Peter: "Er hat die Angel entdeckt."
Ich: "Der wird sie doch wieder hinlegen?"
Der Mann mit dem Hund hatte meine Angel aus dem Wasser genommen und betrachtete sie. Dann schaute er zu der Stelle, wo wir im Wald verschwunden waren und ging langsam den Weg zurück. Die Angel in seiner Hand.
Ich: "Das kann doch nicht sein, der kann doch nicht einfach mit meiner Angel abhauen!"
Peter: "Besser er hat die Angel, als er hätte uns beim Fischen erwischt. Denn Fischen ist hier streng verboten."
Ich: "Was sollen wir tun?"
Er: "Abwarten. Und dann vorsichtig zurück zu unseren Rädern."
Für Peter war es anscheinend kein so großes Problem, dass wir nun keine Angel mehr hatten. Wichtig war ihm vor allem, nicht beim Fischen erwischt worden zu sein. Ganz anders bei mir. Ich war echt sauer. Meine neue Angel. Die musste ich ganz einfach wieder bekommen!
Ich: Ich hol mir die Angel, komm! Dem Mann nach! Peter zögerte anfangs, doch dann war er scheinbar auch meiner Meinung. Wir eilten den Weg zurück, und als wir aus dem Wald heraustraten, sahen wir, wie der Mann soeben Angel und Hund in einem riesigen Mercedes verstaute. Mit Deutschem Kennzeichen. Ganz offensichtlich ein Tourist, kein Jäger. Schon war ich beim Auto.
Ich: "Was machen Sie mit meiner Angel?"
Er: "Na sieh mal einer an. Dir Bürschchen gehört das Ding, was? Zeig mir mal schnell deine Fischerkarte!"
Ich: "Welche Fischerkarte?"
Er: "Na ja, die Erlaubnis, dass du hier Fischen darfst."
Ich: "Ich kann hier überall fischen. Bin Einheimischer. Rücken Sie meine Angel sofort raus!"
Er - nicht mehr allzu freundlich: "Moment, Bürschchen! Ich bin hier der Pächter des Fischwassers. Und du ein ganz schlimmer Fischdieb. Und außerdem fischt du mit Regenwürmern. Lass dich nie wieder hier erwischen! Sonst zeig ich dich an!"
Warum er mir schließlich die Angel doch wieder gegeben hat, weiß ich bis heute nicht. Doch als ich sie in meinen Händen hielt, wurde ich wieder kecker, und irgendetwas hab ich ihm noch aus der Ferne zugerufen, als wir weit genug weg waren, und er ins Auto stieg. Hoffentlich keine Frechheit. Ganz sicher bin ich mir da aber nicht. Doch ich hatte meine Angel wieder und Peter den Sack mit den Forellen. Daran hatte der Gute wohl nicht gedacht. Sonst hätte er uns die Beute ganz sicher abgenommen.
Sehr gern denke ich noch an die Zeit in Unterach zurück. Mit meiner geliebten Omama und den Besuchen aus nah und fern, die immer wieder einmal für einige Tage dort weilten. Verwandte und Freunde. Platz war ja genug vorhanden in diesem riesigen Haus mit den vielen Zimmern. Mein Cousin Peter malte mit Hingabe schon als Kind und sein Bruder Wolfgang widmete sich vor allem geschäftlichen Dingen. Der vermehrte täglich sein Taschengeld, indem er in den Ferien allerlei Jobs annahm, Kracherl ausführte oder beim Bootsvermieter half. Gern denke ich auch noch an Onkel Gustav mit seiner Freude am Gesang. Vor allem am Abend, wenn wir in der Runde saßen und er sich ein gutes Tröpferl zu Gemüte führte und Tante Annemie, die so viel Interessantes zu erzählen wusste, und die nach den Mühen des Tages selbst gern ein erfrischendes Bad im türkisblauen See nahm. Und die Evi? Wunderschön wie die Gegend und - bei all der Freude, die sie mir immer bereitet hatte konnte sie nur ein Sonntagskind sein ...