Cowboy und Indianer - diese zwei Wörter haben früher, bevor die Computer und die dazugehörende Software die Welt zu beherrschen begannen und sehr viele Kids den Großteil ihrer Freizeit vor den Flimmerkisten verbringen, diese zwei Wörter haben zumindest uns immer fasziniert. Vor allem im ländlichen Raum kann man auch heute noch bei Umzügen im Fasching immer wieder Apachen, Sioux oder Comanchen mit Federschmuck und bunten Indianergewändern beobachten, die Gesichter bemalt, in den Händen Tomahawks schwingend und lautes Kriegsgeheul ausstoßend. Als Gegenpart dazu gibt es die Cowboys mit riesigen Hüten auf dem Kopf, den mit Fransen besetzten Cowboy-Anzügen und tiefhängenden Revolvertaschen, aus denen die Griffe der Colts herausschauen. Dazu ein Gürtel mit Patronen um die Mitte und ab geht's zur Indianer-Hatz.
Wer kennt ihn nicht, den stolzen Häuptling Winnetou und auf der anderen Seite Old Shatterhand und die vielen Geschichten rund um die zwei Blutsbrüder. Natürlich waren auch wir begeisterte Karl May-Leser und natürlich banden wir wie die Indianer in diesen Geschichten unsere Feinde dann und wann an den Marterpfahl und sprangen mit wildem Kriegsgeheul rund um diesen, bevor wir die dort Befestigten mit Brennnesseln bearbeiteten. Wobei als Marterpfahl durchaus ein Baum herhalten musste und unsere "Feinde" eben gewisse Nachbarbuben waren, die nicht zu unserer Bande gehörten.
Mädels verschonten wir vor diesen Marterpfählen, doch die eine oder andere Squaw schleppten wir in unsere Wigwams, unsere Hütten und Baumhäuser und ließen sie dort ewige Treue und Unterwerfung schwören. Natürlich rauchten wir dann und wann mit den Cowboys oder mit anderen Stammesbrüdern am Lagerfeuer die Friedenspfeife. Wobei dies jedoch zumeist heimlich geschehen musste, weil das Entfachen von Feuer im Wald für uns genauso verboten war wie das Rauchen von Zigaretten. Doch die Gefahr machte ja schließlich diesen gewissen Reiz aus und ab und zu ritzten wir uns tatsächlich mit unseren Taschenfeiteln die Haut auf, drückten die blutenden Stellen aneinander, um damit zu Blutsbrüdern zu werden. Blutsbrüder, die nichts und niemand trennen konnte und die wie Pech und Schwefel auch in der größten Not zusammenhalten sollten.
Nachdem es uns an Pferden fehlte, mussten oftmals Kühe oder Ziegen zum Reiten herhalten, wobei sich diese Ritte auf eher sehr kurze Phasen beschränkten. Aufgesprungen und zumeist im hohen Bogen gleich wieder heruntergeflogen. Aber einen Versuch war es dennoch wert. Ganz so wie das heute vielfach beim Rodeo zu sehen ist. Auch da verabschieden sich die Reiter zumeist schon nach wenigen Sekunden, wenn sie auf Stieren oder Mustangs ihr Glück versuchen. Und unsere "Büffelherden" waren ebenso die Haustiere: die Kühe, Kälber, Ziegen, Schafe oder sogar Schweine. Tomahawks hatten wir zwar keine, doch mit unseren Hacken bearbeiteten wir Baumstümpfe, hackten Haselnuss-Stöcke ab und stellten auf diese Weise mit Hilfe von Schnüren, Nägeln und Federn von den Hühnern Pfeil und Bogen her. Dazu hatte jeder von uns eine gut ziehende Steinschleuder anstelle von Pistolen - und auf gings zum Kampf. So mancher Krieger bekam da und dort eine ordentliche Schramme ab und doch hielten sich ernsthafte Verletzungen wie durch ein Wunder in Grenzen und nur ganz selten musste einer der Kämpfer in ärztliche Behandlung. Zumeist heilten Pflaster oder kleinere Verbände unsere Wunden und natürlich passierte alles entweder bei einem Sturz oder beim Anschlagen mit dem Kopf an einen Baum. Keinesfalls durfte die Wahrheit ans Tageslicht kommen, das hätte unseren kriegerischen Handlungen durch die Erwachsenen zu einem schnellen Ende verholfen.
Ferienaktionen für Kinder waren damals sehr beliebt und eines Tages lud uns Ministranten der Pfarrer zu einem sogenannten Ministrantenlager ein. Auf einer ausgedienten Almhütte, etliche Kilometer weg aus dem Tal, inmitten herrlicher Natur. Die Hütte hatte eine Küche mit Feuerstelle und einen großen Tisch mit dazugehörigen Bänken zum Sitzen, dazu eine Schlafstelle hinter dem Ofen sowie einen weiteren kleinen Raum mit zwei Betten darin. Dann gab es noch einen etwas größeren Schlafraum mit Matratzenlager - eine Reihe unten und eine Reihe darüber im sogenannten Obergeschoss. Ähnlich Stockbetten, für jeweils vier bis sechs Schläfer. Je nach Körperfülle. Wir waren insgesamt zehn Personen: Unser Pfarrer, ihm zur Seite stand ein junger Kaplan und dazu kamen wir acht Ministranten. Wobei der Siegfried, der Horst, mein Bruder Herbert und der Fred etwa drei Jahre älter waren als der Hubert, der Rudi, der Toni und ich.
Jeder von uns hatte einen vollbepackten Rucksack auf die Hütte getragen. Verpflegung für eine Woche war mitzunehmen. Allerlei Dosen-Zeug, harte Würste, Kartoffel, Zwiebel, Nudel, Mehl, Salz, Fett und Zucker und dergleichen mehr. Dazu noch die Zahnbürsten, etwas Seife und Zahnpasta, Kämme und Waschlappen und zwei, drei Leibchen, Pullover, Regenschutz, Sandalen und natürlich auch ein wenig Spielzeug. Die Lederhosen hatten wir ja alle an, die Taschenfeitel oder Knicker steckten in den Außentaschen. Gut kann ich mich noch daran erinnern wie unser doch etwas beleibter Pfarrer den steilen Pfad zur Hütte empor stapfte, immer wieder eine kurze Rast einlegte, sich den Schweiß vom Gesicht wischte, nach Luft schnappte und zum Himmel emporblickte. Vielleicht schickte er stillschweigend ein Stossgebet empor: "O Herr, lass mich doch nicht so keuchen und schwitzen!" Rucksack brauchte der Pfarrer keinen zu schleppen. Den hatte ihm der Horst - für seine 14 Jahre ein Mordskerl - abgenommen und trug jetzt zwei. Einen hinten und einen hatte er vorne herum an sich hängen.
Sieben Tage und zum Teil aufregende Nächte verbrachten wir auf der Hütte. Am frühen Morgen, wenn die Sonne hinter den Bergriesen hervorschaute und ihre ersten Strahlen den Tau der Nacht auf den Gräsern und Halmen zum Glitzern brachte, sah man uns barfuss zum etwa 50 Meter von der Hütte entfernten Brunnen oder einige Schritte weiter in den Wald stapfen, um unsere Morgentoilette zu erledigen. Frisch, sehr frisch, aber durchaus belebend. Dann ging's ab zum Frühstück. Rund um den Tisch versammelt mussten wir kurz unsere Hände falten und ein Morgengebet mit Pfarrer und Kaplan sprechen. Wir waren ja auf Ministrantenlager und mit den Geistlichen unterwegs. Im Herd knisterte das Feuer und sehr schnell war das Wasser heiß genug für eine zünftige Schale Tee. Dazu gab es Butterbrote mit oder ohne Marmelade.
Gleich darauf hieß es raus aus der Hütte und ran an den Tag. Mit klettern auf die umliegenden Bäume, mit schnitzen von kleinen Schiffchen aus Baumrinde mit unseren Messern und dem Aufstauen des Bächleins hinter der Hütte. Oder wir suchten nach Schwämmen, pflückten Himbeeren und Heidelbeeren. Einfach herrlich. Einmal machten wir einen Ausflug zur Neuburg-Alm. Wer wollte, durfte sich selbst eine Schale Milch melken. Frisch von der Kuh sozusagen. Der Pfarrer war beim Messwein-Trinken erfolgreicher als beim Melken der Kuh. Er zog und zog und quetschte das Euter der Kuh und beinahe meinte ich, ein leiser Fluch wäre aus seinem geweihten Mund entflohen. Die Kuh schüttelte dazu den Kopf, so dass die Glocke an ihrem Hals bimmelte. Irgendwie hat er es dann doch geschafft. Bevor wir gingen, nahm er der Sennerin noch schnell die Beichte ab. Irgendwo hinten im Kuhstall. Dann faltete er seine Hände, murmelte ein paar Worte zum Gebet, wie es schien und segnete sowohl die Sennerin als auch das anwesende Rindvieh. Wozu eigentlich die Beichte abnehmen? Wo es doch heißt, dass es auf der Alm so und so keine Sünden gibt.
Zu Mittag und am Abend gab es immer Gemeinschafts-Kochen. Die einen schälten Zwiebel, andere schnitten diese und zerstückelten Wurst, wieder welche kochten Nudel und Erdäpfel. Am steinernen Herd brutzelte und dampfte es und der Duft der Speisen ließ uns noch hungriger werden, als wir das ohnehin schon waren. Nach einem Tischgebet hörte man nur noch die Löffel, Messer und Gabeln klappern und weil wir ja doch noch nicht mit so feinen Tischmanieren ausgestattet waren, wird wohl auch das eine oder andere Schmatzen zu vernehmen gewesen sein. Gemeinsam schmeckt es halt am besten. Manchmal meinte ich, ich wäre bei einem Wett-Essen, so gierig schlangen alle das vom Herd auf den Tisch Gestellte in ihre Mäuler und manche unserer Mütter hätte wohl eine helle Freude daran gehabt wie tüchtig ihr Sohn zulangte. Auch ich stopfte jedes Mal in mich, als hätte ich bereits eine ganze Woche lang keinen Bissen zu mir genommen. War die Höhenluft an unserem Appetit schuld oder ganz einfach die Tatsache, dass jeder möglichst viel abbekommen wollte, bevor die Pfannen leer waren? Handelte es sich womöglich um so etwas wie Brotneid? Kann durchaus sein. Jeder löffelte oder gabelte aus zwei riesigen Pfannen, die vor uns auf dem Tisch standen. Einzig für die Suppe ließ der Pfarrer Teller gelten. Die gab es aber nur zwei Mal. Ganz offensichtlich kannte sich keiner von uns mit Suppe kochen besonders gut aus.
Von den Großen mussten je zwei je einmal hinab ins Tal, um Nachschub heraufzuschleppen. Vor allem das Brot war immer im Nu weggegessen. Allein der Horst hätte den einen oder anderen Leib täglich ohne weiteres ganz allein verdrückt, hätte ihn Hochwürden nicht dabei gestoppt. Deshalb der Brotnachschub vor allem fürs Frühstück. Zwei Mal brieten wir uns Pilze, die Sennerin gab uns dazu etliche Eier und auch einige Brösel. Der Kaplan traute anscheinend der Sache nicht recht, er sagte, dass sein Magen Pilze schlecht vertragen würde, und auch der Pfarrer nahm nach dem Essen einen kräftigen Schluck aus der mitgebrachten Schnapsflasche zu sich. Nachdem aber am nächsten Tag alle noch lebten, langte beim nächsten Pilze-Essen auch der Kaplan kräftig zu. Schmeckten einfach köstlich diese Dinger.
Ob es vielleicht doch an den Pilzen lag oder daran, dass der Vollmond an diesem Abend durch das kleine Fenster in unseren Schlafraum schien - jedenfalls schienen einige von uns nicht allzu gut und nicht allzu fest zu schlafen. Wir Jüngeren hatten es uns in der oberen Reihe gemütlich gemacht, die Großen schliefen unten.
Irgendwann mitten in der Nacht war ich aufgewacht, und soeben hörte ich:
"Herr Pfarrer, Herr Pfarrer, der Siegfried nimmt mir das ganze Geld weg."
Die Worte kamen eindeutig vom Platz, wo der Hubert lag. Er träumte offensichtlich. Am Abend spielten wir nicht selten DKT. Jeder bekam dazu Startgeld, zwei Würfel sorgten für das Vorwärtskommen beim Spiel, man konnte Grundstücke, Häuser und Hotels kaufen oder musste bezahlen, sofern man auf Grundstücke der Mitspieler kam. Bekam von der Kassa Geld, wenn man Start und Ziel passierte usw. Der Siegfried und der Hubert saßen dabei oft nebeneinander und anscheinend hatte der Siegfried dem Hubert dabei einiges von seinem Geld entwendet, während der Hubert sich kurz weggedreht hatte. Oder so ähnlich. Jedenfalls träumte der Hubert ganz offensichtlich davon. Aber ansonsten war es gespenstisch still in der Hütte. Nur das Plätschern des Wassers aus dem Brunnen war zu hören und dann und wann drehte sich einer der Schläfer auf die andere Seite. Irgendwann später, als ich beinah schon wieder eingeschlafen war, hörte ich nochmals undeutliches Sprechen aus irgendeiner Ecke. Diesmal unter uns. Dürfte wohl auch gerade einer geträumt haben.
Der Kaplan war noch in Ausbildung, ein netter junger Kerl aus der Stadt. Anfangs etwas steif, schüchtern und eher unbeholfen in manchen Dingen. Einmal sah ich ihm beim Kartoffel-Schälen zu und fürchtete schon, er würde sich dabei in die Finger schneiden. So "geschickt" stellte er sich dabei an. Praktisches Zupacken war ganz offensichtlich nicht seine Stärke, das hatte er auch ganz sicher nicht allzu nötig, wo er doch Theologie studierte und sich in seinem späteren Leben ja eher um das Seelenheil seiner ihm anvertrauten "Schäflein" kümmern wird müssen als um das Handhaben irgendeines Werkzeugs. Einmal versuchte er sich beim Holz-Hacken, weil wir Scheiter für den Herd brauchten. Das sah ungefähr so aus, wie wenn beim Zirkus der Dompteur sich im Jonglieren von Tellern versucht. Ob er tatsächlich ein Kaplan war, das wussten wir nicht. Wir sagten ganz einfach "Kaplan" zu ihm. Eines konnte er jedoch hervorragend: Er las uns immer am Abend, wenn wir bereits in unserem Lager Stellung bezogen hatten, aus einem Buch vor. Die Petroleumlampe stand neben ihm auf dem Tisch, und die Flamme zuckte manchmal genauso gespenstisch wie das seine Stimme zuwege brachte. Er las uns nämlich gerne Geistergeschichten vor. Grausig und gruselig. Diese Lesungen waren trotz des teilweise damit verbundenen Kribbelns in der Magengegend der krönende Abschluss des Tages. Angst? Lächerlich! Hatte natürlich keiner. Zumindest hätte dies keiner zugegeben, wo wir doch durch und durch Kerle ohne Furcht und Tadel waren. Oder? Zumindest fühlten wir uns während dieser Woche so, wenn wir an Pfeil und Bogen werkten, die Pfeile danach hoch und weit durch die Gegend zischen ließen oder mit unseren Steinschleudern dem einen oder anderen Vogel das Fürchten lehrten, johlten und auf der Wiese vor der Hütte unsere Kräfte maßen.
Sehr beliebt war noch etwas. Vor allem, wenn sich der Kaplan mit seinen mitgebrachten Studienunterlagen irgendwohin verdrückt hatte, und der Pfarrer - mit einem Kreuzzeichen dem "Herrn" für Speis und Trank gedankt - sich einem nicht zu kurzen Mittagsschlaf hingab. Zwei-, dreihundert Meter von der Hütte entfernt war ein kleiner Tümpel, in dem suhlten sich des Nachts die Hirsche. Mit Lehm ringsum. Viel Lehm, herrlich weich und gut zu formen. Wir bauten keine Hütten damit oder vielleicht kleine Burgen wie das Kinder oftmals am Meer mit Sand machen. Während der Pfarrer schlief und der Kaplan in seinen Skripten stöberte bemalten wir unsere Gesichter rötlich-blau mit zerdrückten Heidelbeeren. Wie Indianer auf dem Kriegspfad, wählten danach zwei Mannschaften, entblößten unsere Oberkörper, nur die kurze Lederne zum Schutz sozusagen an uns. Dann stellten wir uns barfuss gegenüber auf. Die einen herüben, die anderen auf der anderen Seite der Pfütze und auf los, gings los. Da flog der Lehm, da spritzte der Dreck.
Am Ende waren wir paniert wie die Pilze und unsere Schlachtrufe hallten durch den Wald. Ganz so wie einst bei der Büffeljagd die der Apachen ...