Pepi war einer von vier Söhnen, die zusammen mit ihrer Mutter, einer geborenen Ungarin und deren Lebensgefährten in einer Kleinwohnung hausten. Wohnen konnte man das ja wirklich nicht nennen, dazu waren die Zimmer zu klein und der Platz zum Leben zu eng.
Die "Oma", Pepis Mutter, war an die 60 Jahre alt, klein und rundlich. Sie saß den ganzen Tag in ihrer Wohnküche und ihre Finger bewegten sich unermüdlich - klebten, formten, falteten, schnitten zu, stapelten, zählten, packten ein und aus. Mit Heimarbeit verdiente sie sich gerade soviel Geld, dass sie zwei-, dreimal wöchentlich zum Krämer einkaufen gehen konnte. Bier und Zigaretten für den "Opa", der beim Herstellen der verschiedensten Hüte und Masken mithalf, sofern er nicht gerade ein Nickerchen auf der Ofenbank hielt. Natürlich brachte sie auch einiges zum Beißen mit nach Hause, um den Hunger der Familie zu stillen.
Oma war wie gesagt klein und rundlich, mit dunklem, angegrautem Haar, graublauen Augen und einem dunklen Flaum auf ihrer Oberlippe. Der Opa von zierlicher Gestalt und schlohweiß leuchteten einige Haarbüschel von seinem Kopf. Er kam mit seiner Rente für die Wohnungsmiete auf, war sozusagen der Fixpunkt im monatlichen Budget und der ruhende Pol in der Familie. Diesen Mann konnte nichts erschüttern, er sagte meistens nur: "Da kann man nichts machen, regt's euch net auf!" Dafür hatten die Oma und auch die Buben Paprika im Blut und, sofern ihnen jemand ungut in die Quere kam, konnten aus den sanftesten Wesen mit einem Schlag reißende Wölfe werden. Warum wir zur Oma "Oma" sagten hatte seinen Grund darin, dass Oma neben ihren vier Söhnen auch eine Tochter hatte, und diese Tochter war wiederum Mutter von zwei allerliebsten Mädels. Weil die Tochter und deren Mann arbeiteten und die Eltern wenig Zeit für die Kleinen hatten, deshalb hielten sich die zwei hauptsächlich bei Oma und Opa auf. Ich liebte diese kleinen Dinger mit ihren bunten Maschen an den Haaren und ihren Piepsstimmen. Sehr oft schmiegten sie sich wie Kätzchen an dieses oder jenes Familienmitglied und erfreuten uns mit ihrem Lachen oder veranlassten uns, sie zu trösten und über ihr Haar zu streichen, sofern aus irgendeinem Grund Tränen über ihre Wangen kollerten.
Der älteste Sohn hieß Willi, war ungefähr 30 Jahre alt und, zum Unterschied von den anderen drei Söhnen, groß gewachsen und schlank. Er hatte sich einen alten Lkw und eine noch ältere Planierraupe gekauft und träumte von der eigenen Firma. Willi war nur noch gelegentlich in der Familie anzutreffen, und in den Sommermonaten bewohnte er mit seiner Freundin ein altes Schrebergartenhäuschen. Für Pepi und mich war es immer erstaunlich, wie sehr sich Willi und seine Freundin wohl lieben mochten. Manchmal kamen die zwei den ganzen Tag nicht aus ihrer Hütte hervor und auf unser Klopfen hin schaute Willi mit blassem Gesicht und eingefallenen Wangen zum Fenster heraus und sagte: "Jungs, heute kein Einsatz, heute hab ich Wichtigeres zu tun, ich kann heute nicht weg!" Pepsch und ich sahen uns an und schienen zu wissen, was der große Bruder so Wichtiges zu tun hatte. Seine Freundin war zwar hübsch, doch den ganzen Tag "damit" zu verbringen, das konnten wir nicht verstehen. Viel lieber wäre uns gewesen, wenn Willi mit uns gegangen wäre und wir für ihn arbeiten hätten können, wie wir das an manchen Wochenenden machten, wenn wir mit seiner Schubraupe alte Häuser abrissen, Baugründe aushoben oder in seinem Lkw mitfuhren, um dieses oder jenes zu liefern. Das machte uns Jungs nicht nur Spaß, das brachte uns auch einiges an Taschengeld ein. Denn Willi ließ sich nicht lumpen und wenn wir am Wochenende kräftig für ihn zupackten, dann entlohnte er uns auch recht ordentlich dafür.
Der zweitälteste Bruder hieß Heinz, war um drei, vier Jahre jünger als Willi und verdiente sich wie Pepis 20-jähriger Bruder Erich seinen Lebensunterhalt mit Gelegenheitsarbeiten. Heinz und Erich waren echte Problemboys: Hilfsbereit, anhänglich, und sie hätten ihren letzten Schilling mit jedem aus der Familie und mit jedem ihrer Kumpels geteilt und sich wohl eher in Stücke reißen lassen, als zuzusehen, wie jemandem ein Leid zugefügt wurde. Ungerechtigkeiten, die das Leben mit sich brachte hassten sie, und auch jede geregelte Arbeit hassten sie wohl. Deshalb stürzten sie sich lieber ins Nachtleben und dunkel waren nicht nur ihre Lederjacken, wenn sie am Abend aus dem Haus schlichen. Vor Pepi und mir taten sie immer geheimnisvoll, und deshalb hatten wir keinen richtigen Durchblick über ihre "Geschäfte", die sie nebenbei abwickelten. Heinz und Erich verschwanden manchmal für Tage und Wochen in der Versenkung und nicht einmal die Oma wusste genau, wo sich der eine oder andere von ihnen momentan aufhielt.
Pepsch war der ruhigste und neben Willi sicherlich der vernünftigste der Brüder. Doch wenn gelegentlich auch mit ihm sein Temperament durchging, so lag das sicher in der Erbmasse, floss doch Pußtablut in seinen Adern. Pepsch war fleißig, zuverlässig und gewissenhaft. Auf ihn konnte man sich verlassen. Pepsch lernte noch am Beruf eins Destillateurs und manchmal brachte er aus seiner Firma leckere Likörmischungen mit. Ich konnte mir keinen besseren Freund wünschen. Kennengelernt hatten wir uns beim Fußballtraining, seit ich bei einem Club in der Jugendmannschaft mitspielte. Ein Arbeitskollege hatte mich dorthin vermittelt. Pepi war der Kapitän dieser Mannschaft und es war nicht leicht für mich, in dieser Truppe Fuß zu fassen. Beim ersten Training in der Halle bestach ich vor allem durch meine Schnelligkeit und es hätte nicht viel gefehlt und Pepi und ich wären uns dabei in die Haare geraten. Die Jungs wollten mich wohl testen, denn sie ließen mich ein paar Mal über die "Klinge" springen. Aber ich steckte nicht nur ein, ich teilte auch gehörig aus. Meine Art schien Pepi zu gefallen und so fanden wir bald Gefallen aneinander.
Ab dieser Zeit verbrachten wir beinahe unsere gesamte Freizeit zusammen und weil ich ja allein ein Untermietzimmer bewohnte, deshalb hielt ich mich sehr oft bei meinem Freund und seiner Familie auf. Ich bekam wie Pepi zu essen, ich half wie er bei Omas Heimarbeit mit, wir tranken mit dem Opa die eine oder andere Flasche Bier leer, spielten an Regentagen Karten im Familienkreis, saßen da und hörten zu, wenn Oma über Gott und die Welt schimpfte, wie ungerecht es wohl zuginge, und welche Unmenschen sich überall umhertrieben.
Pepi hing sehr an seiner Mutter und auch die Oma hatte so etwas wie einen Narren an ihrem Benjamin gefressen. Den Vater hatten die Kinder bereits in jungen Jahren verloren, der Opa war nur Ersatz, doch auch mit ihm verstanden sich alle sehr gut. Pepsch besaß wie ich ein Moped, er hatte es wie ich auffrisiert und wir ratterten damit durch die Gegend und maßen uns in manchem Privatrennen. Mit unseren Mopeds machten wir an den Wochenenden Ausflüge in die Umgebung, wir fuhren zum Baden oder ins Kino, und mancher Bach bekam Besuch von uns, und wir zogen dabei etliche Fische aus dem Wasser. Einmal fuhren wir mehrere Kilometer weit in eine Klamm, um uns mit Forellen einzudecken. Allerdings hätte uns beinahe ein Jäger erwischt, der, während wir auf einem Felsblock saßen und unsere Angelleinen in einen Tümpel hängen ließen, plötzlich aus dem Wald trat. Mit Gewehr und Hund. Zu unserem Glück trennte uns der Bach voneinander, sonst hätte uns der Mann womöglich seinen Hund nachgehetzt. Dennoch hieß es rasch handeln. Die Angelschnur ließen wir sausen, nur den Sack mit den bereits erbeuteten Forellen schnappte ich, und weil wir beide schnell auf unseren Beinen waren, entwischten wir durch den Wald. Unsere Mopeds hatten wir vorsorglich einige hundert Meter weg im Gebüsch versteckt. Die Forellen schmeckten übrigens wie immer herrlich.
Am liebsten hielten wir uns im Park, in der Nähe von Pepis Wohnung auf. Dort trafen wir Jungs uns, dort tauschten wir unsere Gedanken aus, dort pfiffen wir den Mädels nach und dort besprachen wir, welche Aktivitäten wir in nächster Zeit setzen wollten. Jetzt, wo ich endlich der Enge des Lehrlingsheimes entflohen war, verlagerten sich meine Aktivitäten mehr und mehr in die Abendstunden. Acht Stunden sturheil mich meiner Ausbildung hinzugeben, das war mir zu fad, und deshalb war mir auch in der Firma jede Art von Abwechslung mehr als nur angenehm. In diesen vier Jahren meiner Lehrzeit gab es doch einige Erlebnisse, von denen ich ein wenig berichten will.
***
Die Lehrlinge im ersten und zweiten Lehrjahr hatten, wochenweise abwechselnd, einen Inspektionsdienst zu versehen, bei dem sie den Gesellen mit allen möglichen Hilfsdiensten zur Seite stehen mussten.
"Inspektion!"
Laut hallte es durch die Setzerei.
"Vertretung!" rief Peter, weil er soeben einem Gesellen dabei half, einen riesigen Tabellensatz in die Abziehpresse zu schieben. Ich war erste Vertretung, duckte mich jedoch in meiner Setzgasse und tat so, als hätte ich den Ruf nicht gehört.
"Inspektion - verdammt noch mal!"
Handlangerdienste waren nie meine absolute Stärke gewesen und für gewöhnlich drückte ich mich davor, wo immer es nur möglich war. Doch diesmal schien außer mir kein Lehrling hier zu sein, der zum bereits missmutig in die Gegend blickenden Gesellen eilen konnte.
"Bin schon da!"
"Wird auch Zeit, sagte der Geselle, ein eingebürgerter Jugoslawe, den bereits von weitem eine Knoblauchfahne umwehte.
"Führts mir mit Wagen die alten Stehsätz in Keller!"
"Wird erledigt."
Soeben kam Heinz, einer von sechs Lehrlingen unseres Jahrgangs, zur Tür herein, wahrscheinlich war er am Klo gewesen. Das war ein beliebter Aufenthaltsort, um für etliche Augenblicke der Arbeit zu entfliehen. Auch ich hielt mich mit Vorliebe dort auf, um Jerry-Cotton-Romane zu lesen.
"Heinz, wir sollen die Stehsätze in den Keller führen."
Gemeinsam beluden wir den Wagen und fuhren damit zum Aufzug, um vom ersten Stock in den Keller zu fahren. Der Aufzug war beileibe nicht mehr das neueste Modell und die Zeiten, in denen er funktionierte, dürften sich in etwa mit den Zeiten, an denen er streikte, die Waage gehalten haben. Diesmal funktionierte der Lift jedoch und wir fuhren in den Keller, luden die Stehsätze ab und hatten uns noch kaum auf den leeren Wagen gesetzt, als Heinz bereits eine Zigarette aus seinem Arbeitsmantel fischte.
"Willst auch eine haben?"
Mein Verstand sagte nein, weil uns der Abteilungsleiter bereits einmal beim Rauchen im Keller erwischt und uns einen gehörigen Anschiss verpasst hatte. Doch die Lust in mir, Verbotenes zu tun, siegte auch diesmal.
"Nur her damit!"
Verlockungen konnte ich kaum jemals widerstehen und diese Schwäche führte mich manchmal auf gefährliche Pfade. In der Firma befand ich mich zwar in einem gesicherten Umfeld und hatte wenig Gelegenheit, Lausbübereien zu begehen, doch nach Dienstschluss und an den Wochenenden war ich auf mich allein gestellt. Ich konnte tun und lassen, was ich wollte und wäre mein Freund Pepi nicht so stabil gewesen, wer weiß, ob ich jemals meine Lehre erfolgreich beendet hätte.
***
Es kam eher selten vor, dass ich in meiner zweistündigen Mittagspause in meine Unterkunft fuhr, doch der herrliche Sommertag lud mich zum Mopedfahren ein und ich flitzte nur zu gerne durch die Straßen der Stadt und ließ mir dabei den Fahrtwind um die Ohren pfeifen. Ich fuhr soeben an jenem Schwimmbad vorbei, in dem wir an heißen Tagen, an denen ich frei hatte, den größten Teil unserer Freizeit verbrachten. Da war immer Betrieb, und so mancher von den Jungs aus dem Park zog das Bad einer geregelten Arbeit vor. Einer dieser Jungs sah mich daherfahren, winkte mich ab und sagte, nachdem ich angehalten hatte.
"Wo fahrst hin?"
"In die Arbeit."
"Bei so an Wetter willst arbeiten? Komm, mach lieber ein Spielchen mit uns!"
Ich überlegte kurz, sah mich im Geiste bereits in die Fluten springen, parkte mein Moped an den Straßenrand und verschwand mit meinem "Berater" im Bad. An so einem heißen Sommertag hatte das Bad wirklich Vorrang vor der Arbeit - auch wenn ich damit eher meinem Gefühl als meinem Verstand gehorchte. Mit Kartenspielen, Gaberln in der Wiese, was wir Fußballer stets lange und ausgiebig machten, Schwimmen und Eckentauchen war der Nachmittag schnell vergangen. Ich lag gerade neben der Angi auf ihrem Badetuch und schaute fasziniert in ihre grünen Augen, als mein Freund Pepi auftauchte.
"Was machst du schon da?"
"Hab mir frei genommen."
"Geht das bei euch in der Firma so leicht?"
"Die Beamten haben doch auch frei bei der Hitze."
"Du bist im dritten Lehrjahr und kein Beamter."
"O.k. - morgen gehe ich wieder arbeiten."
Pepi mit seiner Gewissenhaftigkeit konnte mir manchmal echt auf den Wecker gehen. Der Angi war es egal, was ich tat, es schien ihr sogar zu gefallen, dass ich bei ihr war und nicht in der Firma. Mit einer Ausrede bei meinem Boss würde ich das schon wieder hinkriegen. Nur eines ärgerte mich: Die Jungs vom Bad hatten mich beim Kartenspielen ganz ordentlich ausgenommen. Die stierten jeden ab, den sie sich als Opfer aussuchten und gegen sie war ich mit den Karten eben ein blutiger Amateur. Na ja, von irgendetwas mussten sie schließlich auch leben, da kam ihnen ein Typ wie ich gerade recht.
Angi war 17 und bildhübsch, so wie man das wirklich nur ganz selten sieht. Dunkel wallte ihr das Haar bis in den Nacken, ihre Augen leuchteten in einem wunderschönen Grün aus einem zartgeschnittenen Gesicht und ihre Lippen schienen wie zum Küssen geschaffen zu sein. Alle Jungs aus unserem Viertel drehten sich nach ihr um, wenn sie irgendwo zu sehen war. Und ich? Obwohl erst im 17. Lebensjahr, kam ich mir doch bereits ungeheuer männlich vor. Im Fußballklub war ich vom Mitläufer zu einem der Aktivsten avanciert und ich bildete mir tatsächlich ein, dass die Mädels nur wegen mir zu den Meisterschaftsspielen zusehen kommen würden.
Natürlich zweifelte ich auch nicht an meiner Wirkung auf Angi. Sie wohnte in einem Haus unmittelbar beim Park und so oft wir uns sahen, lächelte sie mich an, und schon bald war ich richtiggehend verrückt nach ihr. Auch ich schien ihr zu gefallen, denn sie war immer ausnehmend nett zu mir. Nicht nur einmal lud ich sie ein, mit mir auf meinem Moped mitzufahren. Wir fuhren in die nahe Au, schmusten auf mancher Bank, lachten und erfreuten uns aneinander. Wir schleckten manches Eis in der Konditorei, doch zu mehr war sie nicht zu bewegen. Dennoch war ich fest von ihrer Liebe zu mir überzeugt.
Eines Tages sah ich sie in einen Mercedes steigen, den etwa 40-jährigen Mann am Steuer leidenschaftlich umarmen und mit ihm davonbrausen. Ich war zutiefst gekränkt, fühlte mich hintergangen und war innerlich schwer verwundet. Am nächsten Tag stellte ich sie zur Rede: "Er ist mein Chef. Ich liebe ihn und ich schlafe mit ihm. Bei dir ist das was anderes - du bist mein Freund, mein Kumpel."
Was soll ich sagen? Freundschaft? Freundschaft kann zwar wunderschön sein und doch - in diesem Fall ...