Es war einmal vor gar nicht allzu langer Zeit, da kamen zwei Menschenkinder mit ihren Fahrrädern auf einer Straße des Weges gefahren. Sie kamen vom Baden an einem kleinen Teich ganz in der Nähe ihres Elternhauses. Hänsel fuhr vorne und hinter ihm seine Schwester Gretel. Sie waren guter Dinge, der Badetag war wunderschön gewesen und sogar die Enten am Teich schienen mit diesem Tag sehr zufrieden zu sein, denn sie schnatterten, putzten sich das Gefieder mit ihren Schnäbeln oder ließen sich vom Wasser schaukeln. Der Teich lag hinter einem Wald versteckt, und nur die Kinder einiger Bauern fuhren ab und zu dorthin, um sich im Weiher zu erfrischen oder in der Wiese zu sonnen. So wie das heute Hänsel und Gretel getan hatten. Am Nachmittag hatten sie sich auf ihre Fahrräder gesetzt und waren zum Teich geradelt. Hänsel hatte zuvor noch dem Vater bei der Heuernte geholfen und obwohl er erst 13 Jahre alt war, ließ ihn der Vater seit einiger Zeit mit dem Traktor fahren, und das Traktorfahren machte dem Hänsel richtigen Spaß. Gretel war ihrer Mutter beim Kochen zur Hand gegangen und heute hatte sie sogar den Kuchen für den morgigen Sonntag selbst backen dürfen. Denn sie hatte morgen Geburtstag und zehn Kerzen würden auf dem Kuchen brennen.
Der Bauernhof war groß und stattlich und in den Garagen standen mehrere Landmaschinen und Traktoren. Natürlich auch ein dicker Brummer, mit dem vor allem der Vater gerne ein paar Runden drehte. Zum richtigen Wegfahren hatte er kaum Zeit, zu sehr war er auf dem Hof beschäftigt. Mit den Rindern, den Schafen, einigen Ferkeln, aber auch bei der Bestellung der Felder und all dem, was damit zu tun hatte. Er war ein viel beschäftigter Bauer und auch seine Frau ging ganz in ihrer Arbeit am Bauernhof auf. Und obwohl sie einigermaßen wohlhabend waren, lebten sie einfach und bescheiden und der Kirchgang am Sonntag gehörte zu ihrem Leben wie das Amen zum Gebet.
Hänsel und Gretel fuhren also vom Baden zurück nach Hause, doch sie hatten ganz offensichtlich den Normalweg verlassen, an dem sie sonst immer zurückfuhren. Wie von Zauberhand gelenkt radelten die Kinder weiter in die vorgegebene Richtung. Dann sahen sie plötzlich eine Art Ortstafel mit der Aufschrift: Im Tal der Toten. Die Kinder hielten ihre Fahrräder an, und im gleichen Moment kam eine Frau aus dem Wald auf sie zu. "Kinder, wo kommt ihr denn her?" Ein altes Mütterchen fragt das die Geschwister und blickt neugierig in ihre Gesichter. "Wir sind auf dem Weg nach Hause, vom Baden am Teich", sagt Hänsel und seine Schwester nickt dazu. "Vom Teich kommt ihr also? Ihr seid doch nicht etwa im Teich ertrunken?" "Aber wo! Wir fahren doch bereits wieder zurück zu unserem Bauernhof. Aber wir haben uns anscheinend verfahren." Wieder sagt das Hänsel und Gretel nickt zu seinen Worten. "Sonderbar!" Die alte Frau schüttelt den Kopf, weiß sie doch, dass in dieses Tal ausschließlich Tote geschickt werden. Sie selbst ist erst vor kurzem hier eingetroffen und ein bisschen spazieren gegangen. Hier an den Waldrand. Und jetzt standen der Bub und das Mädel mit ihren Rädern vor ihr. "Dann seid ihr also doch ertrunken", sagt die Frau und blickt mitleidig auf die beiden Kinder. Nein, ich kann schwimmen!", Hänsel widerspricht heftig. "Aber ich nicht!" Kleinlaut kommt es aus Gretels Mund. "Denkt doch nach, Kinder! Wie war es am Teich?" Das Mütterchen ahnt Schlimmes. Plötzlich kann sich Hänsel wieder erinnern. Schemenhaft sieht er Gretel vor sich ins Wasser steigen. An dieser seichten Stelle, wo sie schon öfters hineingegangen war. Dann hatte er diesen Schrei vernommen und ihre Hilferufe und er war hingelaufen und im Lehm ausgerutscht ...
Das Mütterchen sah die Kinder mit ihren Rädern vor sich stehen und dachte an die verzweifelten Eltern. So schön es auch im Tal der Toten war mit dieser Ruhe, der wunderschönen Landschaft und dieser Glückseligkeit, die sie hier verspürte für die Kinder war es ganz einfach zu früh, um für immer hier bleiben zu müssen. Sie dachte an die drei Wünsche, die sie frei hatte als Belohnung für ihr Erdendasein, in dem sie viele gute Werke getan hatte. Und während sie die Kinder betrachtete, wusste sie plötzlich, welchen Wunsch sie ganz zuerst aussprechen wollte: "Kinder, dreht um und fahrt ganz einfach den Weg zurück. Der Mond wird gleich aufgehen und euch leuchten, wenn es auf der Heimfahrt dunkel wird. Ihr müsst nur immer geradeaus fahren und braucht euch auch nicht zu fürchten. Ihr werdet ganz bestimmt gut zu Hause ankommen. Und vergesst in Zukunft nicht, besser Acht zu geben, wenn ihr zum Baden an den Teich fahrt. Und du Gretel, du solltest schleunigst einen Schwimmkurs machen! Versprich mir das!" Die Kinder bedankten sich artig, drehten ihre Räder um und winkten dem Mütterchen noch einmal zu. Die Alte stand da und lächelte, als sie den beiden nachsah. Ihre Augen strahlten und sie war glücklich, geholfen zu haben.
Und außerdem zwei Wünsche waren ihr ja auch jetzt noch geblieben ...