Wie gern war ich doch immer in der Natur,
und diese Leidenschaft ist bis heute in mir geblieben. Ich genieße es, wenn mir
der Wind um die Ohren pfeift, ich schaue in jeden vorbeifließenden Bach, ich
könnte stundenlang am Meer sitzen und der Brandung zuschauen oder den Möwen,
wie sie sich vom Wind durch die Luft tragen lassen. Ich bewundere jeden
blühenden Strauch, erfreue mich an jedem über eine Sommerwiese flatternden
Falter, wenn er sich auf dieser oder jener Blüte gütlich tut, ich liebe das
Rauschen der Wälder, wenn sich die Wipfel sanft im Wind beugen und sauge den
harzigen Duft der Bäume in meine Lungen. Wenn ein Gebirgsbach über die im
Bachbett liegenden Steine plätschert und die Forellen durch dieses klare Nass
flitzen, dann denke ich zurück an die Zeit, wo wir Buben inmitten dieser so
herrlichen Natur den Großteil unserer Freizeit verbrachten und manchmal auch in
Regionen hinaufstiegen, wo Gamsböcke in steilen Gebirgshalden ästen, und nicht
selten Adler mit mächtigen Flügelschlägen über die Berggipfel segelten.
Heute möchte ich von einem Spaziergang durch
den Wald hinter unserem Haus berichten, den ich vor kurzem in der einbrechenden
Dunkelheit machte, weil ich ganz einfach Bewegung brauchte, nachdem ich
stundenlang am Computer gesessen bin und vom Fenster aus die Flocken sah, wie
sie vom Himmel segelten. Das Licht des Tages hatte sich nach und nach
zurückgezogen, die Landschaft erstrahlte nicht mehr in diesem grellen Weiß wie
noch kurz zuvor, und der beinah volle Mond verhinderte, dass die Nacht ihren
Mantel allzu rasch über die Landschaft breitete. Ich schlüpfte in meine
Trainingshose, zog meine Überhose darüber, hüllte mir meine gefütterte
Windbluse um, stülpte mir dazu eine Kappe auf den Kopf, schnürte meine Stiefel
zu, und ab ging es ins Schneetreiben.
Herrlich, diese Luft, ich sauge sie tief in
mich und genieße jeden Schritt durch den frisch gefallenen Schnee. Mein Ziel
ist der Weg hinter den Appartements, in denen hauptsächlich Gäste aus
verschiedenen Ländern ihre Urlaube verbringen. Die Häuser sind dicht an den
Waldrand gebaut und wenige Meter dahinter erstreckt sich bereits der Wald,
durch den ein schmaler Weg führt, über den im Frühling, Sommer oder im Herbst
zahlreiche Urlauber spazieren, der jedoch im Winter kaum begangen wird. Schuld
hat der Schnee - in den letzten Tagen hatte es ganz ordentlich geschneit, und
so stapfe ich schon sehr bald durch das Weiß, und eher mühsam komme ich voran.
Dieser Spaziergang tut mir gut, auch wenn manchmal ein leichtes Kribbeln in mir
hochsteigt, wenn ich durch das Dunkel schreite, weil einige Bäume tatsächlich
wie Menschen aussehen oder wie Geister, die schemenhaft ihre Arme von sich
strecken. Hin und wieder bleibe ich stehen und horche, ob ich nicht
irgendwelche Schritte vernehmen könnte.
Beim letzten Mal war mir in der Finsternis
tatsächlich ein Mann entgegengekommen. Ganz unvermutet war er aus dem Dunkel
aufgetaucht und bevor ich mich noch richtig erschrecken konnte, waren wir
bereits aneinander vorbeigegangen. Grußlos, weil ja weder er noch ich kaum
mehr als eine schemenhafte Gestalt wahrnehmen konnte.
Doch heute spähe ich
vergeblich nach vor, manchmal wende ich meinen Kopf und blicke auch nach
hinten. Aber es ist niemand zu erblicken im dichten Tann, in dem der Schnee
jetzt nicht mehr allzu hoch liegt. Dann komme ich zu einer Brücke und über
einen schmalen Steg geht es hinaus aus dem Wald. Hier liegt der Schnee höher
und nur noch vereinzelt strecken die Bäume ihre Wipfel dem Mondlicht entgegen,
und dicht angeschneit türmt sich das Weiß auf Ästen und Zweigen.
Der Mond ist
hinter den Bergen hochgekommen und wirft sein Licht auf die Landschaft und aus
dem Tal sehe ich die Scheinwerfer der Autos, die sich wie ein mit Laternen
behangener Riesenwurm die Straße entlang wälzen, und ganz leise dringt das
Brummen der Motoren an meine Ohren. Ich setze meinen Weg fort und sehe nach
einiger Zeit Kinder auf Rumpeln und Rodeln über eine Wiese hinter dem Bauernhof
rutschen, ich höre, wie sie lachen und sich im Schnee vergnügen. Wahrscheinlich
sind es Kinder aus irgendwelchen Städten mit Lärm und Schmutz und diesem
Kalt-Grau der Wintermonate mit Tausenden Abgasen. Hier können sie genießen. Wie
ich.
Länger als eine Stunde stapfe ich durch die
anbrechende Winternacht und bin froh, niemandem zu begegnen.
Wer würde schon um
diese Zeit in den Wald gehen? Am ehesten noch Alleinstehende, Einsame, die in
dieser Abgeschiedenheit über sich und ihr Leben nachdenken. Glückliche suchen
kaum jemals abgelegene Pfade auf, Glückliche sind gern in Gesellschaft und wollen
dieses Glück mit jemandem teilen, ganz so, wie ich es in meiner Kindheit getan
hab. Da hätte es mir vermutlich keinen Spaß gemacht, im Wald herumzustapfen, da
wäre ich ganz sicher nicht allein auf irgendwelche Almen gestiegen, so wie ich
das seit einigen Jahren immer öfter mache, weil ich dabei mit meinen Gedanken
und wohl auch mit meinen Problemen allein sein will und dazu bewusst Stätten
aufsuche, wo ich ungestört nachdenken kann.
Bei diesen Wanderungen genieße ich immer ganz bewusst die Ruhe und
Besinnlichkeit in der Natur und wenn mich auch das Glück in meinem momentanen
Dasein nicht gerade erschlägt, sospüre
ich dennoch immer einen Zustand von stiller Glückseligkeit in mir, wenn ich
diese Atmosphäre von Geborgenheit inmitten der Natur in mich einfließen lasse.
Aber nicht immer war eine solche Stätte von
Ruhe und Geborgenheit in meiner Nähe, nicht immer gab es einen Wald, durch den
ich schreiten konnte. Ich denke zurück an meine Zeit in Salzburg, wo ich
zusammen mit meiner Freundin mitten in der Stadt eine Wohnung gemietet hatte.
In einem Hochhaus mit zahlreichen Bewohnern und ständigem Straßenlärm. Wenn
mich wieder einmal die Hektik des Großstadtlebens voll ergriffen hatte, wenn
ich unausgeschlafen und müde war, weil Einsatzfahrzeuge von Polizei, Rettung
oder der Feuerwehr mit ihren überlauten Hörnern mich immer wieder aus dem
Schlaf gerissen hatten, wenn der Lärm von streitenden Nachbarn, weinenden
Kindern oder aus irgendwelchen anderen Lärmquellen zu mir herhallte, dann
spürte ich die Nervosität in mir hochsteigen und ich sehnte mich nach einem
Spaziergang in so einer Stätte der Ruhe. Und wenn es meine Zeit zuließ, setzte
ich mich ins Auto und fuhr in die Natur.
Eines Tages folgte ich einem inneren
Ruf und zog zurück in dieses landschaftliche Paradies mit den Baumriesen, den
Sträuchern und Farnen, den weidenden Rindern im Sommer und den zugefrorenen
Bächen im Winter. Und wenn die Schneekristalle, wie jetzt in dieser Mondnacht
ihr Licht in der Landschaft glitzern ließen und der Rauch aus dem alten
Bauernhaus zum Himmel hochstieg, während womöglich das Feuer im Herd knisterte
oder der Bauer mit seiner Bäuerin sich am Kachelofen wärmte, dann spürte auch
ich dieses Gefühl von Wärme in mir hochsteigen.