Wie damals sieht sie sich am Steg sitzen an diesem mondhellen Sommerabend, als sie in den Ferien zum Teich gegangen war. Sie sehnte sich nach ihrem Vater, der an dieser Stelle beim Füttern der Fische angeblich ins Wasser gestürzt und ertrunken war. Sie hatte ihren Vater geliebt und sie dachte an die schönen Tage ihrer Kindheit zurück.
Diese Bilder tauchten vor ihr auf, als der Mann plötzlich neben ihr stand ...
"Schau mal einer an. Was machst du hier am Teich?"
Sie antwortet nicht, zu sehr hasste sie diesen Menschen.
"Magst mich wohl noch immer nicht. Dabei solltest du froh sein, dass es mich gibt und dass ich mich seit dem Tod deines Vaters um deine Mutter kümmere."
Sie dreht sich um und sieht den feisten Kerl vor sich stehen. Sie riecht die Alkoholfahne, als sich der Mann zu ihr herabbeugt.
"Fassen Sie mich nicht an!"
"Sei doch nicht so, Mädchen! Du bist ja richtig hübsch geworden, seit du im Internat bist."
Der Mann starrt sie an und läßt seinen Blick über ihren Körper gleiten. Sie erhebt sich und will weg. Möglichst schnell weg.
"Halt! So eilig wirst du es wohl doch nicht haben!"
Der Mann versperrt ihr den Weg.
"Ich hasse Sie! Lassen Sie mich sofort vorbei!"
"Das hat dein Vater damals auch gesagt, als er mir hier Vorwürfe machte und sagte, ich solle nur ja die Finger von seiner Frau lassen."
Sie steht vor ihm und ihr Herz pocht iheftig. Sie weicht einige Schritte zurück, doch der Mann breitet seine Arme aus und geht auf sie zu. Sie überlegt, ob sie nicht ins Wasser springen soll, als sie die Hände des Mannes am Arm packen.
"Hier geblieben, du kleines Luder!"
"Loslassen!"
"Will dir nur was sagen. Dein Vater hätte sich besser nicht mit mir hier angelegt und ..."
Weiter kommt er nicht, denn das Mädchen tritt kräftig ans Schienbein des Mannes und versucht, sich loszureißen. Der Betrunkene krümmt sich zusammen, torkelt einige Schritte über den Steg und stürzt ins Wasser.
***
Linda wischte sich mit einem Taschentuch über die Stirn, sie atmete heftig und irgendwie verspürte sie eine Erleichterung in sich. Sosehr sie zuerst darüber erschrocken war, als der Verwalter ins Wasser stürzte, so sehr hatte sie jedoch den Todeskampf dieses verhassten Menschen genossen und mit Genugtuung zugeschaut, wie er vergeblich versuchte, sich an der Wasseroberfläche zu halten. Wild schlug der Mann mit Armen und Beinen um sich, verzweifelt streckte er Linda seine Arme entgegen und sie sah, wie er sich am Steg anzuhalten versuchte, bevor er wenig später röchelnd im Teich versank.
Es war ihr klar, dass sie niemals versucht hätte ihn zu retten und dass sie ihm vielleicht sogar einen weiteren Tritt versetzt hätte, wenn es ihm gelungen wäre sich am Steg festzuhalten oder sich daran hochzuziehen.
Oder hatte sie das vielleicht sogar getan?
Am nächsten Morgen fand man den Verwalter leblos am Abfluss des Teiches und man vermutete, dass er auf dem Heimweg vom Gasthaus betrunken in den Teich gestürzt und ertrunken wäre.
***
Hatte der Zufall mitgeholfen, diesen Menschen für immer loszuwerden, der ihr Leben und das ihrer Familie zerstört hatte oder hatte das Schicksal diese Rache für sie übernommen ...?