Ich setze mich im Bett auf und verfolge gebannt die Szene. Mein Atem geht schwer, die Adern an meinen Schläfen schwellen an und ich spüre, wie es mir die Kehle zuschnürt vor Angst, so dramatisch ist das anzuschauen, was ich sehe.
Doch dann war es vorbei und ich stieg aus meinem Bett, schluckte mehrmals und merkte, wie mein Puls noch immer raste. Ich setzte mich auf den Bettrand und schaute mich in meinem kleinen Wohnraum um, betrachtete die Bilder an den Wänden und konnte nur an eines denken: wie ist so etwas möglich ?
***
Was war geschehen?
Es war die Nacht vor dem Heiligen Abend. In letzter Zeit schlief ich wieder sehr schlecht, wachte mehrmals auf, doch zumeist konnte ich nach einiger Zeit wieder weiterschlafen. Doch diesmal? Es war exakt 3 Uhr am Morgen, weil ich kurz meine Nachttischlampe anknipste, um ins Bad zu gehen, einen Schluck aus der Leitung zu mir zu nehmen, weil meine Kehle irgendwie ausgetrocknet war. Leise tickte meine Wanduhr, als ich mich wieder ins Bett legte, zur Seite drehte und bereits ahnte, dass ich nur sehr schwer wieder einschlafen könnte.
Ahnungen haben mich Zeit meines Lebens verfolgt und nicht selten ist die eine oder andere davon auch eingetreten. So war es auch diesmal. Ich versuchte, einzuschlafen, doch wie so oft in solchen Situationen fing mein Gehirn an zu arbeiten. Ganz so, als würde ich den Motor meines Autos starten und den Startschlüssel nicht mehr aus der Zündung herausbekommen. Ich versuchte vergeblich, an nichts anderes zu denken, als ans Weiterschlafen, wälzte mich im Bett zur anderen Seite, zog die Decke beinahe schon über den Kopf, versuchte ruhig zu atmen
Um ca. fünf Uhr hatte ich wieder einmal alles hinter mich gebracht an Gedanken zu meinem Leben, zu meinen Plänen für die Zukunft, aber auch Vergangenes hatte mich wieder eingeholt. Vor Jahren, als es mir seelisch ganz schlecht ging, da hatte ich mich immer über schlaflose Nächte geärgert und meine zahllosen Gedanken mit Stechmücken verglichen, die mich peinigten und nicht mehr weiterschlafen ließen. Doch jetzt? Es ging mir soweit gut, ich konnte nicht klagen. Hatte endlich jenen Zustand in meinem Leben erreicht, der mir irgendwie schon als Kind vorgeschwebt hatte. Mit viel Freiheit und sehr oft in der glücklichen Lage, nur das tun zu müssen, wozu mein Verstand ja sagte und auch meine Gefühle wie bei einer Eisenbahnstrecke das Signal auf "grün" stellten.
In meinem Wohn-Schlafraum ist es relativ gemütlich. Zumindest bilde ich mir das ein. Der Fernseher steht auf einer Truhe in der Nähe meines Doppelbettes, in dem ich mich bequem nach allen Richtungen drehen kann, lebe ich doch allein, ohne meine Schlafstelle mit jemandem teilen zu müssen. Bewusst sage ich hier "müssen" und nicht "dürfen". Denn nichts ist für mich schrecklicher, als wenn jemand neben mir schnarcht oder sich ausdünstet. Ich hab es schön in dieser Hinsicht. Obwohl auch in solchen schlaflosen Nächten manchmal der Wunsch in mir aufkeimt
Wonach? Das kann man sich denken! Ich gehöre ja noch nicht zu den sexuell Scheintoten und eine erotisch strahlende Bettnachbarin täte mir sicherlich manchmal gut. Na ja, wie auch immer. Ich hab ja meine Gedanken und meine Vorstellungen. Damit kann ich mir jedes weibliche Wesen sozusagen in mein Bettchen holen. Jedes!
Doch diesmal schwirrten keine derartigen Gedanken durch meinen Kopf. Draußen war es noch dunkel, und die Nacht hatte scheinbar keine Eile, ihre schwarze Hülle abzustreifen. Ich blickte durchs Fenster uns sah einige Sterne leuchten. Sehr schwach - da kam mir der Gedanke mit dem Fernseher. Den hatte ich ja auch noch. Manche lesen, wenn sie nicht schlafen können, andere gehen zum Kühlschrank. Meine alte Mutter sagt immer, sie dreht einfach die Flimmerkiste auf.
Ich mach das kaum jemals, ich hab meine Flimmerkiste in mir. Doch diesmal. Ich griff zur Fernbedienung, drückte auf "on" und wenig später war ich mitten in der Geschichte, von der ich unbedingt berichten muss!
Noch jetzt weiß ich nicht exakt, um welches Programm es sich gehandelt hat, es war wohl das, welches ich am Abend als letztes angedreht hatte. Ich drehte oft auch während einer Sendung ab, wenn mich die Augen brannten oder ich zu müde war, um weiter zu schauen. Oder auch, wenn auf keinem meiner 18 Sender etwas für mich Sehenswertes zu finden war. Doch jetzt ...
Ich sah zwei Tiere auf dem Boden liegen. Braune Tiere. Aufgenommen aus großer Entfernung, weil das Bild nicht ganz scharf war. Anscheinend ohne Stativ aufgenommen und von gleicher Güte, wie wenn ich mit meiner Kamera auf Video stelle und versuche, mit dem Teleobjektiv die Szene heranzuziehen. Genau so war das auch hier.
Die zwei lagen zusammengekauert auf dem Boden, und irgendwie bemerkte ich die Spannung in ihren Körpern. Den Ton hatte ich auf lautlos gestellt, denn ich wollte meine Nachbarn nicht wecken, weil ich von mir selbst weiß, wie mich so etwas nervt, wenn ich nachts durch die dünnen Wände Stimmen oder sonstige Geräusche vernehme.
Der Ton war also auf lautlos und ich dachte momentan nicht daran, ihn einzuschalten. Manche Szenen beobachte ich seit jeher gerne ohne dazugehörende Geräusche. Da kann man so schön vermuten, was sich da abspielt. Und hier? Jetzt zoomte der Filmer noch ein Stück näher an die zwei Tiere heran, und jetzt erkannte ich sie. Es waren zwei Löwinnen, die irgendwem aufzulauern schienen. Jederzeit zum Sprung bereit
Dann sah ich ihn kommen, das Objekt ihrer scheinbaren Begierde. Groß und schwarz, mit mächtigem Gehörn ging er des Weges. Der Filmer hatte jetzt auch ihn im Bild. Ruhig ging er dahin. Direkt auf die zwei sprungbereiten Löwinnen zu, die beinahe unkenntlich auf dem Boden kauerten. Einem Boden in der exakt gleichen Farbe wie ihre Felle. Nur noch wenige Meter trennten den Büffel von den beiden Raubkatzen. Ich hielt den Atem unbewusst an, denn ich ahnte, was kommen würde. Plötzlich hob der Bulle den Kopf und stockte. Er hatte die Löwinnen erblickt oder gewittert. Erschrocken hielt er an, stellte sich auf die Hinterbeine, drehte sich nach rückwärts und versuchte zu entkommen.
Im gleichen Moment starteten die beiden Löwinnen den Angriff. Mit gewaltigen Sätzen hetzten sie hinter dem Bullen her. Doch jetzt änderte sich das Bild, denn es tauchten zwei weitere Tiere im Blickfeld der Kamera auf. Eine etwas kleinere Büffelkuh und - zu meinem Schrecken - ein Büffelkalb
Gebannt richtete sich mein Blick auf das weitere Geschehen. Nicht dem Büffel hetzten die Löwinnen hinterher, ihr Angriff galt ab jetzt dem Büffelkalb. Zwei starke Löwinnen und knapp vor ihnen das um sein Leben rennende Büffelkalb.
Bei solchen Szenen drängt sich wahrscheinlich nicht nur bei mir so etwas wie ein Beschützerinstinkt ins Gehirn, und hilflos musste ich mit ansehen, wie die Löwinnen das Kalb attackierten. Dann kam der Fluss ins Bild. Instinktiv hatte das Büffelkind das Wasser angestrebt und mit den beiden Löwinnen zugleich stürzte es vom Ufer in die Fluten.
Das Bild war noch immer unscharf, doch scharf genug, um mir zu vermitteln, was weiter geschah ...
Das Wasser war anscheinend nicht allzu tief, so dass die drei Hineingesprungenen gerade noch stehen konnten. Das Büffelkalb war in etwa gleich groß wie die Löwinnen, die dem sich verzweifelt wehrenden Kalb den Garaus machen wollten. Jetzt griff ich zur Fernbedienung und schaltete auf Stufe zwei beim Ton. Schrecklich brüllte das Kalb und die Löwinnen versuchten mit ihren Tatzen das Kalb unter Wasser zu drücken. Wild spritzte das Wasser in die Luft - der Kampf auf Leben und Tod hatte voll eingesetzt.
Plötzlich kamen noch drei weitere Löwen ins Bild. Sie versuchten vom Ufer aus das Kalb zu attackieren. Fünf Löwen gegen ein Büffelkind. Mein Herz raste, Schweißperlen traten auf meine Stirn. Ich hörte das Kalb brüllen und das Wasser spritzte über die Kämpfenden. Der Filmer gab jetzt Kommentare ab, die ich nur schlecht verstehen konnte. Er war wohl ebenso ergriffen von der Szene wie ich.
Plötzlich sah ich noch etwas. Mit aufgerissenem Maul näherte sich ein Krokodil. Es wollte den Löwen anscheinend ihre Beute abjagen
Ich war ganz nah an den Fernseher gerückt und kniete im Bett. Meine Kehle war trocken und ich wagte kaum zu atmen. Das Büffelkalb brüllte wieder jämmerlich und das Wasser spritzte hoch, als es den Löwen gelang, das Kalb halb aus dem Wasser zu ziehen. Weiter ging es nicht, denn das Krokodil hatte anscheinend auch zugebissen
***
Total fertig saß ich später am Bettrand und atmete heftig. Und ich schickte ein Dankgebet zum Himmel, dass es vorbei war, obwohl ich noch immer nicht glauben konnte, was letztlich weiter geschehen war
Die Löwen hatten sich durchgesetzt und das Büffelkalb aus dem Wasser gezogen. Irgendwie hatten sie das geschafft. Auch das Krokodil war nun nicht mehr allein, es war noch ein zweites aufgetaucht. Um Bruchteile von Sekunden zu spät. Zum Glück für die Löwen. Der Filmer war mit seiner Kamera voll auf der Szene, und die Löwen wollten ihr Werk des Grauens nun am Ufer fortsetzen, als zu meinem Erstaunen Folgendes geschah.
Wie eine schwarze Welle kamen zwanzig, dreißig oder vielleicht noch mehr Tiere der Büffelherde herangestapft. Die Köpfe mit den gewaltigen Hörnern nach vor gestreckt näherten sie sich den Kämpfenden. Das Kalb schien noch zu leben, denn es brüllte nach wie vor in seiner Todesangst. Und die Büffelherde? Die rückte heran, kam näher und näher ...
Die Löwen mussten sie längst erblickt haben. Sie waren nach wie vor ums Büffelkalb geschart, von dem ich keinen Laut mehr vernahm. Vielleicht war es bereits zu Tode gebissen. Das vermutete ich, und auch der Filmer gab einen Kommentar in diese Richtung ab.
Jetzt waren die Büffel nur noch wenige Meter von den Löwen entfernt und bildeten einen Halbkreis um die Raubtiere. Wie eine Einheit des Militärs kam mir das vor. Schon hatten die ersten Büffel die Löwen erreicht. Eine Löwin sprang meterhoch über die Köpfe der Büffel hinweg und wurde von den Hörnern wieder zurück geschleudert. Zwei Löwen versuchten zu flüchten und rannten im wenige Meter breiten Korridor am Ufer entlang. Ein riesiger Büffel jagte hinter den beiden nach
Total mitgenommen verfolgte ich das Geschehen und ich hatte nur den einen Wunsch, dass die Büffel die Löwen in den Fluss jagen würden. Hinein zu den Krokodilen. Ganz nah waren sie bereits an den Löwen, die nicht wussten, was sie tun sollten. Vom Kalb ablassen und flüchten, oder
Dann - ich traute meinen Augen kaum - sprang das Büffelkalb zurück zur schützenden Herde
*** Manchmal sieht man es, wenn sich Sportler nach einem erfolgreichen Wettkampf, total erschöpft, zum Dank bekreuzigen. Ich konnte nicht anders, auch ich fuhr mit meiner Hand an Kopf und Brust, und ein Stoßgebet fuhr gegen Himmel. Das gab es doch gar nicht! Ein Wunder war geschehen! Das Kalb lebte! Ich sah mit eigenen Augen, wie es zurücklief. Nicht wankte, sondern tatsächlich lief!
Mein Wunsch, dass die Büffel die restlichen Löwen in die Fluten treiben würden, der ging leider nicht in Erfüllung. Mit der Rettung des Kalbes war für die Büffel scheinbar der Angriff auf die Raubkatzen beendet. Und auch für mich war etwas beendet: ans Weiterschlafen konnte ich nicht einmal mehr denken!
Und noch etwas beschäftigte mich bis zum Aufstehen: Wie ist so etwas möglich? Diese wunderbare Rettung des Kalbes durch die mutige Herde. Beinahe unglaublich und doch wahr